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Ein schwerer Fall von chronischer Reformitis

Am 3. November berichteten wir über die doppelte Vesper zu Allerheiligen und Allerseelen in der römischen Pfarrkirche der Petrusbruderschaft Santissima Trinita dei pellegrini und schrieben dazu:

Nach traditioneller Zeiteinteilung der Kirche beginnen Feiertage nicht bürgerlich um Mitternacht, sondern mit der Abenddämmerung des Vortages. Diese Einteilung hat sich im Brevier nach der Ordnung von 1962 für die Vesper der Feiertage bis in die Gegenwart erhalten.

Ein Leser hat uns dazu eine kenntnisreiche Ergänzung und Präzisierung geschickt, die gleichzeitig bezeichnendes Licht auf die reformerische Unrast wirft, von der sich die Kirche seit Beginn des 20. Jh. bestimmen lassen.

Die emotional so anrührende Ordnung, dass nach der Zweiten Vesper von Allerheiligen sogleich die Totenvesper folgt, gibt es noch in den Büchern bis in die Ära von Papst Pius XII. Die Bücher von Johannes XXIII. kennen sie nicht mehr.

Die Generalrubriken des römischen Breviers 1962 sagen eindeutig:

Caput II
4. Dies litugicus est dies sanctifcatus actionibus liturgicis ? et decurrit a media nocte ad mediam noctem. [Der liturgische Tag verläuft von Mitternacht zu Mitternacht.]

5. Celebratio diei liturgici decurrit per se a Matutino ad Completorium. Sunt tamen dies solemniores, quorum Officium inchoatur a I Vesperis, die praecedenti. [Der liturgische Tag verrläuft ?per se? von der Matutin bis zur Komplet. Es gibt aber feierlichere Tage, deren Officium mit der Ersten Vesper beginnt am vorhergehenden Tag.]

Eine Erste Vesper haben nur die Sonntage und die Feste 1. Klasse, nicht mehr die Feste 2. Klasse. So beginnt z.B. Mariä Geburt am 8.9. ohne eine Erste Vesper, da es ja kein Hochfest mehr ist, sondern nur ein Fest 2. Klasse. Man kann also sagen, dass gerade die Bücher Johannes? XXIII. die uralte Regel, dass der Tag mit der Vesper am Vorabend beginnt, über Bord geworfen hat. Dieser Fall ist nur noch eine Ausnahme von der Regel, und diese Ausnahme beginnt erst bei den Sonntagen und den Hochfesten 1. Klasse.

Bei Allerseelen sind mehrere Stufen zu unterscheiden:

  • von Pius V. (1568/1570) bis Pius X. (20. Jh.)
  • von Pius X. bis Johannes XXIII.
  • Johannes XXIII.
  • Paul VI.

Das Toten-Officium ist eigentlich nur ein Zusatz-Officium zum Tagesofficium. Vor der Reform von Papst Pius X. (Anfang des 20. Jahrhunderts) hatten alle zum Officium verpflichteten Personen am 2. November außer dem „weißen“ Tagesofficium von der Oktav des Allerheiligenfestes noch das „schwarze“ Totenofficium zu beten.

Das hieß dann: Am 1. November nach der Allerheiligenvesper wird noch die Totenvesper gefeiert; am 2. November betet man außer Matutin und Laudes vom Oktav-Tag von Allerheiligen noch Matutin und Laudes des Totenofficiums. Damit endete dieses Officium, Kleine Horen (Prim bis Non) kannte das Totenofficium nicht. Diese Horen wurden am 2.11. wieder vom Oktavtag von Allerheiligen gefeiert.

Papst Pius X. hat dann bei seiner Reform am Anfang des 20. Jahrhunderts verfügt: Nach der Allerheiligenvesper ist wie bisher noch die Totenvesper zu feiern, am 2. November entfällt dann aber das Officium von der Oktav von Allerheiligen, es wird nur noch das Totenofficium gefeiert, und zwar Matutin und Laudes, dem sich dann neu geschaffene Kleine Horen (Prim bis Non) anschließen. Die Vesper am 2. November ist dann wieder von der Allerheiligen-Oktav.

Die Bücher von Johannes XXIII. gehen noch einen Schritt weiter:

Nach der Allerheiligen-Vesper am 1.11. ist keine Totenvesper mehr zu beten. Das war natürlich ein ungeheurer Schnitt in die Tradition, deshalberließ man auch eine Ausnahmeregelung, wonach "Der Brauch der Totenvesper nach der Allerheiligenvesper 'wegen der Frömmigkeit der Gläubigen' auch weiterhin statthaft" blieb. So ist es den "Variationen" zu den Rubriken, die 1960 erschienen, zu entnehmen.

Offiziell galt aber: Am 2. November ist Totenofficium zu beten, und zwar wird nun auch die Totenvesper am Abend des 2.11. gebetet, dem sich dann noch eine besondere Form der Komplet (Toten-Komplet) anschließt.

So schön die Feiern in S. Trinità in Rom auch sind, sie entsprechen nicht dem offiziellen Stand der Bücher von 1962, sondern folgen einer Ausnahmeregelung.

Gott sei Dank! - kann man da nur sagen. Man sieht wieder einmal, dass die Bücher von 1962 schon in wichtigen Punkten einen Weg beschreiten, der dann in die Umbrüche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil führt.

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