Kurzfassung oder Fälschung?
- Details
- 18. November 2017
Matthew Hazel macht auf New Liturgical Movement darauf aufmerksam, daß das reformierte Messbuch für morgen (33. Sonntag im Jahreskreis Lesejahr A) ein besonders krasses Beispiel für eine offiziell angebotene „Kurzfassung“ des Tagesevangeliums bietet. Die Vollfassung gibt als Lesung Mt 25, 14-30, an – das ist das Gleichnis vom Herrn, der seinen Dienern vor einer Reise sein Vermögen zur Verwaltung anvertraute: Dem einen gab er fünf Talente Silber, dem anderen zwei, einem dritten eines. Die beiden ersten nutzten das ihnen anvertraute Kapital und verdoppelten es durch klugen Einsatz. Der dritte vergrub sein Silber ängstlich, um es sicher zurückgeben zu können. Dafür wird er vom Herrn nach dessen Rückkehr scharf getadelt. Er nimmt ihm das eine Talent und gibt es dem, der mit seinem Kapital am besten gewirtschaftet hat, „denn wer hat, dem wird dazu gegeben werden...“.
Das ist nicht nur ein langer, sondern auch ein schwieriger Evangeliumstext, und das moderne Messbuch bietet zur Behebung beider Probleme eine bemerkenswerte Kurzfassung: Sie berichtet zwar von der Vergabe der unterschiedlichen Beträge an die drei Diener, beschränkt sich für die Rückkehr des Herrn aber auf die Abrechnung mit dem, der die fünf Talente empfangen und verdoppelt hatte und stolz meldet: Herr, fünf Talente hast du mir gegeben: sieh, ich habe noch fünf dazugewonnen.“ Schluß, Ende aus.
Das ist keine Verkürzung, ja noch nicht einmal eine Verfälschung – die einen veränderten Sinn ergeben würde. Das ist schlichter Unsinn, Gottes Wort als Banalität. Nun wissen wir nicht, in wie vielen Kirchen morgen die Nonsens-Fassung vorgetragen wird. Leidvolle Erfahrungen und die Vorliebe von Vorstehern und Gemeinden für kurze Eucharistiefeiern lassen uns befürchten: Es ist die Mehrheit. Die Forderung der Konzilsväter von 1963, den Gläubigen „den Tisch des Wortes Gottes reicher zu decken“ stößt in vielen Gemeinden auf verschlossene Ohren, und sie wird auch durch die Gestaltung des nach dem Konzil entwickelten Messbuchs auf vielerlei Weise konterkariert.
In diesem Zusammenhang teilt Hazell in seinem NLM-Beitrag eine interessante Beobachtung mit. Die offizielle „Allgemeine Einführung in das Lektionar“ spricht davon, Kurzformen seien nur für einige besonders lange Texte angegeben und jeweils mit größter Sorgfalt ausgesucht worden . Tatsächlich gibt es über alle drei Lesejahre gerechnet jedoch an gut einem Viertel der Sonn- und Feiertage solche Kurzfassungen – und diese auch für Lesungen, die an sich schon recht kurz wären. Die Forschungen Hazels an Originalunterlagen aus den Konzilsberatungen haben nun ergeben, das die Kurzfassung des Talente-Evangeliums ebenso wie die zahlreicher anderen Evengelientexte in keinem der Papiere vorgesehen waren, die in den Sitzungen der Reformkommission besprochen worden sind. Auch nicht in dem 1967 verabschiedeten Entwurf der für das Evangeliar zuständigen Arbeitsgruppe XI. Sie erscheinen erst in der Endfassung, die Papst Paul VI. 1969 vorgelegt und von diesem im Vertrauen auf die Loyalität der Reformkommission ohne Detailprüfung abgezeichnet worden ist.
„Es ist also zwischen 1967 und 1969 etwas geschehen, durch das sich die Zahl der Kurzlesungen enorm vermehrt hat“ wundert sich Hazell – und wir wundern uns mit ihm.