Moderne Form, moderner Inhalt
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- 04. März 2021
Das Photo vom Pontifikalamt mit Kardinal Sarah im Brompton Oratory erscheint hier noch ein mal. Nicht, um die darauf dargestellte Praxis als vorbildlich zu empfehlen, sondern um sie zu problematisieren. Trotz aller Beschwörungen von Papst Paul VI. und seinen Nachfolgern, es gebe in der Theologie keinen Widerspruch zwischen der alten und der neuen Form, haftet der Zelebration nach dem neuen Ordo in den Formen des alten ein tiefer Widerspruch an. An niemandem kommt das deutlicher zum Ausdruck als an Kardinal Sarah selbst, der 2016 empfohlen hatte, im Advent die Messe in einem einzigen Punkt und nur für begrenzte Zeit in überlieferter Weise – nämlich zum Herrn hin gewandt – zu zelebrieren. Er wurde dafür in weiten Teilen der Kirche hart kritisiert und der Abkehr von den Lehren „Des Konzils“ beschuldigt und schließlich von Papst Franziskus selbst desavouiert. Insbesondere in der deutschen Universitätstheologie ist man sich weitgehend darin einig, daß der Novus ordo nicht nur in der Form, sondern auch nach der darin zum Ausdruck kommenden Ecclesiologie und Sakramentenlehre die alten Vorstellungen von Trient überwunden habe und deshalb jede Rückkehr unzulässig sei.
Die Erklärungen der Päpste sind das eine – die praktizierte Glaubensweise ein anderes, es gibt einen Bruch, der stellenweise nicht nur bloße Diskontinuität darstellt, sondern Widerspruch und Gegensatz ausdrückt. Das mag einem nicht gefallen, aber das sind die Fakten. Die allgemein übliche Form der Zelebration des NO bringt diese Gegensätzlichkeit in zahlreichen Einzelelementen unterschiedlichen Gewichts zum Ausdruck. Es ist ja nicht nur die Form Stellung des Altars und seine durch künstlerische Gestaltung und edle Materialien hervorgehobene Bedeutung. Form und Zahl der Kerzen und Leuchter, Gestaltung von Kelchen und anderen Gerätschaften – alles anders. Ebenso bei den Messgewändern, die sich nicht nur nach den liturgischen Farben von der Tradition absetzen. Neben Verirrungen wie dem Sackleinen-Kult und der Mantelalben-Manie ist bemerkenswert, daß auch mit einigem ästhetischem Anspruch hergestellte Paramente des Novus Ordo im eigentlichen Wortsinn „inkompatibel“ sind für die Benutzung in der alten Liturgie und umgekehrt: Die Neue Ordnung geht so sehr von der Zelebration zum Volk hin aus, daß die Gewänder – wenn überhaupt – vorzugsweise auf der Vorderseite mit Symbolen oder Begriffen bestickt sind, während die Rückseite schlicht bleibt.
Die Unterschiede greifen aber weit über die materiellen Dinge hinaus. Wo einst der Altarraum mit Chorschranken, Kommunionbank und früher sogar dem steinernen Lettner das vom profanen Raum abgegrenzte „Allerheiligste“ versinnbildlichte, in dem man sich der Würde des Ortes bewußt verhielt, herrscht heute stufenlos geschäftiges Treiben „auf Augenhöhe“. Die Gemeinde feiert sich selbst, und nur wer mitmacht, ist wirklich dabei. Gestik und Körpersprache des Vorstehers, so wie sie heute an den Seminaren gelehrt werden, entsprechend eher dem Style-Guide einer Fortbildungsmaßnahme für Aspiranten des mittleres Management als der römischen Tradition.
All das ist nirgendwo oder nur zum geringsten Teil kanonisch festgelegt – aber es bildet die in der Realität vorherrschende Form, und da Formen nicht nur Ausdruck von Inhalten sind, sondern auch auf diese zurückwirken, bleibt einem die Feststellung nicht erspart: Der Novus Ordo hat in 50 Jahren seiner Praxis eine Formensprache und einen „Geist“ entwickelt, der in vielem in schwer überbrückbaren Gegensatz zur Liturgie der Klirche der Tradition steht. Und dabei haben wir noch nicht einmal von den textlichen Schwachpunkten des Missales gesprochen, die in vielen Auslassungen der angeblich reichhaltigeren Leseordnung und Verünnung des Gebetsreichtums insbesondere durch die faktische Verdrängung des römischen Kanons zum Ausdruck kommen. Man kann es nicht oft genug kritisieren: Das neue „Gotteslob“ der deutschsprachigen Bistümer enthält nur noch das verstümmelte sog. „zweite Hochgebet“ und signalisiert damit unübersehbar den Ausgang sowohl aus der römischen Tradition als auch die Aufgabe der Gemeinschaft mit den Kirchen der östlichen Traditionen, die doch die Reformer von 1969 mit dem von ihnen neu „entwickelten“ 4. Hochgebet signalisieren wollten.
Diese Unterschiede, deren Aufzählung nicht nur durch weitere Beispiele fortzusetzen, sondern auch inhaltlich zu vertiefen wäre, lassen sich nicht durch äußere Übernahme der Formen der alten Liturgie überbrücken. Im besseren Fall, den wir für die Meßfeiern im Brompton Oratorium und anderen ähnlichen Einrichtungen unterstellen wollen, signalisieren sie den Anspruch: Wir nehmen Paul VI. ernst und zeigen: Es gibt keinen Bruch. Im schlechteren Fall sind sie Ausdruck eines pastoralen Täuschungsmanövers, das weder die Würde des Meßopfers noch den Anspruch der Gläubigen ernst nimmt: Wenn Euch soviel an der Baßgeige und „smells and bells“ liegt – na bitte, dann habt halt euren Keks.
Das wäre kein Weg – die tieferen Ursachen der Ablehnung des Novus Ordo als alleinige Form der Meßfeier liegen tiefer. Jede stille Messe zeigt, daß die überlieferte Liturgie auf die smells and bells der Tradition nicht angewiesen ist – sie findet in der einfachsten Form ebenso erfüllenden Ausdruck wie im feierlichen Pontifikalamt. Ein Gedankenexperiment läßt vermuten, daß der Zusammenhang zwischen Form und Inhalt in vielen glücklich „konziliar reformierten“ Gemeinden inzwischen enger gesehen wird. Was würde geschehen, wenn man in einer ganz normalen deutschen Gemeinde, in der die Mehrheit der kleinen Minderheit, die überhaupt noch am Gottesdienst teilnimmt, nur den Geist der modernistischen kennt, wenn man dort die Sonntagsmesse nach den neuen Büchern, aber in den traditionsorientierten Formen des Brompton Oratory feiern würde? Zu befürchten ist, daß die Zelebranten und später der Bischof sich vor Protesten kaum retten könnten: Man zwingt uns vorkonziliaren Prunk und Protz auf, die wir doch glücklich überwunden haben, und verwehrt es uns, den Glauben des 21. Jahrhunderts zu erleben und zu leben. Das ist nicht mehr unsere Eucharistiefeier!
Die tatsächliche Entwicklung hat die beschwörenden Mahnungen Pauls VI., daß das neue Missale keine andere Theologie und keine andere Kirche bedeute als die der Tradition von 2000 Jahre, in der Praxis längst gegenstandslos gemacht. Deshalb sind auch alle Bemühungen zu einer „Reform der Reform“ im Sande verlaufen.