Kardinal Sarah kritisiert die technokratische Liturgiereform
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- 12. März 2015
Seit November ist Cardinal Robert Sarah aus Guinea Präfekt der römischen Gottesdienstkongregation. Nun hat er in einem Interview mit Aleteia zu verschiedenen aktuellen Fragen Stellung genommen. Wir können nicht beurteilen, wie tragfähig alle seine zu den verschiedensten Gebieten geäußerten Ansichten sind - aber was er zu seinem Verständnis von Liturgie dargelegt hat, war durchaus beeindruckend. Aleteia-Autorin Élisabeth de Baudoüin sprach den Kardinal direkt auf seine Ausführungen zu den innerkirchlichen „Liturgiekriegen“ in seinem soeben erschienenen Buch God or Nothing an; Eminenz Sarah antwortete:
Das zweite vatikanische Konzil hat niemals von uns verlangt, uns von der Vergangenheit loszusagen und die Messe des hl. Papstes Pius V. aufzugeben, die so viele Heilige hervorgebracht hat. Ebensowenig die Anbschaffung des Latein. Allerdings sind wir aufgerufen, die liturgischen Reformen zu fördern, zu denen das Konzil selbst aufgerufen hat. Die Liturgie ist auf ganz besondere Weise der Ort, an dem wir Gott von Angesicht zu Angesicht begegnen, Ihm unser ganzes Leben und unsere Arbeit und all das zu seiner Ehre aufopfern. Wir können die Liturgie doch nicht in Waffen feiern, mit den Waffen des Hasses, des Kampfes und der Abneigung. Jesus selbst hat gesagt, Bevor ihr euer Opfer darbringt, versöhnt euch mit eurem Bruder. In dieser Begenung mit Gott muss unser Herz frei sein von allem Hass und aller Verachtung. Jeder muss alles aus seinem Herzen entfernen, was einen Schatten auf diese Begegnung werfen könnte. Das verlangt auch den Respekt vor den Empfindungen der jeweils anderen.
Das ist genau die Absicht hinter dem Motu Proprio Summorum Pontificum vom Juli 2007. Papst Benedikt XVI. hat viel Energie und Arbeit in dieses Projekt investiert. Aber er war nicht wirklich erfolgreich, weil die Gläubigen an ihren jeweiligen Riten festhielten und sich voneinander abwandten. In der Kirche sollte jeder und jede die Möglichkeit haben, den Gottesdienst nach der eigenen Spiritualität zu feiern. Das ist eine Voraussetzung jeder Aussöhnung. Dabei sollte man großen Wert auf die Schönheit und die Heiligkeit der Liturgie legen. Die Eucharistie ist kein „Mahl mit Freunden“ - sie ist ein heiliges Geheimnis. Wenn sie mit Hingabe und Schönheit gefeiert wird, werden wir sicher zu einer Verständigung kommen. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß die Versöhnung von Gott kommt, und daß es dafür Zeit braucht.“
Das ist in vielem bemerkenswert - vor allem, weil der Kardinal in den stärksten denkbaren Ausdrücken einräumt, daß Spaltung und Kampf bis hin zum Haß zu den sonst nur in den höchsten Tönen gelobten „Früchten“ der Liturgiereform gehören. Ungewöhnlich ist auch seine Feststellung, das 2. Vatikanum habe weder die Aufgabe der überlieferten Liturgie noch die Abschaffung der lateinischen Liturgiesprache gefordert. Auch wir haben zwar immer diese Meinung vertreten, mussten uns aber stets belehren lassen, vor allem auch in den hier in den letzten Tagen zitierten Ansprachen Papst Pauls VI., genau dies sei der Willen der Konzilsväter gewesen. Kardinal Sarah konstatiert hier nicht weniger als einen Widerspruch zwischen dem, was das Konzil gefordert, und dem, was Papst Paul VI. und die Reformer daraus gemacht haben. Damit wird man sich in der Zukunft ernsthaft auseinandersetzen müssen.
Wiederholt weist der Kardinal darauf hin, in der Kirche müsse jeder „die Möglichkeit haben, den Gottesdienst nach der eigenen Spiritualität zu feiern“. Auch damit befindet er sich im direkten Widerspruch zu der von Papst Paul auf denkbar autoritäre Weise unterstützten Absicht der Bugnini-Reformer, die von ihnen erfundene und propagierte Form von Spiritualität als die in der Gegenwart einzig zulässige durchzusetzen.
Der Präfekt der Gottesdienstkongregation impliziert dabei allerdings, daß die Unterschiede zwischen dem neuen und dem überlieferten Ordo sich alleine auf solche der Spiritualität beschränken. Damit folgt er der Interpretation Paul VI., die dieser anläßlich der Promulgation des neuen Missales ebenfalls in den stärksten denkbaren Wendungen vorgetragen hat - ohne dem freilich ebenso starke Maßnahmen gegen eine Theologie folgen zu lassen, die immer wieder das Gegenteil behauptete. Auch hier liegt für die Zukunft ein Feld unausweichlicher Auseinandersetzungen.
Als Kern dieser Auseinandersetzungen wird immer deutlicher die Frage nach dem Verhältnis von Form und Inhalt in der Liturgie erkennbar. Ist es möglich, die Formen durch administrativen Akt quasi von einem Tag auf den anderen grundstürzend zu ändern - und gleichzeitig zu behaupten, an den Inhalten ändere sich nichts? Kann man die dogmatisch-intellektuelle Ebene so weit von den sinnlichen Erfahrungen und den emotionalen Abläufen trennen? Ist es denkbar, Wahrheiten des Glaubens im Bewußtsein des Kirchenvolkes lebendig zu erhalten, wenn man „aus pastoralen Gründen“ darauf verzichtet, diese in Wort und Zeichen klar auszusagen - während gleichzeitig innerhalb und außerhalb der Kirche durchaus wortreich deren Geltung bestritten wird? Es geht also nicht darum, Papst Paul VI. ein Abrücken von den von ihm immer wieder bekräftigten Glaubensgrundsätzen vorzuwerfen. Es geht um den Zweifel an dem von ihm geteilten und durchgesetzten Verständnis spiritueller Psychologie, das eine sozial-ingenieursmäßige und technokratische Reformation und Deformation der Liturgie ermöglichte.
Kardinal Sarah scheint in dieser Hinsicht ein den inzwischen sichtbar gewordenen Realitäten eher entsprechendes Verständnis zu haben. Es wird spannend werden, zu beobachten, inwieweit das in seiner zukünftigen Arbeit als Präfekt der Gottesdienstkongregation zum Tragen kommen kann.