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Zwiespältiges in Sacrosanctum Concilium

Blick in die mit Bischöfen besetzte KonzilsaulaIm Rahmen unserer Beiträge zum 50. Jahrestag von Sacrosanctum Concilium wollen wir heute die Aufmerksamkeit auf eine Untersuchung von Claudia Wick lenken, die in der Una Voce Korrespondenz 2011, Nr. 1 erschienen ist. Darin formuliert die Autorin mit guten Argumenten Zweifel daran, daß die Autoren des neuen Missale von 1969/70 sich für ihr „Reformwerk“ auf die Liturgiekonstitution stützen können. Darüberhinaus wirft sie die Frage auf, ob SC in seiner Anlage überhaupt geeignet war, als Richtlinie für eine Erneuerung der Liturgie zu dienen. Ausgangspunkt von Wicks Überlegungen ist die Tatsache, daß bereits 1965 ein „erneuertes“ Missale erschienen war, das die Grundstruktur der überlieferten Liturgie weitgehend bewahrte. Der damalige Kardinalstaatsekretär Cicognani hatte in einem Schreiben an die Leser der Neuausgabe des Schott von 1966 ausgeführt,  „Eigenart und Kernpunkt dieser Neubearbeitung ist der vollzogene Anschluss an die Liturgiekonstitution des Konzils.“ Offenbar war man sogar in den höchsten Rängen des Vatikan der Meinung, die Liturgiereform sei damit in den Grundzügen abgeschlossen.

Wir zitieren die daran anschließenden einleitenden Überlegungen von Claudia Wick:

1965 lag also ein traditionelles Missale vor, das gemäß den Vorgaben von SC revidiert und von Papst Paul VI. promulgiert worden war. Wie lässt sich erklären, dass unmittelbar danach eine neuerliche, radikal andere Interpretation des Konzilstextes vorgenommen wurde? Die Darstellung der Neuerer, derzufolge SC ganz eindeutig den Weg zum Novus Ordo Missae (fortan: NOM) gewiesen habe, ist schlechterdings nicht haltbar. Vielmehr scheint die Existenz zweier so verschiedener Auslegungen von SC denjenigen Recht zu geben, die diesem und anderen Konzilstexten mangelnde Eindeutigkeit vorwerfen.

Dass das 2. Vatikanum viele Fehldeutungen erfahren hat, die zu Missbräuchen aller Art führten, wird heute zumindest nicht mehr durchwegs bestritten: selbst höchste römische Stellen drücken sich in dieser Art aus und rufen nach einer authentischen Interpretation des Konzils. Doch wie soll Zweideutigkeit oder gar das Schweigen zu wichtigen Punkten authentisch interpretiert werden? Der beanstandete Text oder das, was man bislang aus ihm herauslas, sind mit Sicherheit keine brauchbaren Kriterien, und nicht besser steht es um die mutmaßliche Intention der Verfasser. Letztendlich gilt jedoch für einen Text, der innerhalb der katholischen Kirche Autorität beanspruchen will, nur ein Kriterium: er muss sich in Übereinstimmung mit der Tradition befinden. Es könnte also durchaus interessant sein, anhand von expliziten Äußerungen im Text von SC die Haltung dieser Konstitution zur Überlieferung zu untersuchen.

Die Ausbeute einer solchen Untersuchung ist ausgesprochen dürftig. Eine gebührende Würdigung der Tradition, wie man sie etwa in der Enzyklika Mediator Dei von Pius XII. findet, sucht man in SC vergebens. Dies erscheint bedenklich, da doch dieses Dokument nichts weniger als eine Reform der gesamten Liturgie anordnet, nicht bloß einzelner Teile, also einen Auftrag erteilt, der mit enormer Verantwortung verbunden ist. Wie leicht kann selbst gutgesinnter Eifer über das Ziel hinausschießen! Papst Pius hat das Problem bereits 1947 klar benannt, als er tadelnd von den maßlosen Bestrebungen »einiger allzu neuerungssüchtigen Leute« sprach (MD 373). Wäre es nicht dringend angezeigt gewesen, dieser Gefahr dadurch entgegenzutreten, dass man die respektgebietende Größe der jahrhundertealten Tradition tief im Bewusstsein aller Verantwortlichen verankerte? Um eine ausgewogene Reform sicherzustellen (etwa gemäß dem Prinzip: »so wenig wie möglich, so viel wie nötig«), hätte der Respekt vor der Überlieferung ein genau so wichtiges, ausdrücklich festgeschriebenes Kriterium sein müssen wie die fortwährend verlangte Anpassung an die Notwendigkeiten und Erfordernisse der Zeit oder die Förderung der tätigen Teilnahme durch die Gläubigen. Ein solches Gegengewicht fehlt in SC jedoch so gut wie vollständig.“

Die Autorin lässt es nicht bei dieser Behauptung. Der Hauptteil ihres Artikels besteht darin, diese Aussage anhand zahlreicher Einzelformulierungen aus dem Konzilsdokument zu belegen. Es ist zu hoffen, daß die älteren Ausgaben der Una Voce Korrespondenz bald wieder online zugänglich gemacht werden, um diese wertvollen Materialien in die Diskussion einzuführen.

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