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Karfreitagsliturgie 1955 - Vorbote von 1972 - Osterliturgie 10

In der Liturgie des Karfreitags wurde 1951 eine große Zahl von Änderungen eingeleitet und dann 1955 verbindlich gemacht, die nur schwer nach einem einheitlichen Muster zu deuten sind. Teilweise handelt es sich um Vereinfachungen oder Vereinheitlichungen, durch die Entwicklungen, die die Reformer als „Auswüchse“ betrachteten oder als Widersprüche gegenüber sonst üblichen Verfahren empfanden, zurückgeschnitten oder eingeebnet wurden. Manches davon mag einleuchten – um dringend erforderliche Maßnahmen, mit denen schwerwiegende Defekte korrigiert worden wären, handelt es sich jedoch in keinem Fall. Manches – wie z.B. einige Veränderungen bei Farbe und Form der Gewänder und dem Zeitpunkt ihres Anlegens – erscheint eher als Veränderung um der Veränderung willen. Und wieder anderes lässt die Zielsetzung erkennen, den Charakter der Feier tiefgehend zu verändern und zeigt bereits grundlegende Züge der späteren Generalreform. Diese Grundzüge bilden den Gegenstand der folgenden Überlegungen – Auskunft über die Details geben die Aufstellungen von Gregory di Pippo und P. Stefano Carusi. Die nach 1962 erfolgten weiteren Veränderungen bleiben unberücksichtigt.

Betrachtet man die bei di Pippo und Carusi in großer Detailgenauigkeit aufgezählten Veränderungen im Zusammenhang, so lassen sich zwei Schwerpunkte erkennen, die durchaus einen gewissen Zusammenhang aufweisen:

1. Sämtliche formalen und textlichen Bezüge auf eine Feier der heiligen Messe entfallen. Die frühere Form und Bezeichnung als Missa praesanctificatorum wird abgeschafft und durch „Liturgie vom Leiden und Sterben unseres Herrn ersetzt. Aus der schmerzhaft unvollständigen Messe wird ein selbständiger Gottesdienst mit inkorporierter Kommunionandacht.

2. Der Altar, der bis dahin das Zentrum des gesamten Gottesdienstes bildete, tritt während der gesamten Zeremonie fast vollständig in den Hintergrund. Wesentliche Teile des Gottesdienstes werden an die Sedilien bzw. den Ambo verlagert. Der Priester gibt mehrere ihm bisher vorbehaltene Aktionen an andere Teilnehmer ab.

Im Einzelnen: Der Gottesdienst am Karfreitag wurde vor 1950 als Missa Sicca bezeichnet – das ist ein während des Mittelalters entstandenes gottesdienstliches Schema, das sich eng an das der hl. Messe anlehnt, bei dem aber der wesentliche Teil, nämlich die Wandlung und das eigentliche Opfer, fehlen. Vorzüge oder Probleme dieser Gottesdienstform, die im Mittelalter sehr oft verwandt wurde, stehen hier nicht zur Diskussion. Man kann aber Gregory di Pippo zustimmen, wenn er der Missa Sicca gerade für den Karfreitag besondere Sinnhaftigkeit zuschreibt: Der Wegfall der Teile und Handlungen, um die es beim Messopfer eigentlich geht, bildet ein starkes Symbol für das Sterben des Erlösers und seinen Abstieg in die Vorhölle.

Diese Umwidmung der Zeremonie weg von einer unvollständigen Messfeier wird konsequent durchgezogen. Wo die Offizianten früher Messgewänder – wenn auch in reduzierter Form – trugen, sind sie jetzt nur mit der Albe bekleidet. Der am Vortag völlig entkleidete Altar wird nicht bereits am Anfang der Zeremonie mit einem Altartuch bekleidet, sondern erst später zu Beginn der Großen Fürbitten. Das früher von Anfang an  wenn auch verhüllt  auf dem Altar stehende Kreuz wird erst später hereingetragen. Die nach der Prostration gebetete Oratio schließt nicht mit der zuvor nach Vorbild der Messfeier üblichen Langform, sondern mit einem schlichten „Per Christum Dominum nostrum. Amen. Während des Vortrags der Lesungen bleiben die Offizianten an den Sedilien. Beim Vortrag der Passion unterbleiben alle früher üblichen Riten, die daraufhin deuteten, daß dieser Vortrag ganz oder teilweise die Rolle des Evangeliums in der Messfeier übernahm.

Im Anschluss an die Passion und vor dem Evangelium legen die Offizianten nicht die Messgewänder an, sondern die für Segenszeremonien und Prozessionen üblichen Gewänder an – der Priester das Pluviale, Diakon und Subdiakon Dalmatik bzw. Tunika. Wenn sie dann zum Vortrag der Fürbitten zum Altar treten, stehen sie nebeneinander und nicht wie zuvor (und im Levitenamt bei entsprechenden Riten immer noch) hintereinander. Der Ruf: „Flectamus genua wird nicht mehr vom Subdiakon, sondern vom Diakon gesungen – möglicherweise wie die Veränderung der Standordnung eine erste Ankündigung der späteren Abschaffung des Ordo des Subdiakons und des „Dreiherrenamtes als der traditionellen Form des Levitenamtes.

Nach den Großen Fürbitten erfährt die Zeremonie einen tiefen Einschnitt. Die Offizianten gehen wieder zu den Sedilien und legen die schwarzen Gewänder ab; ein Diakon und vier Akolythen begeben sich zur Sakristei, um das dort bis jetzt verborgene und immer noch verhüllte Altarkreuz zu holen und es in den Altarraum zu bringen. Dort übergibt er es dem Priester, der mit dem Subdiakon wieder vor dem Altar Aufstellung genommen hat. Dieser neu in den Ritus eingeführte Abschnitt der Einholung des Altarkreuzes erfolgt ohne irgendwelche Gebete oder Gesänge. Der anschließende Ritus der Enthüllung und Kreuzverehrung durch die Offizianten und die Gläubigen ist weitgehend unverändert geblieben – allerdings werden statt der doppelten Kniebeuge jetzt nur noch einfache vorgeschrieben. Auch der Gesang der Improperien ist beibehalten – die reformierten Rubriken bestimmen jetzt allerdings ausdrücklich, daß diese nicht noch während des Gesangs des Chores zusätzlich still vom Priester und den Diakonen zu lesen sind.

Das ist zweifellos eine Vorankündigung der später allgemein angeordneten Unterlassung derartiger Verdoppelungen. Diese selbst hatten übrigens dem Vernehmen nach ihren Ursprung in liturgischen Mißständen des Mittelalters, als vielfach unzureichend gebildete Scholasänger die Texte von Orationen und Psalmen schlimm entstellten, so daß die Priester sie „sicherheitshalber parallel und hoffentlich korrekt mitsprachen. Von daher gesehen ist die Abschaffung dieser Verdoppelung nicht unbedingt zu kritisieren – wenn sie sich freilich auch zwanglos in das Bestreben der Bugninisten einordnet, den angeblich in klerikalistische Entrückung entschwundenen Zelebranten wieder in die Gemeinde als den eigentlichen Träger der Liturgie zurückzuholen.

Nach Abschluß der Kreuzverehrung stellen die Akolythen (nicht mehr wie früher der Diakon) das Kreuz und zwei Kerzen auf den Altar. Anschließend legen die Offizianten die schwarze Stola ab und ziehen violette Messgewänder (Kasel und Dalmatik/Tunika) an. Der Diakon breitet das Corporale auf dem Altar aus, anschließend begibt er (in der alten Form war das Aufgabe des Priesters) sich formlos zum Seitenaltar, um das Allerheiligste Sakrament zum Hauptaltar zu bringen – dabei wird er von zwei Akolythen begleitet. Statt des traditionellen Kreuzeshymnus „Vexilla regis werden dabei drei neue Antiphonen gesungen. Wenn der Kelch auf dem Corporale abgestellt und enthüllt ist, treten Priester und Subdiakon dazu und beginnen nach einer doppelten Kniebeuge ohne weitere Zeremonien mit der Einleitung des Paternoster: „Oremus. Praeceptis salutaribus monitis.... Das Paternoster wird dann von der ganzen Gemeinde laut gesprochen – den Rubriken nach allerdings noch in Latein, dennoch eine schwerwiegende Abkehr von einer der formalen Eigenheiten des lateinischen Ritus. Die anschließende Kommunionausteilung entspricht weitestgehend dem (damals noch) üblichen Ritus für die Spendung der Kommunion außerhalb der Messe.

Zum Abschluß der Kommunionausteilung singt der Priester drei ins Missale genommene und etwas farblos anmutende Orationen ohne die in der Messfeier üblichen Begleitriten. Nach einer Kniebeuge gehen alle zurück in die Sakristei – das Allerheiligste wird später wieder in die Sakristei oder auf einen Seitenaltar zurückgebracht.

Die Zurücknahme der Rolle von Priester und Altar, die in der gesamten Neugestaltung der Zeremonien sichtbar wird, ist eine durch und durch ambivalente Angelegenheit. Wie schon im Zusammenhang mit der „Verdoppelung der von der Schola oder den Gläubigen gesungenen Teile von Ordinarium und Proprium deutlich wurde, stehen hinter der Hervorhebung der Funktion von Priester und Altar teilweise Begründungszusammenhänge, die inzwischen entfallen sind. Tatsächlich ist diese Hervorhebung Ausdruck einer jüngeren und nie allgemein durchgesetzten Entwicklung. Gutes Anschauungsmaterial dafür bietet die überlieferte Form des feierlichen Pontifikalamts oder gar der Papstmesse, wo sowohl der Altar als auch der Hauptzelebrant keinesfalls ausschließlicher Ort der Handlung und Träger der Liturgie sind. Wichtige Elemente finden an den Ambonen oder am Thron statt und werden eben nicht vom Zelebranten selbst, sondern von anderen Offizianten vorgenommen.

Andererseits drücken sich in der mit der Zunahme der Einzelmessen einhergehenden gesteigerten Wertschätzung für den Zelebrationsaltar und relativen Hervorhebung der Rolle des Zelebranten, die nun beide als einziger Ort der Handlung und Akteuer erscheinen, nicht nur negative Entwicklungen aus: Die Verehrung des Altars als Sinnbild Christi, in dem alles geschieht und auf das alles gerichtet ist, enthält duchaus positive Elemente. Das gleiche gilt für die mit der Einzelzelebration verbundene Vertiefung der Einsicht, daß die heilige Handlung eben nicht von der versammelten Gemeinde ausgeht, sondern von der ganzen Kirche und getragen wird und durch den Priester als „alter Christus" vorgenommen wird.

Die Reformer um Bugnini machten sich die in der Sache liegende Ambivalenz geschickt zunutze, um ihre eigenen ideologischen Ziele voranzutreiben.


Das Bild von den Fürbitten fanden wir auf der Website der Society of St. Hugh of Cluny (Connecticut, USA), die sich der Pflege der überlieferten Liturgie "entsprechend dem Motu Proprio Summorum Pontificum" verschrieben hat. Die dort veröffentlichten Bilder von der Karfreitagsliturgie 2012, der auch das oben gezeigte Photo entnommen ist, zeigen eine Mischung von Elementen der vor und nach 1956 verbindlichen Rubriken. Solche Mischformen kommen in der Praxis relativ häufig vor, weil die Vorgaben von 1956 ja nach nur 15 erneut verändert wurden und in der anschließenden liturgischen Anarchie sowohl das Verständnis der Tradition als auch die Kenntnis der gerade aktuellen Vorschriften stark beschädigt worden sind.

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