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Iesuita non cantat

Anknüpfend an eine längst vergessene Episode aus der Frühzeit der liturgischen Bewegung hat Dom Mark Kilby, der Prior des Klosters Unserer Lieben Frau vom Obergemach in Irland, kürzlich in seinem Blog Vultus Christi einige höchst bemerkenswerte Überlegungen zur Geschichte der Liturgiereformen und zum Verständnis des aktuellen Pontifikats zusammengetragen. Der Benediktiner Lambert Beauduin hatte damals, noch vor dem 1. Weltkrieg, festgestellt, daß die Geistlichen Exerzitien des Hl. Ignatius eher den Individualismus fördern als einen Geist der Unterordnung unter das in der Liturgie ausgedrückte allgemeine Programm der Kirche und davor gewarnt, diese Position zu verallgemeinern. Er rief damit erbosten Widerspruch von Jesuiten hervor, die nicht nur ihr „modernes“ Verständnis von Glaube und Kirche, sondern auch den Kern des „Geschäftsmodells“ ihres Ordens in Frage gestellt sahen.

Im Zuge der Entwicklung hat die Frage, inwieweit das geistige Leben der Kirche und des Einzelnen von der Einbettung in die liturgische Tradition abhängt oder nach den Ansprüchen des Tages disponibel ist, in den vergangenen Jahrzehnten für die meisten praktischen Zwecke eine eindeutige Antwort gefunden: Verheutigung soll alles, Tradition nur noch Erinnerung an etwas sein, das es nicht mehr gibt. Die Wahl eines Jesuiten zum Bischof von Rom bildet somit nur den vorläufigen Höhepunkt einer konsequenten Entwicklung, deren weiterer Verlauf freilich völlig unabsehbar geworden ist.

Dabei liegt – das sei aus dem Fazit P. Kilbys zuspitzend vorweg genommen - die Ursache der Probleme weniger in den für sich durchaus bedenkenswerten Ansätzen des Heiligen Ignatius, sondern in deren vom Geist des Modernismus getragenen Verabsolutierung und totalitären Durchsetzung: Die Epigonen verloren Maß und Ziel.

Die Liturgie - überragend und unentbehrlich

Von Dom Mark Kilby auf Vultus Christi

Fr. Blake aus Brighton hat kürzlich in seiner üblichen klaren Aussprache festgestellt:

Ich sehe in den Jesuiten und im Geist des Konzils von Trient die Schuldigen für die Verkopfung von Gebet und geistlichem Leben. Vor Trient war das Leben der Christen voller Handlungen, Zeichen und Symbole. Gebet war mehr als nur stille Versenkung; es erstreckte sich auch auf Körper, leibliche Bußübungen, Fasten, Fußfälle und tiefe Verbeugungen, Pilgerfahrten, Prozessionen, Almosengeben, Fürsorge für Bedürftige – all das bildete das Umfeld des Gebetslebens.“

Dieser Disput ist nicht neu. Tatsächlich bildete er schon zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts den Angelpunkt einer leidenschaftlichen Auseinandersetzung zwischen gelehrten Benediktinern und Jesuiten. Auf Seiten der Benediktiner waren Dom Lambert Beauduin, der Gründer von Amay, und Dom Maurice Festugière die Hauptprotagonisten. Auf Seiten der Jesuiten waren das P. Jean-Jaques Navatel und später P. Louis Peeters. (Aus dem deutschen Sprachraum kann man hier für noch später den Namen Joseph Jungmann ergänzen - d. Ü.)

Individualismus oder Unterordnung

Dom Beauduin ging davon aus, daß die Geistlichen Exerzitien des Hl. Ignatius eher den Individualismus fördern als einen Geist der Unterordnung unter das in der Liturgie ausgedrückte allgemeine Programm der Kirche, da sie sich stark auf den Einzelnen und seine psychischen Reaktionen auf die ihm vorgelegten Betrachtungsgegenstände konzentrieren, die ihrerseits weitgehend unabhängig vom Liturgischen Kalender der Kirche sind. Der jesuitisch geschulte Geist tendiert dazu, die Dinge auf seine Weise anzugehen. Der benediktinische Geist wird demgegenüber dazu erzogen, in ehrfürchtigem Bezug auf die Tradition zu leben und findet den reinsten Ausdruck und die stärkste Wirkung der Tradition in der Liturgie.

Die Jesuiten als praktisch veranlagte Leute sind daran gewöhnt, ihre privaten Gebete so zu verrichten, wie es sich gerade ergibt. Dem Rituellen, gemeinsamen Zeremonien und den Rubriken gegenüber sind sie eher misstrauisch. Nec cantat, nec rubricat. Diese Haltung gegenüber dem privaten Gebet beeinflusst sogar die Art und Weise, in der einige Jesuiten die Heilige Messe feiern. Benediktiner sind insgesamt daran gewöhnt, sich allen Riten, Zeremonien und Rubriken, die ihnen überkommen sind, unterzuordnen. Geschult durch die tagaus tagein verbrachten langen Stunden im Chor setzen sie den Körper gewohnheitsmäßig in einer heiligen Choreographie ein, die ihr innerstes Verlangen nach Gott zum Ausdruck bringt. So, wie der jesuitische Ansatz zum privaten Beten auch ihr Verhältnis zur Liturgie beeinflusst, beeinflussen die liturgischen Instinkte eines Benediktiners sein persönliches Gebet.

Vor langer Zeit einmal Exezitien

Wenn ich nach meinen eigenen Erfahrungen gehen will, muß ich mich Dom Beauduin anschließen. Ich habe mich einmal unter der Leitung eines erfahrenen und renommierten Jesuitenpaters mit Ignatianischen Exerzitien versucht. Das war mir alles sehr fremd – fast wie eine andere Religion. Ich sah mich außerstande, nach einer geistlichen Methode zu verfahren, die vom Stundengebet und dem Kreis der liturgischen Zeiten, Feste und Fasten abstrahierte, die das ausdrücken, was Dom Beauduin als la pieté de l‛Eglise, die Frömmigkeit der Kirche, bezeichnet hat. Die Gleichgültigkeit des guten Paters gegenüber dem Stundengebet – er meinte, wer so etwas möge, solle das halt machen – warf einen Frosthauch über die ganze Erfahrung. Ich hielt bis zum Ende der Exerzitien durch und tat mein bestes, die vorgeschriebenen Meditationszeiten einzuhalten. Kürzlich fielen mir meine damaligen Aufzeichnungen wieder in die Hände. Es war keine ganz fruchtlose Mühe. Aber ich fand es doch merkwürdig, nach einem subjektiven eigenen Weg zu suchen und dabei den ganzen Reichtum der heiligen Liturgie, der so allgegenwärtig zugänglich ist und in tausenderlei Strömen lebendigen Wassers fließt, außen vor zu lassen.

Das Urteil Dom Beauduins

Für Dom Lambert Beauduin enthielt der jesuitische Ansatz die Gefahr, Heiligkeit mehr von der persönlichen Anstrengung abhängig zu machen als von der eigenen Unterordnung im Glauben unter das objektive und heilbringende Walten der Liturgie der Kirche. Dabei ging Dom Beauduin so weit, zu sagen, und ich zitiere das aus seinem Gespräch mit P. De Montrichard, daß „die ganze Methode des hl. Ignatius, wenn man sie als die wesentliche Grundlage christlicher Frömmigkeit ansieht, sich zerstörerisch auf den katholischen Geist, auf das Allgemeine auswirkt“.

Die Kontroverse

Die Kontroverse zwischen Benediktinern und Jesuiten über den Stellenwert der Liturgie im christlichen Leben entzündete sich 1913, als Dom Festiguère, ein Mönch von Maredsous, einen längeren Artikel in La Revue de Philosophie veröffentlichte, in dem er die Lehre von Papst Pius X. nach La Tralle Solicitudine (1903) ausführte: Die Liturgie ist die erste und unentbehrliche Quelle wahren christlichen Geistes. Einige Jesuiten, die man auf diesen Artikel aufmerksam gemacht hatte, stießen sich an dieser Voraussetzung und gingen daran, dem ihr eigenes Argument hinsichtlich der Geistlichen Exerzitien entgegenzusetzen. Als glühende Söhne des hl. Ignatius, unter ihnen der gelehrte P. Naval, der Leiter der Jesuitenzeitschrift Études, behaupteten sie selbst im Gegensatz zur klaren Aussage Pius X., daß die Liturgie keinesfalls als erste und unentbehrliche Quelle christlicher Frömmigkeit anzusehen sei und daß man auf dem Weg zur Heiligkeit voranschreiten könne, auch ohne am liturgischen Leben der Kirche teilzunehmen, natürlich nicht ohne die Sakramente. Viele Jesuiten und zahlreiche Ordensgemeinschaften und frommer Vereinigungen unter Anleitung der Jesuiten fühlten sich von der Neuen Welle der Wertschätzung für die Liturgie betroffen und befürchteten, das sie an Popularität zunehmen und letztlich die Anziehungskraft der geistigen Exerzitien und der anderen davon abgeleiteten Frömmigkeitsformen verringern könnte.

Dom Festiguère blieb unbeirrt bei seiner Verteidigung der Lehre Pius‛ X. und wiederholte sie willkommen oder unwillkommen:

Wir erachten es für notwendig, vor allem anderen für die Heiligkeit und Würde des Tempels zu sorgen, in dem die Gläubigen zu keinem anderen Ziele zusammenkommen als den Geist von seiner höchsten und unentbehrlichen Quelle zu empfangen, welche die participatio actuosa an den allerheiligsten Geheimnissen des öffentlichen feierlichen Betens der Kirche darstellt.“ (TLS 22. Nov. 2013)

Dom Lambert Beaudouin entwickelte die gleiche Grundvorstellung in seinem epochalen Essai La Pieté d l‛Eglise (1914). Er zeichnete nach, wie das Grundgerüst christlicher Frömmigkeit und Mystik bereits in den liturgischen Büchern der Kirche - im Missale, Brevier, Pontificale und Rituale – enthalten ist und sah in ihnen die „höchsten und unentbehrlichen“ Quellen Christlichen Lebens.

Der Selige Columba Marmion

Der heiligmäßige irische Abt von Maredsous, der Sel. Columba Marmion, mischte sich auf Seiten von Dom Festiguère und Dom Beauduin in die Auseinandersetzung ein. In einem Schreiben an den oben genannten Provinzial der belgischen Jesuiten P. Louis Peters von 1914 bekannte der Sel. Marmion, vor seinem Eintritt in Maredsous zweimal die Geistlichen Exerzitien des hl. Ignatius absolviert zu haben, und das nicht ohne Gewinn. Als junger Diözesanpriester begrüßte er die Ignatianische Methode so, wie sie damals den Priestern und Seminaristen angeboten wurde. „Unter der Leitung eines kenntnisreichen Leiters“ so Marmion, „sind die Exerzitien des hl. Ignatius ein unvergleichlich wirkungsvolles Mittel , sich von weltlichen Ansichten und Lastern zu lösen und den Weg zu Gott zu erschließen.“ (Brief Marmions an R.P. Peters S.J.) Doch dann fuhr er fort:

In der Praxis habe ich jedoch festgestellt, daß die große Mehrheit der Priester , die sie im Seminar kennengelernt und praktiziert haben und sich vorgenommen hatten, daran auch als Priester weiterhin festzuhalten, von den Schwierigkeiten und der Trockenheit dieser Methode überwältigt wurden und schon bald nach Verlassen des Seminars zum großen Schaden für Ihr Seelenheil und ihre Amtsführung jede Art von Meditation aufgaben.“

Dieses Urteil des Sel. Marmion hat Gewicht, verfügt Marmion doch über eine große Erfahrung als Ratgeber. Wie Dom Festiguere und Dom Beauduin kritisierte der Sel. Abt Marmion am Ignatianischen Ansatz, daß er sich im Wesen von der Quelle allen Gebetes in der Liturgie entfernt hat. Er betrachtete das als subjektiv und individualistisch und die Ursache für ungute Komplikationen und für einen übertriebenen Voluntarismus. Auf die Anfrage eines Ordensmannes, der seinen geistlichen Rat suchte, antwortete der Selige:

Ich bin ein erbitterter Gegner dessen, was man als Seelenführung bezeichnet. Nur der Heilige Geist kann Seelen formen, und der Ratgeber kann der Seele seines Zöglings nur die Straße zeigen, auf der Gott sie führen will, ihr einige allgemeine Verhaltensregeln geben, ihren Fortschritt nachverfolgen und bei Problemen, wenn überhaupt, gelegentlich Ratschläge geben. Wenn wir uns bei den Exerzitien kennengelernt haben, sollten zwei oder höchstens drei Briefe im Jahr ausreichen. Das gilt insbesondere für einen Ordensmann, dessen geistiges Leben sich auf die Liturgie stützt. Diese Quelle für ihre Seelennahrung ist so rein, daß ihr Geist weitaus weniger in Irrtümer oder Halluzinationen verfällt als jene, die ihr ganzes geistiges Leben aus ihrem eigenen Bewußtsein heraus entwickeln.“

Die Frage des Chorgebets

Die tiefste Ursachen der Kontroverse liegen meiner Ansicht nach ganz weit zurück bei der Abschaffung des gemeinsamen Chorgebets bei den Jesuiten Im Jahr 1550. Auch wenn dieser Schritt durch ein drängendes Bedürfnis für mehr missionarische Freiheit und Beweglichkeit diktiert wurde, ist die Weigerung der Jesuiten, sich der Tradition des Chorgebetes zu unterwerfen, doch Ausdruck der Krise, die schon seit längerem das prekäre Gleichgewicht im Dreieck Liturgie, Theologie und Frömmigkeit in Frage gestellt hatte. Die Liturgie nahm Zuflucht in den Klöstern, die Theologie verlegte ihr Geschäft an die Universitäten, und die Frömmigkeit fand eine neue Heimstatt bei den Vertretern der Geistlichen Übungen und ihren Schülern.

Dabei ist einzuräumen, daß der hl. Ignatius selbst das liturgische Gebet in gewissem Umfang durchaus schätzte. In den Geistlichen Exerzitien empfiehlt er, den Tagesablauf so einzurichten, „daß die Teilnehmer jeden Tag an der hl. Messe und der Vesper teilnehmen können, ohne befürchten zu müssen, daß ihnen dabei Hindernisse bereitet werden“. Er wollte zwar nicht, daß seine Männer in ihren eigenen Häusern zum Chorgebet verpflichtet wären, aber er hatte nichts dagegen einzuwenden, daß sie, wann immer es sich anbot, in Klöstern und Stiftskirchen am Stundengebet teilnahmen.

Poesie, Wissenschaft und das Praktische

Der Beginn des 1. Weltkrieges 1914 brachte die Kontroverse zwischen Jesuiten und Benediktinern eine Zeit lang zum Schweigen. Sie kommt jedoch immer wieder an die Oberfläche und bildet einen wunden Punkt selbst für gelehrte und fromme Männer, treue Söhne der Kirche. In seinem berühmten Essay über die Mission des hl. Benedikt erkennt der sel. John Henry Newman an, daß es eine Anzahl unterschiedlicher Charismen in der Kirche geben muß. Drei davon hebt er besonders hervor, das der Benediktiner, das der Dominikaner und das der Jesuiten. Den Söhnen des hl. Benedikt schreibt er die Gabe der Poesie zu, denen des hl. Dominikus die der Wissenschaft und denen des hl. Ignatius die Fähigkeit zum Praktischen.

Dem hl. Benedikt, der mit gutem Recht als Repräsentant aller monastischen Familien sowohl vor seiner Zeit als auch der sich auf sein Erbe berufenden Nachkommen gelten kann, diesem großen Heiligen möchte ich als sein ganz spezifisches Kennzeichen die Gabe der Poesie zuschreiben; dem hl. Dominiks das wissenschaftliche Element und dem hl Ignatius das praktische.“

Was wäre die Kirche ohne das Epos der heiligen Liturgie? Was ist Wissenschaft ohne Poesie? Und wohin soll sich der Mann der Praxis, der Jesuit, wenden, wenn er nicht den Poeten, den Mönch hat, der ihm den Weg zeigt?

Veröffentlich auf Vultus Christi . Dom Kirby hat seitdem noch einige weitere Beitrtäge zu diesem Themenbereich veröffentlicht – wir prüfen die Übersetzung.

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