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Zu den ersten Tagen der Karwoche - Osterliturgie 7

Die ersten drei Tage der Karwoche bieten auch in den Büchern vor 1955 keine großen liturgischen Besonderheiten. Wie bereits seit dem Palmsonntag entfällt zum Beginn der Messe der Psalm Judica. Außerdem wird am Schluss des Introitus und nach dem Psalm Lavabo das Gloria Patri weggelassen – quasi als ein textliches bzw. akustisches Äquivalent zur ebenfalls mit dem Palmsonntag einsetzenden Verhüllung der Kruzifixe. Rupert von Deutz erklärt bereits zum Beginn des 12. Jahrhunderts den Verzicht auf das „Ehre sei dem Vater ebenso wie die Verhüllung der Kreuze mit der Aussage des Evangeliums vom Palmsonntag, daß Jesus sich vor den aufgebrachten Pharisäern und ihren Gefolgsleuten verbarg (Joh. 8, 59) und nicht mehr „öffentlich unter den Juden umherging“ (Johannes 11, 54):

Auch wir gehen in gewisser Weise mit ihm weg, da wir die Stimme der Freude und des Lobgesangs um eine weniges unterdrücken. Denn bei den Responsorien lassen wir „Ehre sei dem Vater" weg, und einige Gemeinschaften singen es auch nicht in den Messen zum Introitus des Offiziums. Weil dieser Versikel, wiewohl er nur kurz ist, in besonderem Maße ein ausdrücklicher und ein der heiligen Dreifaltigkeit eigentümlicher Lobpreis ist, weist es, wenn er nicht gesungen wird, deutlich auf die Verlassenheit und das Verstummen unseres Hauptes hin, das nicht mehr öffentlich umhergeht.

Der Psalm Judica wird „weggelassen, das Gloria Patri „entfällt - so erscheint es aus der Perspektive einer entwickelten Liturgie, einer Perspektive, die wir Heutigen über fast 1000 Jahre hinweg mit Rupert von Deutz teilen. Amalar von Metz, der knapp 200 Jahre vor Rupert schrieb, war der historischen Genese dieses speziellen Brauches noch näher und schreibt, man (nicht unbedingt er selbst) könne sich noch an eine Zeit erinnern, zu der diese Doxologie „in unserer Kirche (überhaupt) nicht gesungen worden sei. Tatsächlich ist nach Eisenhofer das Gloria Patri in der Rupert wie uns geläufigen Form mit dem „sicut erat in principio et nunc et semper" erst ab dem 6. Jahrhundert im Westen mit Nachdruck eingeführt worden – im Zug der Auseinandersetzung mit den Arianern, die Christus nur eine zeitlich begrenzte Existenz als Geschöpf des Vaters zugestehen wollten. 

Wegen der von Baumstark festgestellten Pietät gegenüber traditionellen Formen, die besonders hochrangigen Liturgien eine Art von „Bestandsschutz verliehen, wurde diese „Neuerung" jedoch nicht auf die Gottesdienste der Karwoche ausgedehnt – hier wurde also nichts „weggelassen, sondern man verzichtete darauf, etwas hinzuzufügen. Dieser historische Genese war im 12. Jahrhundert anscheinend längst vergessen, und die als solche empfundene Fehlstelle verlangte nach einer sinngebenden Erklärung – und die ist Rupert von Deutz mit seiner (von ihm vermutlich schon vorgefundenen und nicht selbst ausgedachten) Allegorese wunderbar gelungen. Beide Erklärungen stehen auch auf gar keine Weise im Widerspruch zueinander – sie operieren auf völlig verschiedenen Ebenen und funktionieren in völlig verschiedenen Bezugssystemen. Wenn eine einseitig auf historisch genetische Zusammenhänge fixierte Liturgiewissenschaft meint, auf eine dieser Ebenen verzichten zu oder sie ganz verwerfen zu können, dokumentiert sie nur ihre bedauerlichen Defizite.

Keine besondere Erklärung bietet Rupert für die Auslassung des Psalms Judica – vielleicht erschien das unnötig, da eben dieser Psalm am Passionssonntag den Introitus stellt und sich sonst eine Verdoppelung ergeben hätte. Das erklärt aber noch nicht, warum der Psalm Judica auch an den anderen Tagen der Woche nach dem Passionssonntag und der Karwoche nicht gebetet wird. Auch hier bietet Baumstarks Gesetz einen Ansatz: Alles deutet daraufhin, daß ein Staffelgebet, wie es später nach Trient vorgeschrieben wurde, zu Zeiten Ruperts und erst recht Amalars noch gar kein regulärer Bestandteil des Ordo war. Die ersten Erwähnungen, daß der Psalm Judica vom Zelebranten mit den anderen Offizianten auf dem Weg zum Altar gesprochen wurde, stammen nach Jungmann ohnehin erst aus dem 10. Jahrhundert. Demnach ist also auch hier nichts „weggelassen worden, sondern eine in der Sache durchaus zu rechtfertigende Neuerung wurde aus frommer Scheu vor den Sitten der Väter nicht in die Liturgien der heiligsten Tage des Jahres übernommen.

Es ist die Abwesenheit dieser „frommen Scheu vor den Sitten der Väter, die die moderne Liturgie der Bugninisten zu jenem „banalen Produkt des Augenblicks machte, als das Joseph Ratzinger 1990 das Ergebnis der Liturgiereform identifizierte.

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