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Reform und Kontinuität - vor 1962

Die Wahl des Missales und der anderen Bücher nach dem Stand von 1962 als liturgische Basis für die „außerordentliche Form“ des römischen Ritus ist ganz klar ein Notbehelf. Allerdings ein durchaus sinnvoller: Der Stand von 1962 gehört unbestreitbar der „überlieferten Form“ an - was beim Ordo von 1965  schon nicht mehr ganz so unbestreitbar ist. Außerdem ist der Stand von 1965 niemals in einer Editio Typica fixiert worden. Er bildet schlicht die Summe der unaufhörlichen kleinen und größeren Änderungen, die Ritenkongregation und Consilium zur Liturgiereform in den Jahren zwischen 62 und 65 produzierten. Die Bücher von 1962 repräsentieren den Stand der Liturgie, den die Väter des 2. vatikanischen Konzils selbst zelebrierten - das macht es möglich, diese Form des Ritus zu vertreten, ohne sich damit im Geringsten in eine Gegenposition zum Konzil zu begeben oder drängen zu lassen. Schließlich enthebt die Wahl des Missales von 1962 als Basis für die „außerordentliche Form“ den päpstlichen Gesetzgeber auch der Notwendigkeit, eine Auswahl unter den vorhergehenden Stadien liturgischer Reformbemühungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu treffen und diese damit zu bewerten: Das 62er Missale ist das letzte vor der Promulgation des tiefgreifend reformierten und wohl auch deformierten „Novus Ordo Missae“ im Jahre 1969 und damit der natürliche Bezugspunkt für eine Gesetzgebung, die einen Anschluss an die Tradition ermöglichen will, ohne sich in Einzhelfragen und -polemiken zur Ritusentwicklung seit Trient oder noch früher zu verlieren.

Das bedeutet freilich nicht, daß die Diskussion dieser Fragen überflüssig oder gar unzulässig wäre. Insbesondere die Veränderungen seit Mitte der 50er Jahre, die zur Umgestaltung der Karwochenliturgie und des Triduums führten, werfen viele Fragen auf. Verstärkt gilt das für das Motu Proprio „Rubricarum Instructum“ von 1960, mit dem die traditionellen Rubriken von Brevier und Missale tiefgreifend vereinfacht wurden. Viele dieser Teil-Reformen aus den Jahren vor 1962 atmen bereits den selben Geist wie die spätere Totalrevision von 1969 - kein Wunder, wenn man bedenkt, daß die leitenden Grundsätze und das handelnde Personal vor und nach dem Konzil weitgehend die Gleichen waren.

Allerdings würde es zu kurz greifen, die Probleme der Reform nur an den handelnden Personen oder gar alleine an Erzbischof Bugnini festmachen zu wollen. Auch die Brevierreform von Papst Pius X., so notwendig sie gewesen sein mag, wirft bereits schwerwiegende Fragen nach dem Verhältnis von Tradition und Reform, von Kontinuität und Bruch auf. Tatsächlich brechen diese Fragen seit Beginn der Moderne mit neuer Qualität auf: Schon im Missale von Trient finden sich Ansatzstellen für eine liturgische Praxis, die das selbstverständliche Leben in einer überkommenen Tradition mit Misstrauen betrachtet und „gemachte“ Vorgaben an dessen Stelle setzt. Die Schwierigkeit, das richtige Verhältnis zwischen Kontinuität, Reform und Bruch zu bestimmen, geht weit vor das 2. Vatikanische Konzil und sogar weit vor das 20. Jahrhundert zurück.

Da ist es ein glücklicher Umstand, daß mit Fr. Christopher Smith einer der Köpfe hinter dem Blog „The Chant Cafe“ auf den 1965 verstorbenen Msgr Léon Gromier (geb. 1879, zum Priester geweiht 1902) gestoßen ist, der im Amt für die päpstlichen Zeremonien von Papst Pius XII. tätig war. Gromier war ein scharfzüngiger Kritiker der liturgischen Reformen des 20. Jahrhunderts. Das brachte ihn schon damals um alle Aufstiegschancen, dennoch blieb er wegen seiner profunden Kenntnisse der Liturgiegeschichte für die Ritenkongrgation unentbehrlich. Smith stellt auf „The Chant Cafe“ einen Vortrag von Gromier von 1960 vor, in dem er die Reform der Osterliturgie von 1955 sehr kritisch beleuchtet. Eine nicht immer leicht verständliche englische Übersetzung dieses Vortrags findet sich auf civitas-dei.eu.

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