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Weg vom Ultramontanismus!

Dieser Artikel erschien zum Jahrestag des Motu Proprio auf Crisis Magazine. Er ist die vom Autor Kwasniewski selbst erheblich gekürzte Fassung eines Vortrages vor dem Roman Forum, der inzwischen auch vollständig auf Rorate Caeli erschienen ist.  Bereits in der hier übersetzten kürzeren Fassung enthält der Text  eine tiefgehende Analyse der Stärken und Schwächen von Summorum Pontificum sowie der aktuellen Situation der Kirche, die sich immer offensiver gegen ihre Tradition und damit gegen ihr eigenes Wesen stellt. Mit zahlreichen Verweisen auf weitere Grundsatzartikel zum Themenbereich bildet dieser Artikel ein unentbehrliches Kompendium der aktuellen Lage in Erwartung weiterer Schritte gegen die rechtmäßige und der Verfügungsgewalt von Päpsten entzogene Liturgie der Jahrtausende. 

 

'Summorum Pontificum' wird 14: Seine Tragischen Schwächen

Bild: John Paul Sonnen, Orbis catholicus travel

von Peter Kwasniewski

Je mehr wir der lehrmäßigen und moralischen Korruption der heutigen Kirchenhierarchie gewahr werden, die durchaus mit der Situation in der Renaissance zu vergleichen ist, umso mehr erscheint es nahezu als ein Wunder, daß Summorum Potificum, das Motu Proprio von Papst Benedikt XVI. zur Freigabe der Feier der Messe im überlieferten Ritus, überhaupt jemals erscheinen konnte. Das war ein historischer Augenblick, eine wahrhaft glückhafte Geste, und das Dokument hat viel dazu beigetragen, die Zahl der überlieferten Messen in aller Welt zu vervielfachen und die Vorherrschaft des Modernismus zu schwächen. Wir waren dankbar für einen Papst, der nicht vermeintlichen Nostalgikern einen Knochen hinwarf – so die „Indulte“ von Papst Paul VI. und Johannes Paul II. – sondern der den Mut hatte, die Wahrheit auszusprechen: Die große Liturgie unserer Tradition war nie abgeschafft worden und sie kann auch nie abgeschafft werden.

Doch es ist auch angebracht, von vornherein auszusprechen, daß Summorum Pontificum für die traditionsorientierte katholische Bewegung in der Weise nützlich war, wie eine riesige Booster-Rakete früherer Zeiten nützlich war, um ein Raumschiff in eine Umlaufbahn zu bringen: Da steckt eine Menge Energie drin, aber ihre Möglichkeiten sind begrenzt, und wenn sie leergebrannt ist, fällt sie ab. Summorum wird als einer der großen päpstlichen Eingriffe in die Geschichte eingehen, aber es bedeutet nicht mehr als eine Maßnahme zur Schadensbegrenzung, es ist keine Säule, noch viel weniger ein Fundament für ein dauerhaftes Bauwerk.

Solange wir die Schwachstellen diesen Dokuments nicht kennen, werden wir auch nicht verstehen, warum wir den Machenschaften von Papst Franziskus und seines Kreises so wehrlos ausgesetzt sind und, noch entscheidender, werden auch nicht in der Lage sein, die Kraft aufzubringen, uns dem, was der Vatikan vielleicht vorhat um die Feier des überlieferten Ritus zu be- oder verhindern, zu widersetzen oder es zu ignorieren. So sehr – und daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen – die traditionsorientierte Bewegung praktisch von Summorum Pontificum profitiert hat, so müssen wir doch lernen uns mit dem ganzen Gewicht voll auf die eigenen Füße zu stellen, damit wir nicht hilflos umfallen, wenn die rechtlichen Krücken oder Klammern plötzlich weggenommen werden.

Hier geht es weiterDie Einleitung zu Summorum ist ein wahres Loblied auf die zentrale Rolle römischer Päpste in der Fürsorge für die Liturgie in den vergangenen Jahrhunderten. Zu Recht hebt Benedikt XVI. die große Bedeutung des hl. Gregor der Große, des hl. Pius V. und viele andere (seine Liste enthält Clemens VIII., Urban VIII., den hl. Pius X., Benedikt XV., Pius XII. und Johannes XXIII.) hervor. Allerdings versäumt er es, eine Tatsache von entscheidender Bedeutung zu erwähnen: Obwohl die Päpste gelegentlich Änderungen an Einzelheiten der Liturgie vornahmen, haben sie sich doch nie als Herren und Besitzer der liturgischen Riten gesehen, als ob sie diese vollständig bestimmen könnten, indem sie diese nach ihrem Belieben komplett abschaffen und von Grund auf neu entwerfen könnten. Um ein von Ratzinger gerne gebrauchtes Bild zu verwenden: Ihre Tätigkeit war die eines Gärtners, nicht eines Produzenten. Wenn wir uns die Päpste im einzelnen anschauen, dann verblasst der Beitrag eines jeden Einzelnen im Vergleich zu der Gesamtheit des Erbes, das sie empfangen und weitergegeben haben.

Die Liste der Päpste von Summorum enthält einen aus dem 6. Jahrhundert, einen aus dem 16. und einen aus dem 17. - und fünf aus dem 20. Jahrhundert. Nach vielen Jahren der Stabilität – und das deutet nicht auf Versteinerung, sondern, wie ich anderswo ausgeführt habe, auf ein langsames Reifen der Formen unter der Anleitung des Hl. Geistes – müssen wir daraus schließen, das beim Eintritt in das 20. Jahrhundert irgendetwas passiert sein muß, etwas, das einen zunehmenden Schmerz oder ein Juckreiz versucht hat, die zu liturgischen Reformen drängen: von den Änderungen an Brevier und Kalender zum Beginn des Jahrhunderts zu einer Umgestaltung der Heiligen Woche in der Mitte und schließlich zur vollständigen Demontage und Neukonstruktion aller Riten und Zeremonien in dem Jahrzehnt von 1963 bis 1974.

Wir sehen auch Anzeichen eines überdrehten Ultramontanismus, der dem Papst eine Position zuschreibt, in der er souverän Inhalt und Botschaft des katholischen Gottesdienstes bestimmt und dabei immer weniger Respekt vor der Tradition zeigt. Im scharfen Gegensatz dazu ging der von Pius V. nach dem Konzil von Trient kodifizierte Ritus schon vor jeder päpstlichen Gesetzgebung voraus. Dieses Missale Romanum ist das, was es ist, nicht deshalb, weil der Papst es so gemacht hätte, sondern weil der Papst das, was er empfangen hatte, so in einer gedruckten Form bestätigte und in Kraft setzte, wie es ihm der Tradition am meisten zu entsprechen schien.

Summorum Pontificum beschreibt die Liebhaber der alten Liturgie folgendermaßen: „In einigen Regionen fühlte und fühlt sich eine beträchtliche Zahl von Gläubigen mit großer Liebe und Zuneigung den früheren Liturgischen Formen verbunden, die“ - so Papst Benedikt, „ihre Kultur und ihren Geist tiefgehend geprägt hatten.“ Aber ist es nicht das eigentlich Katholische, die Liturgie zu lieben, die ihnen aus früheren Epochen des Glaubens überliefert ist? Nichts anderes als das war auch das Hauptziel der gesunden Phase der Liturgischen Bewegung, wie wir sie z.B. in Gestalten wie Dom Prosper Gueranger erblicken: Die ererbte Liturgie besser kennen zu lernen und so auch mehr zu lieben und voller in ihr zu leben.

„Kultur und Geist“ dieser Gläubigen waren durch ihre Liturgie „tiefgehend geprägt“ - und das zu recht! Die Gläubigen, die sich darum mühten, praktizierende Katholiken zu sein, brauchten keine andere Liturgie, denn die, die sei bereits hatten, hatte ihre Herzen und ihren Geist gewonnen und ihre Leben und ihre Sozialen Bezüge durchdrungen – man denke nur an die Reichtümer des alten liturgischen Kalenders. Es ist, als ob für Summorum die einzige Geisteshaltung, die wahrhaft katholisch ist und das einzige Ziel der ganzen Liturgiegeschichte darstellt, nur als Bedürfnis einer Minderheit erscheint. Und so erscheint die sogenannte Reform als ein gewaltsamer Akt, der die Gläubigen eben jenen liturgischen Formen entfremdete, die den katholischen Glauben und das katholische Leben bestimmen.

Nach seiner Liste von Päpsten, die es niemals gewagt haben, den Gottesdienst in überlieferten Riten zu verbieten (oder, was auf das gleiche hinauskommt, zu „erlauben“), erwähnt Benedikt XVI.das „Indult“ von Johannes Paul II. - doch das hat nur einen Sinn im Zusammenhang mit der Hypothese, daß die Kirche die Vollmacht habe, einen überlieferten Ritus zu verbieten oder abzuschaffen, und das bestreitet Benedikt nur wenige Absätze später und verneint er auch in vielen seiner anderen Schriften. Nur das, was effektiv „abgeschafft“ worden ist, erfordert ein „Indult“. Wenn der usus antiquior niemals abgeschafft wurde und auch nie abgeschafft werden kann, dann braucht ein Priester niemals ein Erlaubnis, in ihm zu zelebrieren, und wird auch nie eine Erlaubnis dazu benötigen.

Das ist offensichtlich von größter Bedeutung für die Reaktion auf künftige päpstliche oder kuriale Versuche, den Gebrauch des überlieferten Römischen Ritus zu untergraben. Bedauerlicherweise entsprechen Summorum Pontificum und der Begleitbrief an die Bischöfe Con Grande Fiducia in ihrer generellen Anlage noch der falschen Auffassung, daß der Papst oder die Bischöfe über die Vollmacht verfügten, zu bestimmen, ob Priester, die für den römischen Ritus geweiht sind, die überlieferte Form ihres eigenen Ritus zu verwenden – der einzigen Form, die auf die Apostel zurückgeht und auf eine kontinuierliche Entwicklung von über 1500 Jahren zurückschaut. Es ist ein Widerspruch in sich selbst, zu behaupten, daß ein Priester des römischen Ritus unbedingt einen teils entstellten und teils erfundenen Ritus verwenden müsse, der von einem einzigen Papst erlassen wurde, während es dem gleichen Priester erlaubt oder verboten werden könne, einen altehrwürdigen Ritus zu verwenden, den hunderte von Päpsten erhalten und weitergegeben und so mit ihrer gesammelten Autorität beglaubigt haben.

Der berüchtigste Zug von Summorum Pontificum besteht aus dem Anspruch in Artikel 1, daß es zwei „Formen“ des römischen Ritus gebe:

Art. 1. Das von Paul VI. promulgierte Römische Messbuch ist die ordentliche Ausdrucksform der "Lex orandi" der katholischen Kirche des lateinischen Ritus. Das vom hl. Pius V. promulgierte und vom sel. Johannes XXIII. neu herausgegebene Römische Messbuch hat hingegen als außerordentliche Ausdrucksform derselben "Lex orandi" der Kirche zu gelten, und aufgrund seines verehrungswürdigen und alten Gebrauchs soll es sich der gebotenen Ehre erfreuen. Diese zwei Ausdrucksformen der "Lex orandi" der Kirche werden aber keineswegs zu einer Spaltung der "Lex credendi" der Kirche führen; denn sie sind zwei Anwendungsformen des einen Römischen Ritus.

Aber die Behauptung, daß Papst Paul VI. Missale Romanum von 1969 (Der „Novus Ordo“) der gleiche Ritus wäre oder zum gleichen Ritus gehöre wir das letztmalig revidierte Missale Romanum von 1962 – kurz gesagt, der Novus Ordo könne als „der Römische Ritus“ der hl. Messe bezeichnet werden – kann einer kritischen Untersuchung nicht standhalten, und dieser Anspruch läßt sich auch für keine anderen Bücher in der Vetus- und Novus-Ausführung aufrecht erhalten. Niemals zuvor in der Geschichte der Römischen Kirche hat es zwei „Formen“ oder „usūs“ des gleichen Ortsritus gegeben, die gleichen kanonischen Status gehabt hätten und nebeneinander verwandt worden wären.

Wenn Papst Benedikt sagen konnte, daß der alte Ritus niemals abgeschafft (numquam abrogatum) worden sei, beweist das, daß es sich bei der Liturgie Pauls VI. eher um etwas ganz Neues handelt und nicht nur um eine Revision seines Vorgängers. Zwar hat es in der lateinischen Kirche immer unterschiedliche usūs gegeben, aber die Verdoppelung der römischen Liturgie stellt einen Fall von dissoziativer Identitätsstörung dar, eine Schizophrenie.

Es ist völlig unvorstellbar und erst recht nicht wünschenswert, vom tridentinischen Ritus und dem Novus Ordo als „zwei usūs“ oder „Formen“ des gleichen römischen Ritus zu sprechen; und es ist lächerlich zu behaupten, daß die heruntergekommene Form die „ordentliche“ und die überlieferte die „außerordentliche“ darstelle – außer es gehe um eine bloß soziologische oder statistische Einordnung. Wissenschaftliche Arbeiten haben zunehmend die tiefgreifenden theologischen und spirituellen Unterschiede im Inhalt zwischen dem römischen Ritus und dem modernen Ritus von Papst Paul VI. zu Bewußtsein gebracht – da ist es intellektuell einfach nicht mehr ehrlich und glaubhaft, daß der alte und der neue Ritus die gleiche lex orandi und entsprechend auch die gleiche lex credendi zum Ausdruck brächten. Möglicherweise enthält der neue Ritus keine Irrlehren, aber seine lex orandi hat nur teilweise Gemeinsamkeiten mit der des alten Ritus, und das gleiche gilt auch für die jeweils übermittelten Glaubensinhalte – wie man nicht nur an den Texten, sondern auch in den Zeremonien und allen anderen Erscheinungsformen des öffentlichen Gottesdienstes feststellen kann.

Wenn es eines gibt, in dem alle Traditionsorientierten der verschiedenen Spielarten übereinstimmen, so dieses: Was Paul VI. mit der Liturgie der katholischen Kirche gemacht hat, war ein bis an die Fundamente reichender Umsturz, ein noch nie erlebter Angriff auf die Tradition – und daher wahrhaft falsch, des Papsttums unwürdig, mit den Pflichten des Papstamtes unvereinbar, böse in der Weise, wie Vatermord oder Verrat böse sind. Wir wissen, daß frühere Päpste Riten zugefügt oder verändert haben, aber niemals so, daß man beim Anblick des „Vorher“ und „Nachher“ sagen konnte: Das sind verschiedenen Dinge. Paul VI. tat, was noch kein Papst zu tun gewagt hatte: Er veränderte jeden einzelnen Ritus der Katholischen Kirche von Grund auf. Er veränderte sogar die sprachlichen Formen sämtlicher Sakramente, die heiligsten Formeln.

Beim Vergleich der alten und der neuen Messe blickt man auf weitgehend unvereinbare Kalender, nahezu völlig verschiedene Lektionare, eine radikale Dekonstruktion der Gebetstexte, des Gesangs und der Rubriken. Bei sämtlichen Handlungen der Kirche fällt der Vergleich zwischen der alten und der neuen Form gleich ungünstig aus: Alte und neue Taufe, alte und neue Firmung, alte und neue Weihe zum Diakon, zum Priester und zum Bischof, alte und neue Formen der Segnungen jeder Art und so weiter. Zweifellos haben die Traditionalisten recht, wenn sie sagen, daß das keinesfalls eine „Reform“, sondern eher eine Revolution war.

Hat ein Papst die Vollmacht, das zu tun, was Paul VI. getan hat? Ich frage nicht, ob er behaupten kann, diese Vollmacht zu haben, indem er ein in tausend Jahren erworbenes politisches Kapital verausgabt, um der Hierarchie und den Gläubigen Gehorsam abzuverlangen, eine Revolution anzunehmen, die das entscheidende katholische Verständnis von Tradition zerstört. Ich frage auch nicht nach dem subjektiven Verständnis Pauls VI. von dem, was er tat oder tun zu können glaubte, auch nicht danach, was die Bischöfe und die Gläubigen subjektiv glaubten, zu tun oder tun zu sollen, als ihnen neue Riten auferlegt wurden, die mehr mit Cranmer [dem führenden Theologen der britischen Reformation] und [der Räubersynode von] Pistoia gemeinsam haben, als mit Cluny oder Trient.

Stattdessen sollten wir danach fragen, ob ein Papst objektiv berechtigt ist, neue Riten an die Stelle derer zu setzen, die die Kirche während ihrer ganzen Geschichte auf organische Weise entwickelt hatte. Subjektive Absichten können verquer und und verwirrt sein – aber objektiv hat die liturgische Revolution die Katholiken von ihren eigenen Wurzeln und von der Rechtgläubigkeit in der „gebührenden Gottesverehrung“ abgeschnitten und hat das Verhältnis zwischen der lex orandi und der lex credendi in einer solchen Weise verändert, daß eine Koalition von Liturgikern, die dem „Lehramt des Augenblicks“ ergeben war, die einzige Norm des Betens setzen konnte.

Wenn ein derartiger Bruch als legitim und hinnehmbar angesehen wird, bleibt nichts von den überzeitlichen Prinzipien der Liturgie übrig: Alles ist der Verfügbarkeit des Papstamtes unterworfen, gerade wie es ihm gefällt. Kardinal Juan de Toquemada (1388 – 1668) hat dazu die während des größten Teils der Kirchengeschichte allgemein geteilte Ansicht so ausgedrückt: Falls ein Papst „die universalen Riten des kirchlichen Gottesdienstes“ mißachtet und sich selbst „hartnäckig von den Gebräuchen der universalen Kirche löst“ kann er „ins Schisma fallen“ und verliert jeden Anspruch auf Gehorsam oder „Unterstützung“ (non es sustinendum).

Und das ist eben das grundsätzliche Problem mit Summorum Pontificum: Das Dokument ist in sich inkonsequent und gründet auf einem gewaltigen Widerspruch, der durch den schlimmsten päpstlichen Machtmißbrauch in der Geschichte der Kirche verursacht worden ist. Im Ergebnis spiegelt sich in seinen Vorgaben fast durchgängig die unauflösbare Dialektik zwischen dem unwiderruflichen Vorrang der gemeinsamen kirchlichen Tradition und einer angenommenen oder angemaßten Verfügungsgewalt über Herkunft, Wesen und Zielsetzung der Liturgie. Das Motu Proprio reflektiert und verstärkt die falschen Auffassungen der Ekklesiologie und der Liturgie, die jene Krise verursachten, auf die es reagieren wollte. Tatsächlich wird die Denkweise von Benedikt XVI. oft als eine dialektische hegelianische Methode beschrieben, das beide Seiten eines Widerspruchs gleichzeitig erhalten will oder nach eine höheren Synthese von These und Antithese sucht. („Gegenseitige Bereicherung“ kann man hier einordnen).

Nach der Einführung und dem Absatz 1 verharrt der Rest von Summorum Pontificum dabei, die überlieferte Liturgie auf subtile Weise gefangen zu halten oder ihr eine Art zweitklassiges Bürgerrecht zuzugestehen. In der Praxis hat seine Sprache dazu geführt, Pfarrern und Bischöfen eine Fülle von Ausreden zu bieten. Sie können immer behaupten, daß alleine durch die Zugänglichkeit der Sakramente nach dem alten Ritus pastorale Erfordernisse beeinträchtigt würden oder beeinträchtigt werden könnten, daß die Leitungsvollmacht der Bischöfe sie zum Veto gegen das „bereitwillige Entgegenkommen“ eines Priesters zur Feier der altehrwürdigen Messe berechtige und daß Katholiken, die solches Verlangen, Zwietracht säen und die Einheit der Kirche beschädigen.

Summorum Pontificum macht die Dinge unnötig kompliziert und gibt vielfältige Ansatzpunkte zu bürokratischen Blockaden. Es ist nie leicht, Bischöfe zu einem wahrhaft pastoralen Handeln zu bewegen. Aber ein Dokument, das lediglich angeordnet hätte: „Die alte Messe ist ab dem (Datum) in jeder Diözese an mehreren Orten erreichbar zu machen und alle Seminaristen müssen lernen, sie zu zelebrieren“ hätte vielleicht einiges von der Trägheit, dem Widerspruch und der endlosen Verzögerungstaktik überwinden können, die wir in den 14 Jahren seit dem Erscheinen des Motu Proprio erlebt haben.

Der Absatz 9 kann als Fallbeispiel dienen:

Der Pfarrer kann - nachdem er alles wohl abgewogen hat - auch die Erlaubnis geben, dass bei der Spendung der Sakramente der Taufe, der Ehe, der Buße und der Krankensalbung das ältere Rituale verwendet wird, wenn das Heil der Seelen dies nahelegt. Den Bischöfen ist die Vollmacht gegeben, das Sakrament der Firmung nach dem alten Pontificale Romanum zu feiern, wenn das Heil der Seelen dies nahelegt.

Zwar ist die Absicht begrüßenswert – diese Reichtümer wieder für das Wohl der Seelen zugänglich zu machen – aber die Sprache ist wieder zu vorsichtig, zu wenig bestimmt. Wann wissen wir, daß ein Pfarrer „alles wohl abgewogen“ hat. Wann weiß er es. Warum soll er die anderen sakramentalen Riten genehmigen müssen, wenn sie ebenso wenig abgeschafft worden waren wie die überlieferte Messe? Und die Hauptbedingung „wenn das Heil der Seelen dies nahelegt“ wird oft genug auf ein donnerndes „Niemandes Seelenheil hängt von einem speziellen liturgischen Ritus ab!“ stoßen.

Ich weiß von Bischöfen, die geradewegs leugnen, daß es gut für die Seelen ist, Zugang zu den überlieferten Riten der Kirche zu haben; sie sagen, für sie sei es besser, „Gehorsam“ zu üben und „in Demut anzunehmen, was die Kirche für sie vorsieht“und „nicht auf Äußerlichkeiten achten oder sich auf die eigenen Vorstellungen von Ehrfurcht zu versteifen“ usw. Was soll man dazu sagen: Wenn Pfarrer und Bischöfe auch nur einen Schimmer davon hätten, was „gut für die Seelen“ ist, wären wir nicht in der verzweifelten Lage, in der wir sind.

Trotz des Guten, das wir aufgrund von Summorum Pontificum erreichen konnten, benötigen wir dringend ein umfassenderes theologisches Verständnis der Rechtmäßigkeit, die der überlieferten Liturgie innewohnt und auch von der Unveräußerlichkeit (wenn man es so nennen kann) des Rechtes von Laien und Geistlichkeit auf eine solche Liturgie.Wir müssen sehen, daß wir, auch wenn die Päpste im Lauf der Jahrhunderte viel zum Gottesdienst beigetragen haben, für die Liturgie nicht auf die Päpste verpflichtet sind. Die Liturgie geht ihnen voraus, hat höhere Realität und Autorität, sie ist der gemeinsame Besitz das ganzen Gottesvolkes.

Falls Summorum Pontificum aufgehoben werden sollte, wird dadurch der überlieferte römische Ritus keinesfalls aufgehoben; wenn die Vorgaben von Summorum eingeschränkt werden, kann das kein Grund sein, die immer weiter voran gehende Wiederherstellung unseres unermeßlichen Schatzes des Glaubens und der Kultur ebenfalls einzuschränken. Es kann sein, daß die Göttliche Vorsehung es als notwendig erachtet, uns noch mehr von der Milch des Ultramontanismus zu entwöhnen, so daß wir unsere Kauwerkzeuge noch tiefer in das Fleisch der Tradition schlagen – mit oder ohne Billigung der Oberen.

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