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Ist der moderne Mensch liturgiefähig?

Bild: © Katholische Akademie BayernAuf New Liturgical Movement thematisiert Peter Kwasniewski erneut die berühmte Frage Romano Guardinis aus dem Jahr 1964: „Ist der moderne Mensch noch liturgiefähig?“ Zu Recht weist Kwasniewski dabei darauf hin, daß diese Frage bzw. die darauf gegebenen Antworten sich immer mehr als Schlüssel zum Verständnis der liturgischen Bestrebungen und Reformen des letzten Jahrhunderts erweisen.

Den von Guardini dazu geleisteten Beitrag sieht Kwasniewski in seinem Artikel überaus kritisch, wenn er schreibt:

Auch wenn Guradini selbst ein paar Jahre später die Entwürfe des consiliums als „Klempnerarbeit“ verwarf, kann man den Schaden, den er mit seinen Bemerkungen in dem Brief von 1964 verursacht hat, gar nicht schwer genug einschätzen. Er hat – so wie viele andere Halb-Modernisten auch – darin den Anschein erweckt, daß die gesamte christliche Liturgie seit Konstantins Zeiten und auf jeden Fall seit dem Mittelalter heute irrelevant, nutzlos und unverständlich geworden sei und damit reif für den Abfallhaufen geworden sei. Es ist schon erstaunlich, daß ein Theologe vom Rang eines Guardini, der einen so zutreffenden Begriff von der (richtig verstandenen) „Irrelevanz“ und „Nutzlosigkeit“ der Heiligen Liturgie hatte, derart in chronologischen Relativismus verfallen konnte.

Einerseits können wir vielleicht Guardini in begrenztem Umfang beipflichten: Die Liturgischen Reformbestrebungen schienen von der Idee auszugehen, daß die Liturgie, wenn sie so, wie sie ist, nicht „funktioniert“, einer grundlegenden „Überarbeitung“ nach einem „funktionierenden“ Modell bedarf – dann könne man das neue Produkt, getrost verpacken, versenden und dem erwartungsfrohen Publikum quasi frisch von der Rolle ausliefern. In dieser Sicht liegen alle Probleme auf der Seite der liturgischen Riten – nicht der Mensch muß sich ändern, sondern nur der Ritus.

Doch was ist, wenn der Mensch selbst das Problem ist? Wenn man davon ausgeht, daß er zum liturgischen Handeln unfähig ist, dann wäre er doch zu jeder Liturgie unfähig, komme die nun aus der Schreibstube Gregors des Großen oder dem Schreibtisch Annibale Bugninis. Er mag zu anderem fähig sein – zum Bibelstudium, zum Betrieb einer Suppenküche, zur Gefängnisseelsorge oder zu einem Ehrenamt bei den Pfadfindern – aber die leitourgia, der Vollzug einer Opferhandlung durch Einen zum Nutzen der Vielen, wird in dieser individualistischen Weltsicht keinen Wert haben.“

Das ist ein schwerwiegender Vorwurf, der vor allem deshalb näherer Untersuchung bedarf, weil die seitherige Entwicklung ja genau dem von Kwasniewski hier gezeichneten Bild entspricht: Die Liturgie, die feierliche Vergegenwärtigung des Erlösungsopfers Christi durch die Kirche, scheint im Leben und Reden der Kirche nur noch einen Platz am Rande einzunehmen, während „Suppenküche“ und „Gefängnisseelsorge“, um Kwasniewskis Chiffren aufzugreifen, immer mehr ins Zentrum rücken. Bis dahin, daß in der neuesten Enzyklika von Franziskus dieses soziale und politische Engagement jeden genuinen Christusbezug als überflüssig erscheinen läßt.

Dann wäre die von Guardini „in den Raum gestellte“ These von der Liturgieunfähigkeit des modernen Menschen von der Kirche quasi lehramtlich bestätigt und gleichzeitig die logische Konsequenz halb angedeutet und bereits halb vollzogen: Der Verzicht auf die Liturgie und die sakramental/metaphysische Dimension, für die sie steht, überhaupt.

Bei diesen Überlegungen kann es nicht darum gehen, Romano Guardini als „Verursacher“ namhaft zu machen oder gar anzuklagen. Solche Bewegungen haben keinen einzelnen Verursacher, sondern beruhen auf tiefer liegenden (zeit-)geistigen Strömungen, die das, was in der Gesamtgesellschaft wirksam ist, auch in die Kirche hineinspülen. Aber immerhin käme Guardini das zweifelhafte Verdienst zu, mit der Formel von der Liturgieunfähigkeit des modernen Menschen diesem Geist einen sprachlichen Ausdruck verliehen zu haben, der seine Verbreitung erheblich erleichtern konnte und denn auch von den modernistischen Reformern in genau diesem Sinne genutzt wurde. Um dem nachzugehen, müßte man genauer unterscheiden, was an Guardinis Formulierung in einem „offenen Brief“ (nämlich an den damaligen Leiter des Liturgischen Instituts Johannes Wagner) eher Ausdruck einer offenen Frage oder bereits Vorformulierung einer These war – und genau hier ergibt sich für summorum-pontificum.de ein merkwürdiges Problem: Der Brief ist in englischer Übersetzung im Netz an mehreren Stellen (etwa hier oder hier) verfügbar, nicht jedoch im Original. Das scheint es nur auf Papier zu geben – und dessen Beschaffung wird noch einige Tage in Anspruch nehmen.

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