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NO-Illusionen: Zugänglichkeit

Foto: © ML Preiss, www.monumente-online.dePünktlich zum Beginn des Jubiläumsjahres „50 Jahre Liturgiereform“ hat Fr. Dwight Longnecker einen kleinen Text veröffentlicht: „12 Dinge, die mir an der Messe des Novus Ordo gefallen“. Das Stück eignet sich hervorragend dazu, populäres Verständnis und ebenso populäre Mißverständnisse über die neue Liturgie zu thematisieren, denn Fr. Longnecker steht völlig außerhalb jedes Verdachts, den Novus Ordo deshalb vorzuziehen, weil er es erleichtert, die katholische Lehre zu verdünnen oder durch zeitgeistige Irrlehren zu entstellen. An seiner katholischen Orthodoxie besteht kein Zweifel – und gerade deshalb gibt er einen idealen Diskussionspartner dafür ab, einige mit der Liturgiereform von 1969 aufgeworfene Probleme zu untersuchen. Dazu kommt, daß seine 12 Punkte auch noch inhaltliche Doppelungen und Überschneidungen enthalten. Tatsächlich ist die Zahl der inzwischen eigentlich von allen Gutwilligen als verfehlt erkennbaren Grundannahmen der Bugnini-Reform noch einmal geringer als 12. Wir wollen sie uns hier der Reihe nach vornehmen.

Longneckers erster Punkt betrifft das Hauptargument der Reform: Ihre größere Zugänglichkeit, insbesondere durch Verwendung der Volkssprache. Den Gedanken greift er in seinen Punkten 11 und 12 noch einmal auf: Diese Zugänglichkeit mache die Messe besser geeignet für die Verbreitung des Evangeliums. Und die Schlichtheit ihrer Riten strahlten eine Würde aus, die – so dürfen wir ergänzen – dem Fassungsvermögen des modernen Menschen besonders entgegenkomme.

Daß der Gottesdienst im Allgemeinen und die hl. Messe insbesondere „zugänglich“ zu sein habe, ist eines der Grunddogmen des modernen Liturgieverständnisses. Zugänglich durch die Sprache und die Schlichtheit von Riten und – wenn überhaupt – Gewändern. Zugänglichkeit durch den Wegfall jeder Abgrenzung zwischen dem Raum der Gemeinde und dem Altarraum. Verzicht auf eine „hierarchische Überhöhung“ der Position des Altars im Kirchenraum. Einbeziehung möglichst vieler Gottesdienstteilnehmer als demonstrativ „Mitwirkende – Lektoren, Fürbittenverleser, Kommunionspender usw., selbstverständlich unter Aufhebung aller traditionellen Unterscheidungen zwischen den Geschlechtern und unter konsequentem Verzicht auf jede die Besonderheit der Aufgabe hervorhebende Kleidung. Die propagierte „Verheutigung“ erschöpft sich in einer simplen „Veralltäglichung“ – eine überaus fragwürdige Tendenz angesichts der Tatsache, daß die übergroße Mehrheit der Katholiken noch nicht einmal allsonntäglich am Gottesdienst teilnehmen.

Hier geht es weiterTatsächlich signalisiert die Tatsache, daß von diesen Gläubigen viele nur noch zu Gelegenheiten in die Kirche kommen, die gerade nicht alltäglich sind – besondere Anlässe im privaten Lebenslauf, die großen Festtage Weihnachten und Ostern – daß „Veralltäglichung“ und „Zugänglichkeit“ sich eher kontraproduktiv auswirken, wo es um eine – zugegebenermaßen zunächst eher äußerliche – Motivation zur Teilnahme am Gottesdienst geht.

Die Forderung, Gottesdienste „zugänglich“ zu gestalten, beruht auf einem grundlegenden Mißverständnis. Die Tempel fast aller Religionen, in denen „Gottesdienste“ im engeren Sinn, oft verbunden mit Opferhandlungen, stattfinden, kennen eine strikte Trennung des der Gottheit und ihren Priestern vorbehaltenen Heiligtums vom Raum, der für die allgemeinen Teilnehmer zugänglich ist. Die Grenze zwischen beiden symbolisiert die Differenz der Sphären von natürlicher Menschenwelt und übernatürlichem Gottesreich – und nur, wo es eine solche Grenze gibt, kann es auch „Gottesdienst“ geben. Das Bundeszelt, der Tempel im Jerusalem, hatte ein Allerheiligstes, das selbst der Hohepriester nur einmal im Jahr betreten durfte. Der Gott Israels wohnte in unzugänglichem Licht, sein Name war unaussprechlich, und von Orten, an denen er sichtbar gewirkt hatte, hieß es fortan „terribilis locus iste“ - furchterregend ist dieser Platz. Und wenn man ihn überhaupt betreten durfte, dann jedenfalls nur ohne Schuhe.

An dem, was dort geschah oder geschehen war, war nichts zu „verstehen“ oder gar in „aktiver Teilnahme mitzugestalten“, dort war Demut gefordert, Gehorsam und, welch schreckliches Wort: Unterwerfung. Als Usa beim Einzug der Bundeslade in den Tempel die Hand ausstreckte, um den Sturz vom Transportkarren zu verhindern, wurde er vom Zorn Gottes erschlagen: Er hatte eine Grenze verletzt, zu deren Überschreitung er nicht befugt war (2. Sam 6,6-7).

Die Menschwerdung Gottes hat diese Grenze auf gewisse Weise durchlässiger gemacht – aufgehoben hat sie sie nicht. Der Altarraum blieb auch für die Christen ein Ort außerhalb jeder Alltäglichkeit, der nur für ganz bestimmte Personen und unter bestimmten Bedingungen zugänglich war. Die alte Kirche umgab den Altar mit Vorhängen, die die heilige Handlung den Augen der Gläubigen entzogen. Später wurde das ganze „Allerheiligste“ durch oft mannshohe Mauern vom Kirchenraum abgeteilt, daraus entwickelte sich in den Kirchen des Ostens die heute noch gebräuchliche Ikonostase, im Westen die Chorschranken und der Lettner, die nach dem Trienter Konzil zwar reduziert, in der Funktion aber durch die Kommunionbank und ähnliche Architekturelemente ersetzt wurden.

Erst die Gemeinschaften der Reformation – soweit sie die hl. Messe durch Predigt- und Singgottesdienste ersetzten – relativierten die Trennung von Altarraum der Kleriker und dem Kirchenschiff der Gläubigen, ohne sie jedoch ganz aufzuheben. Das Bedürfnis zur völligen Aufhebung scheint erst mit der allgemeinen „Demokratisierung“ der Gesellschaft entstanden zu sein – in der abenteuerlichen Vorstellung, daß die Menschen, so wie sie in weltlichen Dingen „auf Augenhöhe“ miteinander verkehren sollten, dies auch gegenüber den göttlichen Dingen praktizieren könnten. Seitdem auch in der Kirche die Rede von den weltlichen Dingen immer mehr an Gewicht gewinnt, während die göttlichen Dinge in den Hintergrund treten, ist „Zugänglichkeit“ in jedem denkbaren Sinne geradezu ein Schlüsselbegriff auch für die „Gestaltung“ von gottesdienstlichen Feiern geworden: Sie erscheinen immer mehr als Tätigkeit der Gemeinde und immer weniger als Erfüllung göttlicher Gebote und Kommunikation mit einer Welt, die über der sichtbaren Menschenwelt steht.

Damit kommt eine unheilvolle Abwärtsspirale in Gang. In einer Gesellschaft, die so im (tatsächlich oder vermeintlich) „Natürlichen“ befangen ist, daß der Gedanke an Übernatürliches immer schwerer zu fassen ist, verschwindet ein wichtiges Element der Erinnerung daran, daß es diese beiden Sphären gibt – und an den fundamentalen Unterschied, der zwischen ihnen besteht. Und je weniger dieser Unterschied im kirchlichen Raum praktiziert und sichtbar gemacht wird – desto weniger Widerspruch erfahren die gesellschaftlichen Kräfte, die mit Macht auf seine Einebnung drängen. Eine Religion, ein Kirchenbau oder eine Liturgie, deren Hauptziel „Zugänglichkeit“ wäre, steht in Gefahr, das Wesen von „Religion“ überhaupt aufzugeben – zur großen Genugtuung einer sie umgebenden wahrhaft „gottlosen“ Gesellschaft.

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