Bereichsnavigation Themen:

Eine neue Liturgie für eine neue Welt

Titelbild des 'Spectator 2015Der Erzbischof von Wellington in Neuseeland, Kardinal Dew, hat die Gemeinden in seiner Jurisdiktion aufgefordert, ab sofort eine von ihm entwickelte neue Messliturgie zu praktizieren. Danach werden in der Sonntagsmesse die bisher vorgeschriebenen drei Lesungen samt den Zwischengesängen durch eine sogenannte „Lectio Divina“ ersetzt. In den Worten des Kardinals: „Damit reagiert die Erzdiözese auf die Bitte des Papstes, die heilige Schrift besser bekannt zu machen und weiter zu verbreiten. Er hat uns daran erinnert, daß wir in unseren Gemeinden eigene Initiativen ergreifen können, um lebendige Gefäße für die Weitergabe des Wortes Gottes zu werden“.

In der Praxis sieht diese Lectio Divina so aus, daß nur noch das Evangelium vorgetragen wird. Dies allerdings zweimal, getrennt durch eine halbminütige Schweigephase. Im Anschluß an die zweite Verlesung fordert der/die „Lectio Divina Leader“ die Zuhörer auf, über bestimmte Passagen des Gehörten vertieft nachzudenken. Den Abschluß des Rituals bildet ein von dem/der „Lectio Divina Leader“ gesprochenes Dankgebet.

Diese Anordnung widerspricht auf mehrere Weise den geltenden liturgischen Vorschriften, insbesondere der Allgemeinen Grundordnung des Messbuchs und der Instruktion Redemptionis Sacramentum. Besonders schwerwiegend ist der Wegfall der mindestens einen verbindlich vorgeschriebenen Lesung eines Berichtes aus dem alten oder neuen Testament und der Vortrag des Evangeliums, der seit den ältesten Zeiten durch einen Diakon oder Priester als bevollmächtigten Verkünder des Gotteswortes erfolgte, durch Laien und Laiinnen.

Es gibt zwar durchaus berechtigte Einwände gegen die von der Paulinischen Reform 1970 eingeführte Form der dreifachen Schriftlesung – das berechtigt aber weder lokale Initiativen, sich über das geltende Recht hinwegzusetzen, noch die reichlich kühne Behauptung, eine Drittelung der vorzutragenden Texte diene einer „weiteren Verbreitung der heiligen Schriften“.

Die Bezeichnung der neuen Form des Lesegottesdienstes als „Lectio Divina“ täuscht einen Traditionsbezug vor, der so nicht vorhanden ist. Die „Lectio Diovina“ ist bzw. war eine in den Klöstern verschiedener Orden gepflegte Form der individuellen Schriftlektüre in betrachtender und betender Haltung. Sie fand im Allgemeinen in der Abgeschiedenheit der Mönchszelle statt und stand außerhalb des liturgischen Rahmens von Stundengebet und Konventsmesse. Die Einführung einer Schrumpfform dieser Praxis in die sonntägliche Gemeindemesse kann sie einen Fremdkörper darstellen.

Inwieweit diese Neuregelungen mit Rom oder dem Papst selbst abgesprochen wurde, ist nicht bekannt. Es ist jedoch nicht zu erwarten, daß eine Ermahnung zur Beachtung der nach wie vor geltenden Rechtslage erfolgt – die Maßnahme entspricht nach Form und Inhalt zu genau dem bergoglianischen Unverständnis für Liturgie und der in diesem Pontifikat demonstrierten Verachtung von Gesetzen, Recht und Regularien. Unter diesen Umständen steht zu befürchten, daß die Einführung der Neuseeländischen Sonderliturgie das Startsignal für eine Vielzahl ähnlicher „kreativer Initiativen“ in anderen dafür anfälligen Ortskirchen bildet. Die Möglichkeit, der Betätigung von Frauen im liturgischen Raum weitere Felder zu „erobern“, dürfte einen starken Ansporn bilden, war doch der Vortrag des Evangeliums bisher eine der liturgischen Aufgaben des geweihten Diakons.

Die kürzlich erfolgte Übertragung der Autorität über die liturgischen Texte an regionale Institutionen war offenbar nur ein erster Schritt. Ihm folgt ohne Verzug auch die Regionalisierung liturgischer Formen – und damit notwendigerweise einhergehend auch Inhalte. Bei dem Tempo, das die römischen Kulturrevolutionäre vorlegen, ist zu befürchten, daß Katholiken schon in wenigen Jahren außerhalb ihres Heimatlandes, vielleicht sogar außerhalb ihrer heimatlichen Großpfarrei, sonntags mit Liturgien konfrontiert werden, denen sie kaum noch folgen können. Das zu befürchten ist keine haltlose Unterstellung. Diese Entwicklung entspricht exakt den Wünschen der Liturgierzertrümmerer um Bugnini, Gelineau, Ellard und Leggeling, die jede Gemeinde und jede Gruppe ihre eigene Liturgie – eben eine durch und durch „menschengerechte“ (Blasig 1981) Liturgie entwickeln lassen wollten. Nur in weitestgehender Autonomie und Selbstbestimmung konnten sie sich die „sonntägliche Versammlung“ in einer modernen Gesellschaft vorstellen.

Eines der Ziele, deren Verwirklichung sich Paul VI. von seiner Liturgiereform erhoffte, war, die von diesen Zeitgeistern angestachelte „Kreativität“ durch eine neue Formgebung zu bändigen. Seine Nachfolger Johannes-Paul und Benedikt, die in dieser Kreativität zu Recht ein Hauptvehikel der Säkularisierung erkannten, versuchten sie durch unterschiedliche Formen der Betonung einer „Kontinuität“ zurückzudrängen. Franziskus erklärt diese Versuch für gescheitert und sinnlos. Wie es scheint, will er dem Heerzug des Zeitgeistes in die Neue Welt säkularer Verheißung nicht länger widerstehen, sondern versucht, sich einen Platz an dessen Spitze zu sichern.

Zusätzliche Informationen