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Mit der Liturgie auf die Piste

Quelle: http://www.erzbistum-paderborn.de/38-Nachrichten/135-Aus-den-Dekanaten/648-M%E4rkisches-Sauerland/15274,Auf-Tuchf%FChlung-%96-ein-liturgischer-Frauenabend-in-St.-Vincenz.htmlDie Liturgie gehört nicht gerade zu den Standardthemen von „katholisch.de“ - Grund genug, sich den dort kürzlich erschienenen Artikel „Liturgie – ein Fremdkörper?“ etwas genauer anzuschauen. Zumal Autor Ulrich Ruh (geb. 1950) als langjähriger ehemaliger Chefredakteur der Herder-Korrespondenz und Honorarprofessor an der theologischen Fakultät in Freiburg einen guten Indikator dafür abgibt, was das theologische Establishment des Deutschkatholizismus derzeit beschäftigt.

In seinen Ausgangsbefunden, zusammengefasst in der Aussage „Der christliche Gottesdienst ist unter gesellschaftlichen Verhältnisse, wie sie in der Bundesrepublik gegeben sind, ungeachtet der ausgeklügelten und weithin störungsfreien rechtlichen Beziehungen zwischen Staat und Kirche, sozusagen ortlos.“ kann man Ruh durchaus folgen. Zumal diese Aussage nicht nur aus allgemeingesellschaftlicher Perspektive gilt, sondern auch aus kirchlicher: Die Zahl der Gottesdienstteilnehmer geht ständig zurück, viele Menschen wissen mit Kirche und Liturgie nichts anzufangen. Zu Recht konstatiert er hier eine bedenkliche Diskrepanz gegenüber dem Diktum des II. Vatikanischen Konzils von der Liturgie als dem Höhepunkt des Tuns der Kirche und der Quelle ihrer Kraft (SC, Nr. 10).

Was die Kirche mit dieser Aussage in Worte gefasst hat, bleibt dem mehrfachen Ehrendoktor der Theologie allerdings verborgen. Er sieht im Gottesdienst in erster Linie den Ort, an dem das Christentum als Religion öffentlich sichtbar werde. Gottesdienst, so scheint es, hat in dieser Sicht vor allem eine werbende Funktion:

Nur im Gottesdienst kommen die Grundtatsachen des Christentums sozusagen zwangsläufig zur Sprache. Im Gottesdienst rufen Menschen gemeinsam in geprägten Formeln Gott als ihren Schöpfer und Erlöser an, danken ihm und bitten zu ihm. … Nur im Gottesdienst gibt es demgegenüber "Christentum pur", wenn auch von Anfang an kulturell- religiös eingekleidet. Schon aus diesem Grund kann es Christen und Kirchen ganz und gar nicht gleichgültig sein, ob und wie ihr Gottesdienst von den Zeitgenossen wahrgenommen wird und gegebenenfalls beurteilt wird. Mehr noch: Sie sollten alles daran setzen, den Gottesdienst so zu gestalten und zu vollziehen, dass er Ausstrahlungskraft und Glaubwürdigkeit über einen engen Kreis von "Eingeweihten" hinaus gewinnt, in diesem Sinn "attraktiver" wird.“

Die Behauptung, der Gottesdienst vermittle „Christentum pur“, ist angesichts der tatsächlichen Verhältnisse in vielen Gemeinden überaus gewagt.

Nicht nur traditionsorientierte Katholiken beklagen seit langem, daß viele der angesprochenen „Grundtatsachen“ in den Gemeindegottesdiensten praktisch nicht vorkommen, während Themen aus Politik und Gesellschaft immer mehr Raum einnehmen. Gerade jetzt zu Weihnachten hat Ulf Poschardt, Chefredakteur der „Welt“; viel Resonanz gefunden mit seinem Tweet: „Wer soll eigentlich noch freiwillig in eine Christmette gehen, wenn er am Ende der Predigt denkt, er hat einen Abend bei den ‚Jusos bzw. der Grünen Jugend vebracht“.

Das freilich kann gar nicht ausbleiben, wenn der Gottesdienst ganz wesentlich als Werbeveranstaltung aufgefasst wird – und zwar nicht primär als missionarische Werbung für das Evangelium, sondern als Werbung für Verständnis oder zumindest Duldung kirchlicher Institutionen durch eine Gesellschaft, der die „Grundtatsachen“ des Glaubens zu vermitteln man längst jede Hoffnung aufgegeben hat.

Das von Ruh eingangs angeführte Konzil von 1963 hatte freilich noch einen durchaus anderen Begriff von „Liturgie“ und Gottesdienst als den, der hier im Hintergrund aufscheint. „Gipfel und Quelle“ des geistigen Lebens der Kirche ist die Liturgie nicht durch die mehr oder große Attraktivität der gottesdienstlichen Gemeindeversammlung, sondern durch ihr in der Eucharistie begründetes sakramentales Wesen. Doch von Eucharistie und Eucharistiefeier handeln die Überlegungen Ruhs er nur in Zusammenhängen, die implizieren, daß dieser sakramentale Inhalt den Menschen der Gegenwart nicht mehr genüge oder jedenfalls unzugänglich sei – daher hält er es für notwendig sei, denn Gottesdienst durch Entwicklung andere liturgische Formen zu „diversifizieren“. Dabei beschränkt er diese „Entsakramentalisierung nicht auf dezidiert nach außen gerichtete Veranstaltungen – darüber wäre mit Gewinn nachzudenken – sondern er stellt ihre zentrale Position auch nach innen in Frage:

Die durch die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils erneuerte Eucharistiefeier der katholischen Kirche ist ein in der Tradition verankertes, ausgeklügeltes Gesamtkunstwerk, das sorgsame Pflege verdient, aber kann nicht der Gottesdienst "for all seasons" sein, auch nicht die einzige Form des sonn- und feiertäglichen Gemeindegottesdienstes. Das Nebeneinander von Hauptgottesdiensten mit und ohne Abendmahlsteil in der evangelischen Liturgie könnte eine Piste sein, die sich für die katholische Kirche zu verfolgen lohnen würde.

Und sei es nur, um auch bei Katholens den Anteil der regelmäßigen Gottesdienstteilnehmer unter den Kirchensteuerzahlern auf 3,5% zu senken, wie das ausgerechnet im 500 Jahr nach der Kirchenspaltung für Ruhs großes Vorbild ermittelt wurde. 

Nur am Rande sei angemerkt, daß die Kirche in Zeiten, bevor Figuren wie Ruh zu Einfluß kamen, die Kraft hatte, ein breites Spektrum von gottesdienstlichen und gottesdienst-nahen Formen zu entwickeln, die zahlreiche Schnittstellen zwischen dem Innenraum der Kirche und der säkularen Gesellschaft bereitstellten: Vespern und Andachten, die sich an das kirchliche Stundengebet anlehnten, Prozessionen, Wallfahrten und Umzüge, die konkreten lokalen und gesellschaftlichen Gegebenheiten entsprachen, Vereine unterschiedlichster Zielsetzung und Mitgliedschaft – deren Zusammenkünfte nie ohne ein Gebet begannen oder endeten.

Freilich wäre in diesen unaufgeklärten Zeiten nie jemand auf den Gedanken gekommen, derlei fromme Zusammenkünfte könnten an die Stelle der Sonntagsmesse treten. Derlei ernsthaft vorzuschlagen und damit zu dokumentieren, daß breite Kreise des Deutschkatholizismus gar nicht mehr wissen, was Gipfel und (Kraft-)Quell des Lebens der Kirche ist – das ist wahrlich eine schöne Frucht von 50 Jahren liturgischer Reform.

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