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Zum „Nationalfeiertag“

Bild: Eigene AufnahmeDie liturgischen Formen der Kirche haben Wurzeln, die weit in die Vergangenheit zurückreichen, ins Alte Testament und noch davor. Sich vor der Gottheit und ihrer Repräsentanz – lebendig oder als Statue – klein zu machen, zu Boden zu werfen, niederzuknien, ist als menschlicher Reflex nachgerade in den Instinkten verankert. Altäre auf Stufen zu erhöhen oder auf natürlichen, oft auch künstlichen Bergen zu errichten, ist schon für Abraham Erbe aus unvordenklicher Vergangenheit. Bereits Moses wusste, daß man den Ort Gottes nicht in den Schuhen der „alltäglichen Lebenswelt“ betritt, und ganze Bücher des alten Testaments enthalten wenig mehr als die penible Beschreibung der Gewänder und Gerätschaften, ihrer Farben und Materialien, die Priester und Leviten verwenden mussten, wenn sie zum Gottesdienst erschienen.

Die Kirche, kaum aus dem Elend der Verfolgungszeit entlassen, hat zu Teilen dieses jüdische Erbe aufgenommen und zu anderen Teilen um inzwischen in anderen Kulturen entstandene „säkulare“ Formen der Verehrung erweitert: Die dem Priester und damit Christus vorangetragenen Kerzen und der Gebrauch des Weihrauchs sind unmittelbar aus dem kaiserlichen Zeremoniell des byzantinischen Hofes übernommen. Das war bei weitem keine unzulässige Vermischung weltlicher und geistiger Sphären, denn weltliche Herrschaft war immer und überall auf der ganzen Welt nur denkbar als Widerspiegelung göttlicher Macht. Die Herrscher des Zweistromlandes und Ägyptens waren Priesterkönige oder Gottkönige, aber auch die Menschenopfer fordernden Inka-Herrscher. Der chinesische Kaiser verwaltete das „Mandat des Himmels“, und wenn sein japanischer Kollege nicht im Frühjahr nach dem Befehl der Lichtgöttin das erste Reisfeld bestellte, war im Herbst keine Ernte zu erhoffen. Die Vergöttlichung römischer Kaiser war nicht nur Cäsarenwahn, sondern – wenn auch pervertierter – Ausdruck des Wissens, daß alle Herrschaft „von oben gegeben“ (Joh 19) ist.

Die Könige des Mittelalters, auch die übelsten Gestalten unter ihnen, regierten ausnahmslos „von Gottes Gnaden“ - und ihr Hofzeremoniell machte nun seinerseits Anleihen bei der Liturgie der Kirche. Das Krönungsgewand des römisch-deutschen Kaisers war die mit der Albe getragene Dalmatik eines Diakons, dazu die vor der Brust gekreuzte Stola und der Chormantel – so letztmalig angelegt von Franz II. im Jahre des Unheils 1792. Wenn der römisch-deutsche Kaiser sich im Mittelalter zu Weihnachten in Rom aufhielt, kam es ihm zu, in der Papstmesse das Evangelium zu verlesen; er amtierte tatsächlich als Diakon Eine Anekdote aus der hohen Zeit des französischen Absolutismus berichtet von einer Debatte am Hof des Sonnenkönigs, ob die Hofgesellschaft sich beim Hochamt vor dem König oder vor dem Altar zu verneigen habe. Die schließlich gefundene Lösung war von salomonischer Eleganz: Die Höflinge verneigen sich vor dem König, und der König verneigt sich vor dem Altar und gibt so mit der eigenen auch die Ehrerbietung des Hofstaats an den König der Könige weiter.

Selbst die überaus säkularen und aufgeklärten preussischen Könige des nachnapoleonischen 19. Jahrhunderts verspürten nicht den Drang, sich dem „common sense“ zu widersetzen: Im Mausoleum Friedrich Wilhelms III, gest. 1840 und seiner Gattin Louise zeigt ein Apsisbild, wie die verstorbenen Majestäten vor dem Thron Christi niederknien, um ihm die verliehenen Kronen zurückzugeben.

Die in der Zeit der Monarchien zumindest in den Bischofskirchen oft mit höfischem Prunk gefeierte Liturgie bot zweifellos vielerlei Ansatzpunkte, gegen den wahren „Geist der Liturgie“ zu verstoßen. Es ist kein Zufall, daß mit dem Ende der Monarchien nach dem 1. Weltkrieg sich die liturgische Bewegung zunächst den einfacheren Formen der monastischen Liturgie zuwandte, wie sie sich in der Wiederaufbauzeit nach der französischen Revolution insbesondere in Frankreich entwickelt hatte. Die liturgische Bewegung war ganz wesentlich eine von Benediktinern geprägte Bewegung.

Doch mit dem Verschwinden der seit vielen Jahrhunderten zur Ideologie geronnenen Königsherrschaft von Gottes Gnaden und ihrer Ersetzung durch eine nicht weniger ideologisierte Vorstellung von Volksherrschaft bahnten sich weitere Veränderungen an. Der für den säkularen Bereich diskreditierte Begriff der „Majestät“, seit der römischen Kaiserzeit mit der Majestät Gottes identifiziert, verlor auch für die Liturgie Anschaulichkeit und – modern ausgedrückt – „Akzeptanz“. Im deutschen Text des Novus Ordo sucht man ihn vergebens, ebenso wie die Kniebänke in vielen modernen oder kaputtrenovierten Kirchenräumen. Statt dessen scheint sich hier und da die Vorstellung einer „Volkssouveränität“ einzuschleichen – etwa, wenn die unter  Leitung eines Vorstehers „ad populum“ veranstaltete „Gemeindemesse“ vielerorts die Form einer Vereinsversammlung annimmt, in der sich die Beteiligten „auf Augenhöhe“ ihrer eigenen Vortrefflichkeit vergewissern. Die ins Extrem getriebene Säkularisierung negiert die Transzendenz.

Die postmodernen westlichen Gesellschaften sind der bislang zweite historische Versuch, eine Gesellschaft zu entwerfen, in der sich der Mensch in seiner vermeintlich selbst geschaffenen „Würde“ und mit selbst verliehenen „Rechten“ genug ist - diesmal ohne Familien und Völker, aber mit 62 Geschlechtern. Der „Neue Mensch“ bedarf keines höheren Wesens, keines jenseits seiner selbst liegenden Auftrags und keines über ihn selbst hinausreichenden Zieles – er darf ihrer nicht länger bedürfen, um „frei“ zu sein. Kein Wunder, daß da schon früh die Frage nach der „Liturgiefähigkeit des modernen Menschen“ aufkommen musste und immer öfter aus purer Verständnislosigkeit unbeantwortet bleibt.

Der Gesellschaftsentwurf, der dem zu Grund liegt, wird seit einigen Jahren immer konsequenter zu einem Zwangsapparat umgestaltet, dem sich jeder eingliedern muß, der nicht marginalisiert oder ganz ausgestoßen werden will. Die Kirchenführungen scheinen dem wehrlos gegenüberzustehen, wenn sie nicht gar in Komplizenschaft verfallen. Daß sie jedes Interesse an liturgischen Fragen aufgegeben haben, ist da nur konsequent. Die ökumenische Festversammlung am Feiertag ohne Nation und im Staat ohne Grenzen bedarf keiner über einen zeitlichen Ablaufplan hinausgehenden Liturgie. Und wer als Christ seine eigentliche Heimat nicht auf dieser Welt hat, weiß, wo er die wahre Liturgie finden wird.

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