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Liturgien des Gründonnerstag - Osterliturgie 9

Die Liturgien der großen Festtage nahmen in früher Zeit mehr oder weniger raumgreifend den ganzen Tag in Anspruch – es blieb, so berichtet es Egeria aus dem Jerusalem des 4. Jahrhunderts – kaum Pausen für eine Mahlzeit oder ein paar Stunden Schlaf. Die Horen des Offiziums, eine oder mehrere Messfeiern und besondere oft mit Prozessionen innerhalb oder außerhalb der Kirche verbundene Zeremonien verschmolzen zu einer vielstündigen Liturgie von der Vesper oder Vigil am Abend des Vortags bis zur Vesper des nächsten Tages oder noch weiter.

Der Gründonnerstag bietet ein gutes Beispiel dafür, daß das auch während des frühen europäischen Mittelalters so gehalten wurde. Am Morgen wurden die öffentlichen Büßer, die seit Aschermittwoch nicht mehr voll an der hl. Messe Gottesdienst teilgenommen hatten, in einer feierlichen (und mehrstündigen) Zeremonie feierlich wieder zu den Sakramenten zugelassen – nachdem sie ihre Sünden bereut, praktische Buße geleistet und Besserung gelobt hatten. Inwieweit diese Bußgottesdienst von Anfang an mit einer Messfeier verbunden war, geht aus den hier vorliegenden Beschreibungen nicht hervor. Als die Übung der öffentlichen Buße mehr und mehr außer Gebrauch kam, trat eine mit dem Bußgedanken verknüpfte Messfeier an deren Stelle.

Im Rahmen einer zweiten Messfeier erfolgte sodann die Weihe der heiligen Öle. Die Weihe der verschiedenen Öle war nach Rupert von Deutz verpflichtend in die Opferung eingebunden, für die „Hauptweihe“ des Chrisams gab es eine eigene Weihepräfation. Die Hauptweihe wurde mit einer Prozession und besonderen Zeremonien zur Verehrung der Öle durch Klerus und Volk abgeschlossen – dann wurde die hl. Messe mit der Präfation zum Kanon fortgesetzt und wie gewohnt zu Ende gebracht..

Mit einigem zeitlichen Abstand folgten die nach Zeit und Ort sehr vielgestaltigen Zeremonien des Mandatum und schließlich gegen Abend die dritte hl. Messe des Tages. Sie steht bei Rupert von Deutz bereits eindeutig in Beziehung zur Einsetzung des Priesteramtes und der Stiftung der Eucharistie. Beim Mandatum unterscheidet Rupert zwei Formen, die offenbar zumindest an einigen Orten tatsächlich auch beide nebeneinander stattfanden: Wegen der fortgeschrittenen Stunde wurde diese Messe stark abgekürzt – sie begann ohne Lesungen, Psalmen und sogar ohne eigene Gabenbereitung direkt mit der Präfation. Sie endete mit der Übertragung der konsekrierten Gestalten an einen Nebenaltar und der im Lauf der Zeit zeremoniell reichhaltig ausgestalteten Entkleidung des Altares.

In der eher theoretischen Vollform umfasste also die Liturgie des Gründonnerstags neben dem Stundenoffizium drei Messfeiern und die teilweise innerhalb, teilweise außerhalb dieser Messfeiern begangenen Sonderzeremonien der Wiederaufnahme der Büßer, der Ölweihen, der Fußwaschung und Bewirtung von Klerikern und/oder Armen, sowie der Übertragung des allerheiligsten Sakraments und der Entkleidung des Hauptaltars.

Wenig ist darüber zu erfahren, inwieweit dieses umfangreiche Programm am einzelnen Ort tatsächlich umgesetzt wurde, und noch weniger darüber, wie intensiv das allgemeine Volk an diesen Feierlichkeiten teilnahm. Die Liturgie war im wesentlichen – und das sollte man nicht abwertend verstehen – eine „Klerikerliturgie, die in erster Linie vom Bischof und seinem Presbyterat und niederen Klerus und der – wenn vorhanden – Domschule, von den Chorherren eines städtischen Stiftes oder den Mönchen eines Klosters und abhängigem Gesinde getragen wurde. Die Gläubigen aus Stadt und Umland nahmen daran ganz nach Belieben und Möglichkeiten teil, aber sicher nicht durchgängig, sondern zu bestimmten Höhepunkten wie der Messe, der abendlichen Vesper oder zu Prozessionen, in denen beispielsweise Gilden und Bruderschaften ihren festen Platz hatten. Bei den langdauernden Liturgien der Ostkirchen kann man heute noch ein beträchtliches Kommen und Gehen beobachten. Das Ideal der modernen Westkirche, Liturgie so zu gestalten, daß alle Gläubigen von Anfang bis Schluss daran teilnehmen können und sollen, ist also zumindest nicht konkurrenzlos.

Diese ziemlich spontane Praxis, bei der gerade die Unterscheidung von Klerikerliturgie und Beteiligung der Gläubigen eine sehr intensive und auch intime Durchmischung beider Bereiche ermöglicht, war, wenn man Ference Dobszay folgen will, schon den ordnungsliebenden Reformern von Trient ein Dorn im Auge. Sie setzten einen Aufräumprozess in Gang, der berfeits lange vor den Reformen des 20. Jahrhunderts eine „Verarmung dieses liturgisch so komplexen und reichhaltigen Tages herbeiführte. Und das nicht nur liturgisch und nach Zahl und Umfang der Begängnisse, sondern auch in theologischer Hinsicht.

Der nachtridentinische Aufräumprozess hatte dazu geführt, daß der Gründonnerstag schon lange vor Beginn des 20. Jahrhunderts viel von seiner früheren Struktur verloren hatte. Die ursprünglich am Morgen dieses Tages begangene Zeremonie der „Versöhnung der Büßer" war bis auf Restbestände in einigen Ordensgemeinschaften ganz verschwunden. Das Hochamt begann, sich als „Chrisammesse zu verselbständigen; die dritte Messe verstärkte ihren Charakter als Gedächtnis der Einsetzung der Eucharistie, und die danach folgenden umfangreicheren Zeremonien der Verehrung des Altars wurde zu einer nüchternen „Entkleidung reduziert. Bugnini fand nur noch einige Unrundheiten vor, die er abfeilen und überpolieren konnte, ohne in der Sache selbst einschneidend eingreifen zu müssen. 

Besonders vielfältig stellt sich in der ganzen Zeit die Entwicklung rund um das Mandatum dar. Die Fußwaschung, die ursprünglich eine eigene Zeremonie meistens nach der Vesper darstellte, wurde nur noch in Kathedralkirchen vorgenommen – und erst dort verfestigte sich der Brauch, ausschließlich Priestern die Füße zu waschen. Das zuvor vielfach mit einer Fußwaschung verbundene Liebesmahl, das den Ärmsten von Stadt und Gemeinde zugedacht war, entfiel bzw. durch eine entsprechende Zeremonie der Fürsten übernommen. Rupert von Deutz unterscheidet begrifflich ganz klar eine Fußwaschung, bei der „die Prälaten ihren Untergebenen die Füße waschen, und ein „Mandatum der Armen.

Bei dem Ersteren geht es darum, daß diejenigen, die von Gott den Auftrag zu regieren erhalten haben, Demut zeigen und anerkennen, daß ihre Macht nur geliehen ist, während die Empfänger der Geste daran erinnert werden, daß ihre Berufung und Weihe von oben, vom Heiligen Geist kommt. Beim Mandatum der Armen übernimmt demgegenüber die Kirche die Rolle der Martha, die „die Füße des Herrn salbt, das heißt, mit Almosen die Armen stärkt, die zwar die geringsten, gleichwohl seine Glieder sind, und so wie die Füße für die äußersten Teile seines großen Leibes gehalten werden. Kaum nötig, zu erwähnen, daß in beiden Fällen nur Männern die Füße gewaschen werden konnten: Im ersten Fall, da nur Männer dem Klerus angehören konnten, im zweiten, weil alles andere einen schweren Verstoß gegen die „Schicklichkeit bedeutet hätte – was für ein überaus altmodischer Begriff.

Für die aktuelle römische Praxis ergibt sich, daß die Waschung der Füße von Armen an sich durchaus Vorbilder in guten Traditionen hat. Sie wird da bedenklich, wo sie als Ablehnung eines in der Tradition nicht ohne Grund immer stärker in den Vordergrund gerückten Aspektes erscheint: Der besonderen Beziehung zwischen Christus und seinen Priestern. Und sie verliert auch dort, wo sie ihn haben könnte, den Bezug zur Tradition, wenn diejenigen, deren Füße gewaschen werden, nicht mehr als der „Leib Christi begriffen werden (können), sondern als Vertreter einer säkular verstandenen Menschheitsfamilie, die Getaufte und Ungetaufte gleichermaßen umfasst.

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