Wort Gottes als Gelddruck-Maschine
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- 29. Juni 2020
Seit 1980 gibt es im katholischen Raum eine sogenannte „Einheitsübersetzung“ der heiligen Schrift, für die 2016 eine überarbeitete Fassung erschienen ist. Seit einem Jahr wird diese neue Version schrittweise auch in den liturgischen Büchern für den offiziellen Gebrauch verpflichtend eingeführt. Gelegentlich hört man die Version, „Einheitsübersetzung“ habe irgendetwas mit ökumenisch zu tun. Das stimmt aber nur sehr begrenzt. Zwar arbeiten auch protestantische Theologen an der als ständige Aufgabe konzipierten Übersetzungsarbeit mit, und von untergeordneter Stelle im Bereich der EKD war in den 70er Jahren auch angedeutet worden, es könne eine überkonfessionell einheitliche Übersetzung geben. Daraus ist nichts geworden, die Protestanten bleiben bei der gelegentlich modernisierten Übersetzung Luthers und haben sich inzwischen von jeder offiziellen Zusammenarbeit mit dem Projekt verabschiedet – nicht zuletzt deshalb, weil die katholische Seite inzwischen das philologische Konstrukt einer „Nova Vulgata“ zur Grundlage jeder offiziellen Übersetzung erhoben hatte.
Seitdem bedeutet das „Einheits“ nur noch, daß der Wortlaut der „EÜ“ verbindlich für die Verwendung in den offiziellen liturgischen Büchern des deutschen Sprachraumes ist. Und da die revidierte Einheitsübersetzung von 2016 zahllose, wenn auch oft unbedeutende, Änderungen des deutschen Wortlauts erbracht hat, müssen jetzt sämtliche liturgischen Bücher durch Neuausgaben ersetzt werden. Das betrifft ausnahmslos die Lektionare, Messbücher, Benediktionale und das Stundenbuch und davon abgeleitet natürlich auch Zusammenstellungen wie das Kantorale und die Bücher für die Feier der Kindertaufe, der Firmung, der Trauung und der Begräbnisfeier, die an die Stelle des früheren Rituale getreten sind. Die Verwendung der Neuausgaben ist hier verpflichtend vorgeschrieben – da kommt also auf die Pfarreien und Gottesdienstorte eine beträchtliche finanzielle Belastung zu.
Neue Ausgaben gibt es aber auch für den seit der Reform zu einer vielbändigen Angelegenheit aufgeblähten Schott sowie für die Bibelausgaben zum privaten Gebrauch. Inwieweit das, was vom gläubigen Volk noch übrig geblieben ist, vorhandene Ausgaben tatsächlich durch die Revisionen ersetzt, steht auf einem anderen Blatt. Schließlich steht die vor Jahren zur Erstkommunion des Ältesten angeschaffte reich illustrierte Familienbibel noch so gut wie unbenutzt im Bücherschrank – und die enthält meistens die Erstversion der EÜ oder einen anderen älteren Text. Aus dem Internet allerdings konnte die Erstversion – dem Urheberrecht sei Dank – inzwischen wohl vollständig verdrängt werden – hier gibt es nur noch die 2016er Ausgabe.
Ob diese Verdrängung ein erfolgreicher Schachzug war, steht dahin, denn so werden für katholische Bibelleser, die an die ältere Version gewöhnt sind, immer wieder Vergleiche mit der Neuausgabe nahegelegt, und die fallen gelegentlich sehr irritierend aus. Besonders gilt das für die Psalmen, die doch auch Gottesdienstteilnehmern, die sonst kaum zum Alten Testament greifen, einigermaßen vertraut sind. Und gerade hier haben die Neuübersetzer buchstäblich keinen Vers, keinen Stein auf dem anderen gelassen – manchmal wohl nur aus stilistischer Eitelkeit oder aus der völligen Unfähigkeit, sich den Text auch gesungen vorzustellen, in anderen Fällen auf der Grundlage vermeintlichen wissenschaftlichen Fortschritts in der Textegese.
Gleich in Psalm 2, der die Heidenvölker zur Anerkennung des Gottes und Königs Israels aufruft, gibt es dazu in den Versen 10 – 12 ein höchst aussagekräftiges Beispiel. Es liegt uns fern, die erste Version der EÜ besonders zu loben, aber sie steht in vielem doch auch anderen traditionellen Übersetzungen noch recht nahe – so auch hier. Und da heißt es:
Wohlan ihr Könige, kommet zur Einsicht!
Laßt euch warnen, ihr Beherrscher der Erde!
Dienet dem Herrn in Furcht und huldiget ihm!
Unter Beben erweist ihm Gehorsam!
Daß er nicht ergrimme und ihr auf dem Weg nicht verderbet...
Die Revisoren schreiben:
Nun denn, ihr Könige, kommt zur Einsicht,
lasst euch warnen, ihr Richter der Erde!
Mit Furcht dient dem HERRN, jubelt ihm zu mit Beben,
küsst den Sohn,
damit er nicht zürnt und euer Weg sich nicht verliert …
Küsst den Sohn! Das steht einfach so da, und in allen für das dumme Volk zugänglichen Ausgaben ohne die kleinste Anmerkung zu wieso, weshalb, warum.
In den erlauchten Fachkreisen der Alttestamentler gibt es dazu schon einiges an Literatur: Ja, wenn man ein schwieriges hebräisches Wort im Text durch ein genauso schwieriges aramäisches Wort ersetzt, kann man hier einen „Sohn“ hereinbekommen, und ja, der Kuss des Sohnes war im alten Orient ein generationsübergreifendes Treuegelöbnis, und ja, der soeben gesalbte König Israels war damit quasi zum Adoptivsohn Jahwes geworden – und so kommen wir schließlich dabei heraus, daß die so ganz anders klingende „revidierte Übersetzung“ (wenn man ihre schwachen Begründungen denn akzeptieren wollte) letzten Endes nicht viel Anderes meint als die frühere Fassung.
Und warum knallen diese arroganten Elfenbeinturmbewohner von der Revisionskommission dann ein solches Konstrukt ihrer Eitelkeit den Betern in den Kirchenbänken einfach so um die Ohren? Die bald 200 Jahre alte Übersetzung von Allioli ist demgegenüber ein Musterbeispiel wissenschaftlicher Transparenz und pastoraler Einfühlsamkeit. Warum verzichten die Revisoren auf die heute in ungeahntem Ausmaß zur Verfügung stehenden Erklärungs, Verlinkungs- und Kommentierungsmöglichkeiten im Vorfeld der schriftlichen Veröffentlichung eines solchen Projektes?
Einmal natürlich, weil sie es können. Der früher oft zu Recht zu beklagende Paternalismus und Klerikalismus mancher Gemeindepfarrer ist ja nicht verschwunden – er lebt munter weiter in den Machtansprüchen einer Universitätstheologie, die sich längst von der Dienerin des Glaubens zu seiner Herrin „emanzipiert“ zu haben glaubt. Dahinter steht aber noch mehr. Zum einen ist eine möglichst jeden Vers erfassende „Revision“ des Bibeltextes alle 20-30 Jahre auch eine Voraussetzung dafür, den mit der rapiden Abnahme der Gläubigen ebenfalls vom Untergang bedrohten ehemals katholischen Verlagen gelegentlich eine kleine Finanzspritze zukommen zu lassen – wie es heißt, war das ja schon eines der treibenden Motive der ganzen Liturgiereform.
Doch das ist noch nicht alles. Wir leben seit einem halben Jahrhundert in der Phase einer gesellschaftlichen, insbesondere einer geistigen Entwicklung, die alles Bestehende verflüssigen und alles Verbindliche auflösen will. Dazu gehört natürlich auch eine Bibelwissenschaft, die ihren Gegenstand – der doch eigentlich das unvergängliche Wort Gottes sein sollte – alle paar Jahrzehnte so weit neu konstruiert, daß an revidierten Neuausgaben kein Weg vorbei führt. Die frühere Familienbibel, die als Erbstück von einer Generation zur anderen weitergegeben wurde, ist passé. Die Hossfeld und Lohfink machen alles neu, wie es dem jeweiligen Zeitgeist gefällt. Und die Bischöfe, die meistens aus den gleichen Fakultäten kommen, trotten brav hinterher. Wer wollte sich schon dem Fortschritt in seinem Lauf entgegenstellen und als Ochs und Esel überrannt werden.
Hier ergibt sich für die Kräfte der Tradition eine besondere Verantwortung und eröffnet sich gleichzeitig eine große Chance. Wo auch gutwillige Priester und Gemeinden im Machtbereich der Neuen Unordnung kaum eine Möglichkeit haben, sich den zumutungen der allgemeinen Verflüssigung zu entziehen, steht die Tradition mit den lateinischen Texten zumindest in der Liturgie auf sicherem Grund. Die Bücher ihrer Lehrer veralten auch nicht oder zumindest nicht im Rhythmus der Modesaisonen; die Folgen der „Entlatinisierung“ der römischen Kirche, die sich immer mehr als ein großangelegte Bücherverbrennung darstellt, können abgemildert und für einen kleinen Bereich sogar ganz abgewehrt werden. Vielleicht ist das die einzige Hoffnung, wenn die Kräfte der Destruktion anscheinend unaufhaltsam „auf dem dem Weg des Verderbens“ voraneilen, wie in Psalm 2 zu lesen ist.