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Zwischen Gehorsam und Ultramontanismus

Dom Alcuin ReidDer in Frankreich lebende aus Australien stammende Benediktiner Dom Alcuin Reid hat auf einer soeben beendeten Tagung  der Church Music Association of America am 15. Oktober ein bemerkenswertes Referat mit dem Titel „Die neue Liturgische Bewegung nach dem Pontifikat Benedikt XVI.“ gehalten. Darin greift er weit über den eng verstandenen Gegenstand hinaus und behandelt auch Fragen der Stellung des Papsttums und des Lehramtes sowie deren Grenzen in Bezug auf die Formen und Inhalte der Liturgie. Aus dem dem umfangreichen Text in der Originalsprache haben wir hier anhand einiger Passagen die Grundgedanken herausgehoben.

Zum Ausgang seiner Überlegungen nimmt Alcuin Reid die sehr unterschiedlichen Auftritte der beiden letzten Päpste nach ihrer Wahl auf der Benediktionsloggia.

Eigentlich sollte es völlig normal sein, daß verschiedene Päpste verschieden sind. Aber in einer Welt der Live-Berichterstattung und einer Kirche, die von jahrzentelangen „Liturgiekriegen" gezeichnet ist, werden legitime Optionen des Bischofs von Rom wie Triumpfzeichen geschwenkt, sei das nun die Wahl einer beigen Mitra mit braunem Streifen, oder das Fanon, oder der Verzicht auf etwas liturgisches überhaupt.

Künden solche Optionen wirklich von einem Sieg?. Entscheidet der Stil oder die persönliche Vorliebe des jeweiligen Papstes darüber, was die Liturgie der Kirche ist oder sein sollte? Sollen wir nach diesem Pontifikat abwarten, um zu sehen, wer was trägt, bevor wir wissen, woraus die Heilige Liturgie besteht und wie sie zu feiern ist? Wie sollen Gemeindepriester und die Helfer, die im Gottesdienst mitwirken oder dazu anleiten, ja alle Christgläubigen, damit umgehen? Und wo stehen wir nun mit der „neuen liturgischen Bewegung“, zu der Kardinal Ratzinger aufgerufen hatte und der sein Beispiel, seine Lehre und seine Gesetzgebung als Papst solchen Schwung verliehen haben? Sollten wir einpacken und nachhause gehen, da der „Chef“ der Bewegung in Rente gegangen ist und die Kirche nun unter neuer Leitung weitergeführt wird?

Ich denke, wir müssen die Natur des Papstamtes und der Liturgie näher betrachten, um die Prinzipien zu erkennen, die uns erlauben, diese Fragen anzugehen, was auch immer zukünftige Bischöfe von Rom zu tragen oder auch nicht zu tragen belieben.“

Zum Papsttum merkt Reid sodann an:

Wir wissen, daß es in der Geschichte gute und schlechte Inhaber des päpstlichen Amtes gegeben hat. In den letzten Jahrhunderten hatten wir das Glück, eine Folge moralisch hochstehender Päpste zu erleben, die der Kirche nach ihren besten Fähigkeiten gedient haben. Ihre Handlungen und Strategien werden weiterhin dem Urteil der Geschichte unterliegen, aber die Männer selbst haben sich selbst voll und ganz und zeitweise in heroischem Maße in den Dienst ihrer einzigartigen Berufung als Nachfolger Petri gestellt.

Doch hier liegt eine Gefahr. Wenn das Wesen des Papsttums und seine gesetzgeberische Machtfülle mit moralisch hochstehenden Amtsinhabern zusammentreffen besteht das Risiko, eine Art Über-Menschen zu produzieren. Tatsächlich besteht die Versuchung, den einzelnen Papst zu verklären und dabei zu vergessen, daß er nur der Vertreter Christi ist. Das kann in den Irrtum des Ultramontanismus führen, zu der Vorstellung, daß jede Ansicht, Handlung oder jedes Urteil des Papstes nicht kritisierbar oder geradewegs unfehlbar wäre und wie die Lehre Christi selbst befolgt werden müsste. Dabei geht es nicht darum, die Autorität des Papstes zu leugnen. Aber auch ein Papst kann in Dingen, die nicht den Glauben oder die Sitte betreffen, autoritative Urteile treffen, die unbedacht, irrtümlich, falsch oder schlecht sind. Auch in solchen Fällen schuldeten wir ihm Gehorsam – und die Kindespflicht, ihm mit Respekt und Demut unsere Gründe dafür zu nennen, warum wir glauben, daß er sich irrt.“

Nachdem er ausgeführt hat, daß Josef Ratzinger sich dieser Begrenzungen Päpstlicher Autorität stets bewußt war, wendet sich Reid der Liturgie zu:

Hinsichtlich des Papstes können wir sagen, daß der Heiligen Liturgie gegenüber den persönlichen Vorlieben oder Wünschen individueller Päpste theologische Priorität zukommt. Historisch haben wir hier ein schwerwiegendes Problem, denn es ist mehr als wahrscheinlich, daß der Verehrungswürdige Paul VI. bei der Umsetzung der Reformen, die das Zweite Vatikanische Konzil verlangt hatte, der liturgischen Tradition der Kirche seinem persönlichen Willen aufzwang. Die Riten, die er promulgiert hat, sind verbindlich und gültig, aber ihre Kontinuität mit der überlieferten Liturgischen Tradition ist alles andere als klar. Es ist auch nicht klar, daß sie der gemäßigten Reform entsprechen, die das Zweite Vatikanische Konzil verlangt hatte. Doch diese Reformen wurden weithin fast ohne Frage akzeptiert, weil sie vom Papst kamen. (...)

Natürlich wollen die Katholiken dem Papst vertrauen und ihm gehorchen, im rechten Geist getan ist das eine Tugend. Aber vom kindlichen Respekt und Gehorsam, den wir dem Heiligen Vater schulden, sind diese Tugenden nur einen Schritt entfernt von dem unkritischen Ultramontanismus, über den sich die Protestanten zu Recht lustig machen und der dem Petrusamt, das Christus seiner Kirche gegeben hat, durchaus fremd ist. Diese Gefahr liegt in unserer Welt der Live-Berichterstattung, der sofortigen Übermittlung von Texten und Bildern, besonders nahe, wenn jede Äußerung und jeder Auftritt des Papstes um die ganze Welt geht, fast noch bevor der Mann selbst Zeit findet, die möglichen Auswirkungen zu bedenken.“

In einer praktischen Anwendung dieser Überlegungen befasst sich Reid später dann ganz konkret mit einigen liturgische Aktionen von Papst Franziskus.

Wessen Füße sollten in der Messe des Gründonnerstag gewaschen werden? Die von Männern oder die von Frauen, die von Christen oder von Nicht-Christen, und warum? Mit allem schuldigen Respekt bin ich der Ansicht, daß die bloße Antwort „Weil es der Papst so gemacht hat“ nicht ausreicht und von glattem Ultramontanismus zeugt.

So kann es nicht funktionieren. Derartiger Positivismus ist dem katholischen Glauben zutiefst fremd. Nicht päpstliche Vorlieben entscheiden über die Liturgie der Kirche, sondern vernünftige liturgische und theologische Prinzipien. Der Bischof von Rom übt seine Autorität dann zu Recht aus, wenn er sein Urteil in liturgischen Dingen auf diese Prinzipien stützt. Wenn er sie jedoch in seinem Urteil oder seiner persönlichen Praxis ignoriert, riskiert er, Verwirrung, Skandal und Spaltung hervorzurufen.“

Im folgenden geht Reid daran, die Grundlinien der für die ganze Kirche, auch für den Papst, verbindlichen liturgischen und theologischen Prinzipien zu umreißen. Wer sein Buch von der organischen Entwicklung der Liturgie kennt, wird vieles davon wiedererkennen. Im Zusammenhang dieses Referates ergibt sich daraus eine kurzgefasste Geschichte der Liturgischen Bewegung, ihrer Erfolge und ihrer Fehlschläge, die aus dem weitverbreiteten Willen zum Bruch mit der Vergangenheit der Kirche hervorgingen. Einem Willen, den auch Benedikt XVI. mit seinem Aufruf zu Reform in Kontinuität nicht brechen konnte. Trotzdem besteht Reid auf der Notwendigkeit und der Möglichkeit, diese Reform als „Reform der Reform“ weiter zu betreiben. Für die Arbeit daran formuliert er einige Prinzipien, von denen das erste und gewichtigste hier zum Abschluß unseres Überblicks hier wiedergegeben sein soll:

An erster Stelle müssen wir uns völlig darüber im Klaren sein, was die Heilige Liturgie ist. Wir brauchen eine wahrhaft katholische Theologie der Liturgie, die die horizontalistischen, wenn nicht sogar protestantischen Irrtümer vermeidet, die allzu viele liturgische Reformen und Aktionen der vergangenen Jahrzehnte angesteckt haben. Die Heilige Liturgie ist das Werk Christi, nicht unseres. In ihm und durch es werden wir in den endgültigen Triumph des auferstandenen Christus über den Tod hineingezogen, der täglich bei der Hl. Messe auf unseren Altären erneuert wird und auch in den anderen Riten der Liturgie gefeiert wird. Wir haben hier nichts zu „machen“; wir feiern das, so würdig wir können, in Respekt und Demut gegenüber seinem Inhalt und gegenüber den Formen, selbst in den unbedeutend erscheinenden Regeln, die wir empfangen haben.

Die katholische Liturgie ist ein christlicher Triumphalismus, der sich wahrhaft auf das Evangelium stützt. Sie ist nichts anderes als die Feier der Wahrheit des Evangeliums, daß die düstersten Schatten des Kreuzes vom Licht der Auferstehung vertrieben werden. In diesem Licht wandeln die Getauften voller Hoffnung und von ihm erhalten wir unsere Sendung , die feierliche Verpflichtung, auch anderen seine erlösende Macht mitzuteilen.

Wenn wir diese Wirklichkeit im liturgischen Ritual feiern und – so wie Thomas von Aquin uns drängt – das Äußerste wagen, das wir können, gehen wir nicht einer pelagianischen oder semipelagianischen Tätigkeit nach, um uns Gottes Gnade zu verdienen. Nein, wir arbeiten mit und geben Zeugnis ab von der Gnade, die wir in der hl. Taufe empfangen haben und die für uns Geschöpfe aus Fleisch und Blut und menschlichem Geist aus gutem Grund vielerlei Anschlußstellen mit dem Handeln Dessen bereit hält, der für unsere Erlösung Fleisch geworden ist. Diese Anschlußstellen – die Riten und Gebete, die sich in der Tradition entwickelt haben – haben ihre sakramentale Wirksamkeit in dieser erlösenden Begegnung empfangen und sind daher geheiligt.“

Den vollständigen Text des Vortrags können Sie hier als PDF herunterladen. Das Bild von Dom Alcuin fanden wir auf New Liturgical Movement im Zusammenhang mit einem ebenfalls sehr lesenswerten Interview, das Alcuin Reid in diesem Sommer anläßlich der „Ad fontes“-Konferenz in Litauen gegeben hat.

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