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Mein Erbe gefällt mir wohl

Bild: Michael HesemannDer folgende Text ist die vollständige Übersetzung eines Artikels von Prof. Peter Kwasniewski, der am 30. April auf New Liturgical Movement erschienen ist. Die Abbildung zeigt den Santo Caliz von Valencia, in dem der von Michael Hesemann zusammengefassten Überlieferung nach der aus Achat geschnittene Becher des Abendmahls aufbewahrt ist.

Mein Erbe gefällt mir wohl – Dank für die liturgische Vorsehung

Fortschrittliche Liturgiewissenschaftler – also bis auf ein paar Ausnahmen das gesamte liturgiewissenschaftliche Establishment auf dem 2. Vatikanischen Konzil und danach – begehen in ihrem Denken anscheinend einen ganz merkwürdigen grundlegenden Fehler, der ganz nahe bei den Fehlern liegt, die man bei den modernen Bibelkritikern findet.

Wenn Liturgiewissenschaftler sich in die Geschichte der Riten vertiefen, entdecken sie jede Menge Veränderung, Entwicklung, Verschiedenheit und anscheinend zufällige Elemente, etwa: „Es weiß doch jeder, daß Karl der Große letztlich dafür verantwortlich ist, daß der römische Ritus die Gallikanische Liturgie ablöste und dabei viele von dessen Elementen aufnahm“. So weit, so gut. Doch dann ziehen sie eine unbegründete Folgerung: Abgesehen vom Postulat eines „Goldenen Zeitalters“ zur Zeit der Apostel schulden wir den liturgischen Riten aus späteren Stadien ihrer Entwicklung keinerlei Ehrfurcht oder Anerkennung. Da also mittelalterliche und barocke Züge der römischen Liturgie auf historischen Entwicklungen beruhen, sehen sie diese als legitime Objekte der „Bereinigung“ durch die Experten, die schließlich besser wissen, was unseren gegenwärtigen historischen Bedingungen entspricht.

Diese Denkweise offenbart einen Mangel an metaphysischer und theologischer Gesamtschau davon, wie die göttliche Vorsehung wirkt und die Dinge nicht nur im Großen, sondern auch in den Einzelheiten leitet. Für uns hienieden mit unserem schwachen und begrenzten Verständnis von den Zusammenhängen ist nur die Zufälligkeit sichtbar – aber in den Augen Gottes gibt es keine Zufälle. Er sieht und bewirkt alles. Ohne einen angemessenen Begriff von Vorsehung und ohne Vertrauen darauf sind wir leicht geneigt, in die Sünde zu verfallen, die Früchte einer organischen liturgischen Entwicklung so zu beurteilen und zu verwerfen, als ob wir Modernen unseren Vorvätern überlegen wären. Die Grundannahme christlichen Geschichtsverständnisses ist allerdings, daß unsere Vorväter weiser waren als wir und daß es uns zukommt, das Überlieferte anzunehmen und anzueignen, so weit wir überhaupt in der Lage sind, dem zu entsprechen.

So verfehlt das Denken der Liturgiewissenschaftler die spirituelle Grundhaltung, die wir gegenüber unserem Erbe an den Tag legen sollten, nämlich gegenüber dem, was uns „als Los zugefallen“ ist. Der Psalmist gibt das in vollendeter Form wieder: Funes ceciderunt mihi in praeclaris; etenim haereditas mea praeclara est mihi  - Die Messchnur fiel mir auf liebliches Land, ja, mein Erbe gefällt mir wohl. (15,6) Der Sinn des Verses ist, daß das, was Gott seinem Volk in seiner Väterlichen Fürsorge zugeteilt hat, das wahre und rechte ist, es ist Zeugnis seiner Weisheit. Was uns als Erbe zugefallen ist, sollte zu unserem Wohlgefallen sein und unterliegt nicht unserer Beurteilung oder gar Geringschätzung.

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Man beachte, daß die Vulgata hier zweimal das Wort praeclarus verwendet. Dieses Wort hat viele Bedeutungen: Glänzend, leuchtend, hervorragend, berühmt, vornehm, außerordentlich. Die Erklärung des Wörterbuchs liest sich wie eine Auflistung aller Eigenschaften, die den überlieferten Liturgien der östlichen und der westlichen Christenheit zukommen. Und das sind genau die Eigenschaften, die den künstlich entworfenen Riten der 60er und 70er Jahre abgehen. So sehr wir sie auch verkleiden – sie bleiben immer unlängst hochgekommene Neureiche. Der Psalmist weiß demgegenüber, daß das empfangene Erbe praeclarus ist – er sagt es zweimal, um das Gemeinte nach Art des Hebräischen ganz deutlich zu machen.

Wo sehen wir dieses Wort praeclarus noch? Wir sehen es zweimal im römischen Canon, der freilich im neuen Ritus zur Wahl gestellt und effektiv an den Rand geschoben worden ist – ein nachdrücklicher Beweis für die Diskontinuität und den Bruch zwischen der alten und der neuen Messliturgie. Zum ersten Mal hören wir das praeclarus bei der Konsekration des Kelches: ebenso nahm er diesen kostbaren Kelch – hunc praeclarum calicem – in seine heiligen und verehrungswürdigen Hände. Dann hören wir es unmittelbar danach noch einmal: „Daher sind wir, o Herr, Deine Diener und Dein heiliges Volk … und opfern Deiner erhabenen Majestät praeclarae maiestati tuae ein reines Opfer, ein heiliges Opfer, ein makelloses Opfer, das heilige Brot des ewigen Lebens und den Kelch des immerwährenden Heiles.“

Es ist kein Zufalle, daß der oben zitierte Psalm 15 den Becher oder Kelch als Symbol für Gottes großzügige Fürsorge für Sein Volk verwendet: Dominus pars haereditatis meae, et calicis mei: tu es qui restitues haereditatem meam mihi. – Der Herr ist das Los meines Erbteils und meines Bechers, Du bist es, der mir mein rechtmäßiges Erbe wieder zukommen läßt (Ps. 15,5)

Indem der römische Kanon das Wort Kelch mit der doppelten Verwendung von praeclarus einrahmt, zitiert er nicht nur Psalm 15, der wie in der Apostelgeschichte zu sehen eines der Lieblingsgebete der frühen Christen war, sondern er verwirklicht ihn und erinnert uns damit an das Wesen unseres liturgischen Erbes. Das sind keine statischen oder leblosen Bücher, Produkt zufälliger Entwicklungen oder bloß menschlicher Erfindung, sondern eine lebende Tradition, die ihren Ursprung im Logos Gottes hat und ihren Höhepunkt im fleischgewordenen Logos findet, in unserem ewigen Hohen Priester, der Seine Kirche durch das Geschenk Seines Geistes zur Fülle der Wahrheit führt. Unser wohlgefälliges Erbe ist der Inhalt jenes Bechers, der in immer reicherem Maße für Adam, Abel, Abraham, Melchisedech und David, den Kult im Tempel, den dies domini der frühen Christen und die katholischen Jahrhunderte des Glaubens ausgegossen worden ist, in denen die Liturgie von einem Senfkorn zu einem großen Baum gewachsen ist, in dessen Zweigen die Vögel des Himmels wohnen – die heiligen Engel (s. Lukas 13,9).

Joseph Ratzinger hat es immer wieder gesagt: Wir sind kein beliebiges Produkt des Zufalls, sondern die gewollte Frucht einer göttlichen Absicht; das Universum ist durchwirkt vom Logos, der Materie und Chaos beherrscht. Das gleiche gilt von der Liturgie. Sie ist kein beliebiges Produkt des Zufalles, sondern die gewollte Frucht einer göttlichen Absicht. Ihr Weg, der in Israel seinen Ausgang nimmt und dann die griechisch-römische Welt und später die der Barbarenvölker durchquert, ist bestimmt vom Logos, der über all den Wirrnissen der menschlichen Angelegenheiten herrscht. Das ist letztlich der Grund dafür, daß die Traditionalisten die Liturgiereform ablehnen: Denn diese bedeutet in sich die Absage an das einmütige Verständnisses dessen, worin Liturgie besteht, wie sie überliefert und aufgenommen wird.

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