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Häresie der Formlosigkeit

Bild: http://www.omegadancecompany.org/worship/2018/5/20/pentecost-at-st-ignatius-solemnFormlosigkeit in der Kirche ist, wie Martin Mosebach zu Recht beobachtet hat, nicht nur ein Mangel von etwas, das schön zu haben wäre, aber letztlich doch entbehrlich ist, sondern eine Häresie. Vielleicht die einzige Häresie, die das 20. Jahrhundert genuin hervorgebracht hat – all die anderen grassierenden -ismen sind nur wenig originelle Neuauflagen von Irrlehren, die schon in den frühen Jahrhunderten der Kirche aufgekommen waren. Dabei ist Formlosigkeit bei weitem nicht nur eine ästhetische Kategorie. Vom Zusammenhang von Form und Inhalt zu reden ist schon fast ein Gemeinplatz, aber die Beziehung reicht noch tiefer. Am Anfang der Schöpfung war nicht das Chaos – das wäre ja schon etwas gewesen – sondern das, was man nicht sehen kann (aoratos) und was keine Form (akataskeuastos) hatte. Formung von dem, was vorher nicht war – das ist der eigentliche Inhalt der Schöpfung, und die Verneinung der Form läuft letztlich auf die Verneinung der Schöpfung und des Schöpfers hinaus.

Die Kirche hat daher der „Form“ immer höchste Bedeutung beigemessen. Etwa dann, wenn sie die Sakramente, in denen sie ihr Wesen ausdrückt, als eine zeichenhafte Verbindung einer eher konkreten materia mit einer zumeist sprachlich oder symbolisch gefassten forma versteht und erklärt. Im Katechismus nach dem Konzil von Trient (2. Teil, 1. Kapitel, 15) spielt dieser Zusammenhang bei der Erklärung von Wesen und Wirkung der Sakramente eine zentrale Rolle. Einerseits im Rückgriff auf die Scholastiker, die diese Begrifflichkeit zur Vollendung entwickelt haben, andererseits aber auch mit einer duchaus als „pastoral“ zu bezeichnenden Zielsetzung, um das Geheimnis, das hinter jedem sakramentalen Wirken steht, leichter fasslich zu machen. Unverkennbar verbunden mit der Besorgnis, sicherzustellen, daß die Sakramente im Leben der Kirche auch stets korrekte und damit gültig gespendet werden.

Der Katechismus nach dem 2. Vatikanum verzichtet merkwürdigerweise im dafür zuständigen 2. Artikel seines 2. Teils bei der grundsätzlichen Beschreibung der Sakramente der Kirche, aber auch später bei der Abhandlung im einzelnen, ganz auf die Verwendung des Begriffspaares von forma und materia. Er stellt statt dessen den Begriff des Pascha-Mysteriums in den Mittelpunkt, von dem her alle Sakramente ihre Wirksamkeit erhalten. Das ist natürlich sachlich richtig – und dennoch hat man zumindest aus der Rückschau von heute aus das ungute Gefühl, daß hier ein letztlich etwas nebulöses „alles hängt mit allem zusammen“ an die Stelle der eindeutigen Begrifflichkeit von Trient gesetzt wird.

Es ist kaum zu beurteilen, ob den Verfassern des Katechismus von 1993 dabei ein „antischolastischer Affekt“ die Feder führte, oder ob sie schon angekränkelt waren von der „Häresie der Formlosigkeit“, der solche kategorialen Einteilungen und die Frage nach „korrekt und gültig“ per se ein Greuel sind. Gegen die letztere Vermutung spricht der Umstand, daß der Katechismus von 1993 in seinen „Kurztexten“ zu den einzelnen Sakramenten jeweils auch Festlegungen zum Ritus oder zu den wesentlichen Elementen der Sakramentenspendung enthält, die inhaltlich der überlieferten Lehre nach forma und materia weitgehend zu entsprechen scheinen.

Die hoffentlich guten Absichten der Verfasser des Katechismus sind das eine – das in der Folge des zweiten Vatikanischen Konzils in der ganzen Kirche aufbrechende und schließlich herrschende Klima einer Formlosigkeit, die sich vielerorts bis zur Anomie steigerte, das andere.

Die Liturgiereform Pauls VI., die bereits erkennbar von Gleichgültigkeit bis Verachtung gegenüber liturgischen Formen überhaupt (nicht nur den traditionellen) geprägt war, hat jedenfalls viel dazu beigetragen, ein der Häresie der Formlosigkeit günstiges Klima zu schaffen Und nachdem sich die Formlosigkeit erst einmal im eucharistischen Herzen des sakramentalen Lebens festgesetzt hatte, war es nur eine Frage der Zeit, bis sich die Verachtung der Formen auf die anderen Bereiche des sakramentalen Lebens ausbreitete. Damit einher ging notwendigerweise der Verlust von Inhalten.

Im gegenwärtigen Pontifikat hat sich diese Tendenz enorm beschleunigt – und das ist sicher so gewollt. Die Sakramente der Eucharistie, der Ehe, der Buße und der Krankensalbung sind durch Abstoßung von Formen bzw. Nicht-Praktizierung im inneren Bestand bedroht. Die Firmung ist vielerorts bereits zu einem der sozialistischen Jugendweihe vergleichbaren säkularen rite de passage geworden, für die Trauung in der Kirche zeichnet sich eine vergleichbare Entwicklung ab. Selbst die Taufe wird durch Überbetonung des Elements der Eingliederung in die Gemeinde und Vernachlässigung ihres Wesens als Befreiung von ererbter Schuld säkularisiert. Die von der Formlosigkeit beherrschte Kirche steht in Gefahr, ihren sakramentalen Charakter zu verlieren.

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Die Omega Dance Company in New York ist eine kommerzielle Ballett-Truppe allgemein religiöser Orientierung, die gerne Engagements für Auftritte in Gottesdiensten oder zu geistlichen Konzerten annimmt.

St. Ignatius Loyola ist eine Pfarrei in bester Lage von Manhatten, die seit 1866 der Seelsorge des Jesuitenordens anvertraut ist. 

Die Häresie der Formlosigkeit von Martin Mosebach ist zuerst 2007 erschienen und wird gegenwärtig in 4. erweiterter Auflage angeboten. Überall im lokalen und Online-Buchhandel erhältlich.

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