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„Macht doch, was ihr wollt“

In der Form des Breviarium Romanum, die bis in die 60er Jahre gebraucht wurde, war es üblich, in Laudes und Versper nach der Tagesoration eine Commemoratio de Cruce vorzunehmen. Der Zusammenhang zwischen Kreuzesopfer und Auferstehung sollte auch in dieser Zeit der Auferstehungsfreude nicht vergessen werden. Der Text dieser Commemoratio war:

Der Gekreuzigte ist von den Toten auferstanden und hat uns erlöst – Alleluja, Alleluja. Verkündet es allen Völkern, alleluja; denn der Herr hat seine Herrschaft vom Kreuz her errichtet, alleluja.

Dieser letzte Vers geht auf eine Version von Psalm 95, Vers 10 zurück, die nur aus frühen lateinischen Übersetzungen und der griechischen Fassung des Psalters von Verona aus dem 6. Jahrhundert überliefert ist. In der offiziellen Septuaginta und ebenso in der Vulgata ist er so nicht enthalten. Wohl aber wird er so von vielen Kirchenvätern gekannt und zitiert, darunter auch von Augustinus in seiner Expositio in Psalmos, wo der fragliche Vers als Nr. 96,11 gezählt ist. In der Kirche ist er immer lebendig geblieben durch seine Aufnahme in den Hymnus „Vexilla regis prodeunt“ des Venantius Fortunatus. 

Erfüllt hat sich, was David in glaubwürdigem Liede gesungen, als er den Völkern verkündigte: vom Holze herab herrscht Gott.

Die Parallelführung der durch Eva vom Baum der Erkenntnis in die Welt gekommenen Sünde und der durch Christus am Holz des Kreuzes besiegelten Erlösung gehört zu den beherrschenden Motiven der Dichtkunst ebenso wie der bildenden Kunst der Christenheit. Und sie beruht ja nicht nur auf einer Textüberlieferung, die „Experten“ immer wieder mit feinziselierten Behauptung in Zweifel ziehen mögen - sie kann sich auch auf das Johannesevangelium (12,32) stützen:

Wenn ich von der Erde erhöht bin, werde ich alle an mich ziehen.

Der Benediktiner Anselmo Lentini (1901-1989), der selbst lateinische Hymnen dichtete und den nach dem Konzil eingesetzten Rat zur Revision der Hymnen leitete, verteidigte denn auch in seinem 1968 erarbeiteten Entwurf die Beibehaltung dieser Strophe unter Hinweis auf die bis in die ältesten Zeiten zurückgehende Überlieferung dieser Version und kam zu dem Fazit: „Deshalb wagen wir es nicht, diese Strophe zu streichen oder die Zeile zu ändern“.

Die Haltbarkeitsdauer dieses wohlbegründeten Rates betrug noch nicht einmal drei Jahre. In der dann tatsächlich 1971 herausgegebenen Fassung der Liturgia Horarum ist diese Strophe (nebst 2 weiteren) ersatzlos gestrichen.

Fr. Hunwicke, der uns mit seinem Beitrag vom 20. April auf dieses Thema aufmerksam gemacht hat, kommentiert das folgendermaßen:

Jemand hat es gewagt. Hier haben wir ein Detail, das den nachkonziliaren Ablauf quasi als Fußnote beleuchtet: Als so ein kreativer und erfindungsreicher Tag auf den anderen folgte, fühlten sich die „Experten“ immer weniger dazu verpflichtet, Texte zu respektieren, von denen die Lateinische Kirche 1500 Jahre gezehrt hatte. Das Konzil hatte klugerweise nur solche Änderungen aufgetragen, die mit Sicherheit notwendig wären - in weniger als einem Jahrzehnten hatten die „Experten“ das zu einem „Macht doch, was ihr wollt“ umgedeutet.

Das Problem liegt auf der Hand: Der alte Text des Hymnus sagt aus, daß König David, der als Verfasser der Psalmen galt, der Urheber der Zeile „Gott regiert vom Holz her‘‘“ gewesen sei. Und pedantische ‚aufgeklärte‘ Leser des masoretischen Textes werden eilfertig wie umständlich darauf hinweisen, daß sie dort nicht enthalten sind. (…) Aber genau das zeigt, was an diesem Umgang mit dem großartigen Geflecht von geschriebenem Wort und Tradition falsch ist, daß das Herz unseres Glaubens ausmacht. Selbst säkulare Literaturkritiker könnten ihnen sagen, daß „die Rezeption ein Teil des Textes“ ist.

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