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Die Konstitution Missale Romanum

Eigene Montage nach Aufnahmen aus http://www.newliturgicalmovement.org/2013/12/paul-vi-pope-of-contradictions.htmlRechtsgrundlage für das Inkrafttreten der „erneuerten Liturgie“ ist die Apostolische Konstitution „Missale Romanum“ Papst Pauls VI. vom 3. April, die als Termin den 1. Adventssonntag – das war 1969 der 30. November – bestimmte. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Konstitution gab es noch in keiner Sprache ein vollständiges Missale nach dem „Novus Ordo“ Das war absehbar (und tatsächlich) auch für den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Fall, weshalb die Ritenkongregation umfangreiche Behelfsbestimmungen für erforderliche Übergangszeiten erließ, auf die der Papst in seiner Ansprache vom 26. 11. dann auch ausdrücklich hinwies. Da das Dokument auch in deutscher Sprache leicht erreichbar und relativ gut bekannt ist, verzichten wir darauf, es hier noch einmal wiederzugeben.

Inhaltlich gliedert sich der Rechtsakt zur Einführung des neuen noch nicht existierenden Missales in drei Teile:

Der erste versucht, den neuen Ordo in die liturgische Tradition der Kirche zu stellen und hebt dabei insbesondere das Wirken der „liturgischen Bewegung“ der vorausgehenden Jahrzehnte hervor. Ausdrücklich bezieht das Dokument sich auf die bereits unter Pius XII. erfolgten Reformen, denen Paul VI. bescheinigt, sie hätten bereits „einen ersten Schritt“ getan, „um das Römische Meßbuch dem Empfinden unserer Zeit anzupassen.“ Insbesondere beruft sich die Konstitution auf die Konilskonstitution Sacrosanctum Concilium, deren Vorgaben im Neuen Ordo umgesetzt worden seien.

Der zweite ausführlichere Teil enthält eine Aufstellung der von Paul VI. für besonders erwähnenswert gehaltenen Änderungen. Als bedeutendste hebt er die Vermehrung der Zahl der Präfationen und der eucharistischen Hochgebete hervor, die zukünftig zusammen das eigentliche Hochgebet, den Kanon, bilden sollten. Die in diesem Zusammenhang verfügte Änderung der Wandlungsworte des bisherigen Kanons begründet er mit „pastoralen Erwägungen“, um die Einheitlichkeit in sämtlichen Hochgebeten zu sichern. Ein gutes Beispiel einer für sich durchaus nachvollziehbare Änderung – die aber gar nicht erforderlich geworden wäre, wenn man andere Änderungen (die Vermehrung der Hochgebete und die Hervorhebung der Konzelebration) gar nicht erst eingeführt hätte.

Es folgen dann eine Reihe weiterer Reformmaßnahmen, die der Papst durch die wörtliche oder sinngemäße Zitierung entsprechender „Aufträge“ der Konzilskonstitution beschreibt und begründet.

Der Schluß enthält noch einmal eine Berufung auf die Tradition seit Trient und den Auftrag des Konzils und gibt der Hoffnung Ausdruck, daß das neue Missale „von den Gläubigen als eine Hilfe zur gegenseitigen Bezeugung und Stärkung der Einheit angenommen“ werde, so daß „in der Mannigfaltigkeit vieler Sprachen aus den Herzen aller ein und dasselbe Gebet … zum himmlischen Vater durch unseren Hohenpriester Jesus Christus im Heiligen Geiste emporsteige“.

Hier geht es weiterDie Aussagen zur Einordnung in die Tradition (Missale von Trient, Liturgische Bewegung, Reformen Pius‘ XII.) und zur Erfüllung des Auftrages von Sacrosanctum Concilium sollen hier unkommentiert bleiben – jeder dieser Komplexe ist hier und anderswo bereits ausführlich angesprochen worden und wird auch zukünftig weiter diskutiert werden. Wir begnügen uns zum Jahrestag der Einführung des Novus Ordo hier damit, die Punkte aus dem zweiten Teil der Konstitution zu markieren, in denen das Verfehlte der damaligen Bemühungen aus den Erfahrungen der vergangenen 50 Jahre besonders deutlich wird.

Das „wiederhergestellte“ Allgemeine Gebet ist weithin zu einem Tummelplatz persönlicher Ambitionen oder einer Plattform politischer Proklamationen verkommen. Das spricht nicht direkt gegen seine Wiederbelebung, sehr wohl aber dagegen, seine Inhalte dem Belieben von „Liturgieausschüssen“ oder einzelnen Zelebranten zu überlassen. Das Schuldbekenntnis oder der Versöhnungsritus, die aufgewertet werden sollten, wurden durch die mit der Reform eingeführte „Optionitis“ im Gegenteil bis zum völligen Verschwinden reduziert.

Das große Vorhaben, dem Volk die Fülle der Heiligen Schrift in größerem Maße aufzutun, beruhte von Anfang an auf dem Mißverständnis der Messfeier als didaktischer Veranstaltung. Es wurde durch eine Reihe weiterer Fehleinschätzungen und Fehler konterkariert: Die Teilnahme an der Messe, insbesondere der Werktagsmessen, ist nicht gestiegen, sondern dramatisch gesunken – lectio continua ist nur noch ein leeres Schlagwort. Die Ersetzung des festen Einjahreszyklus der Evangelien durch sonntags drei und werktags zwei Lesejahre überfordert das Wahrnehmungs- und Erinnerungsvermögen der Gläubigen und hat – ganz entgegen der didaktischen Absicht – die „Eindringtiefe“ der Schriftlesung vermindert. Die didaktisch-rücksichtsvolle „Entkernung“ vieler Perikopen von unbequemen Aussagen hat dazu beigetragen, diese Aussagen auch in Predigt und Katechese zum Verschwinden zu bringen – ein Beitrag zum allgemeinen Glaubensverlust.

Die in der Konstitution ausgedrückte Hoffnung des Papstes, diese Neuordnungen sollten „bei den Gläubigen (das) Verlangen nach dem Worte Gottes steigern“, sind so in der Realität grausam dementiert worden.

Als letzten großen Punkt der mit großen Erwartungen eingeführten Neuerungen nennt die Konstitution die vielerlei Veränderungen in den Proprien und dabei insbesondere die der Orationen. Diese Änderungen lagen zum Zeitpunkt der Konstitution bestenfalls für den lateinischen Text vor. In den volkssprachlichen Ausgaben wurde noch daran gearbeitet, während der lateinische Text in der Praxis jede Bedeutung verlor. Die dadurch eingetretene Vielfältigkeit dieser Orationen hat es erst relativ spät ins Bewußtsein treten lassen, daß mit den neuen Texten vielfach bedeutende Abschwächungen oder Verunklarungen theologischer Kernaussagen vorgenommen worden sind. Sünde und Buße finden kaum noch Erwähnung, und im Lob der Heiligen wird vielfach das, was ihren „heroischen Tugendgrad“ bezeugen könnte (und in den alten Versionen oft auch bezeugt hat), durch allgemeine Floskeln ersetzt. Das mag den auf Säkularisierung gerichteten „neuen Bedürfnissen unserer Zeit“, wie es die Konstitution ausdrückt, entsprochen haben – den Erfordernissen der Glaubensverkündigung in dieser Zeit hat es offensichtlich nicht gedient.

Abschließend ist hier noch auf einen Punkt einzugehen, der in der Konstitution nicht oder nur implizit angesprochen wird: Sie vermeidet eine Aussage zum künftigen Rechtsstatus des bisherigen Missale. Der Wille des Gesetzgebers, daß in Zukunft allgemein das neue Messbuch verwendet werden soll, ist unverkennbar – tatsächlich erscheint der neue Ordo dadurch, das nicht von Ersetzung, sondern von Erneuerung des Missales gesprochen wird, als quasi identische Fortsetzung des bisherigen: Es gibt nur ein Missale – und das jetzt in neuer Form. In der einem Gesetz angemessenen Klarheit wird das jedoch an keiner Stelle ausgesagt.

Dem Vernehmen nach – unsere Kenntnisse sind hier ergänzungsbedürftig – hat es seinerzeit im Kreis der Reformer heftige Auseinandersetzungen darüber gegeben, wie in dieser Sache zu verfahren sei. Dabei hat sich dann die Richtung durchgesetzt, die vor einer juristisch klaren „Aufhebung“ der bestehenden Bücher zurückschreckte und – wie so oft – Unklarheit und Ambivalenz den Vorzug gab. Wohl in der Erwartung, die aus dem römischen Machtzentrum lenkbare Entwicklung werde im Lauf der Zeit schon „unumkehrbar“ zum gewünschten Ergebnis führen.

Diese Unklarheit hat dann vier Jahrzehnte später Papst Benedikt den Raum eröffnet, die Verwendung des alten Missales explizit wieder zuzulassen, ohne sich dazu in einen direkten Widerspruch zu seinem Vorgänger begeben zu müssen. Er hat damit allerdings auf der jursitischen Ebene weitere Unklarheiten und Ambivalenzen geschaffen – vor allem in der Formel von der forma ordinaria bzw. extraordinaria eines- und desselben Ritus. Gleichzeitig hat er – auf der theologischen Ebene – einen Gesichtspunkt eingeführt, der geeignet ist, der überlieferten Liturgie eine Bestandsgarantie zu geben. In den Worten seines Begleitbriefs zu Summorum Pontificum: „In der Liturgiegeschichte gibt es Wachstum und Fortschritt, aber keinen Bruch. Was früheren Generationen heilig war, bleibt auch uns heilig und groß; es kann nicht plötzlich rundum verboten oder gar schädlich sein.“

Damit ist klar ausgesagt, daß ein Versuch zur Abschaffung der überlieferten Liturgie (und zwar in all ihren legitimen Formen) einen „unmöglichen“ Bruch darstellen würde. Ob dagegen zukünftig auch vom vor 50 Jahren promulgierten Missale Pauls VI. gesagt werden kann, es sei „früheren Generationen heilig und groß gewesen“, bleibt offen.

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