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Ruinen im Licht

Am 4. Dezember 1963 - also genau vor 50 Jahren - verabschiedete das 2. Vatikanum als erstes Hauptdokument die Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium. Bereits damals sah der Philosoph und Dogmatiker P. Eduard Kamenicky (1925-2008) die Entwicklung nicht als Vorbote eines neuen Frühlings, sondern erkannte darin ein Zerstörungswerk mit unabsehbaren Folgen. Aus seiner Essaysammlung Ruinen im Licht übernehmen wir den speziell der Liturgiereform gewidmeten Text „Römische Ruinen“. Das 1992 im Verlag von Josef Kral erschienene schmale Werk ist im Internetbuchhandel erhältlich, die Lektüre ist sehr zu empfehlen.

Römische Ruinen

Kaum hatte sich der Rauchpilz der letzten Brandschatzung über dem ausgedehnten Gelände der römischen Liturgie etwas aufgelöst, so daß in der eingetretenen Stille ein erster Überblick über das Ausmaß der Verheerungen möglich wurde, als eine neue Detonation die Luft erschüttert und in ihren Fernwirkungen die Kirche beben macht. Diesmal ist es der edle Bau der Vorfastenzeit und eine Reihe uralter Solemnia des römischen Festjahres, die vom Sprengdienst der zuständigen Organe in gewohnt perfekter Manier betreut wurden. Gleichzeitig hat man den „kleinen Kanon“ der römischen Messe, dieses sprachliche und rituelle Kleinod katholischer Opfertheologie, das mit seiner klaren Aussage eine unüberhörbare Reprobation allen neuen Schmaus- und Geselligkeitsverständnisses des liturgischen Geschehens darstellte, in Schutt und Asche gelegt. Der Papst selber habe „motu proprio“, wie es heißt, die Lunte gezündet, die freilich längst manu aliena installiert worden war. Wieder wurde im Zuge der Liquidierung alten Wustes ein großer Fortschritt erzielt.

Vermutlich geziemte es uns, darob in dankbaren Jubel auszubrechen. Denn so sehr unsere Generation eine nie dagewesene Reife und Mündigkeit für sich in Anspruch nimmt, im Vergleich zu der alle früheren Geschlechter geradezu als debil erscheinen, huldigt sie doch andererseits Denk- und Lebensformen typisch infantiler Art und gebärdet sich auf jene Weise, die man in der Diktion des ersten Korintherbriefes schonend mit den Worten „hos nepios“ umschreiben kann (13,11). Daß Kinder klatschen und Halbwüchsige grölen vor Spaß, wenn es kracht, ist bekannt. Allerdings hat die Zerstörungslust noch ganz andere Dimensionen. Und weil es sich gerade um Rom handelt, obgleich in geistigem Sinn, wird der Erinnerung bewußt, daß man diese Stadt auch in ein Flammenmeer tauchen kann, um vor eindrucksvoller Kulisse den Untergang Ilions zu singen.

Ambitionen von solch kulturellem Timbre hat heute freilich niemand. Auch dienen die Trümmer des Geborstenen fernerhin keinem konstruktiven Zweck, es sei denn der Analyse konstantinischer Verirrungen. Die Geschichte geißelt mit Recht den Unverstand jener, die die Denkmale des antiken Rom als Steinbruch behandelten, mag aus diesen Materialien auch Bedeutsames gebaut worden sein. Bekannt ist die Klage: quod non fecerunt barbari, fecerunt Barberini. Das gegenwärtige Geschehen ist wohl bedenklicher, weil es von einem „l'ere pour l'ere“ beherrscht wird, dem die Verantwortung für das Künftige ebenso fremd scheint wie das Verständnis für das Gewachsene. Heute hält die Kirche für den Bilderstürmer nicht den Bann bereit, sondern das Beil. Et quod non faciunt iconoclastes, faciunt ecclesiastes.

Was ist nicht alles vorsätzlich und nach psychologisch ausgezeichnetem Stufenplan abgebrochen worden seit jenen fernen Tagen, da uns angesichts des Psalterium Pianum zum ersten Mal die beifallbereiten Hände in stiller Enttäuschung herabsanken! Damals knüpfte man ja Hoffnung an die Idee der Erneuerung, und Reform hatte noch einen frommen Klang. Wenn wir heute hinabsteigen in die weiten Ruinen unseres Hauses - denn das war die römische Liturgie für uns, die wir ganz in ihr lebten -, staunen wir über Ausmaß und Gründlichkeit der seither verübten Tat.

Da liegt, fast vergessen bereits, die einst hochragende Säule des Athanasianischen Credo, rings um sie türmen sich die Trümmer der Prim, jener dschungelhaften und doch so tiefsinnigen Hore, die den vernünftigen Betern und Nicht-Betern ein besonderer Dorn im Auge war. Gespenstisch ragen die grandiosen Reste der römischen Messe auf. Der Fuß irrt hilflos durch die Scherben verworfener Riten, die ein schier endloses Feld bedecken. Zwischen zerschlagenem Zierat funkelt Kostbares auf: Altar und Tabernaculum und inmitten - ja, wir täuschen uns nicht: der Glaube. Knietief der Schutt von Suffragien und Preces, verschollenen Commeinorationen und Zeremonien inniger Art. Und was einst wie Weihrauch zum Himmel stieg, wirbelt der Zeitwind auf zu einer Wolke von Staub.

Das alles ist geschehen „zu unserer Zeit“, da wir die Kirche waren in dieser Welt. Vielleicht, daß uns dieser Gedanke am tiefsten trifft. Überfällt uns nicht bei jenem trostlosen Anblick das Grillparzer-Wort: „Wir waren auch dabei und haben es gewollt“? Gewiß, wir waren dabei. Wir haben der Zerstörung nicht zu wehren gewußt. Wir haben das alles wie ein Verhängnis hingenommen. Aber gewollt haben wir es niemals. Niemals.

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