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Der heilige Räuber

Bild: Wikimedia commonsDer gestrige Palmsonntag hat nicht nur das Fest Mariä Verkündigung verdrängt, dessen Festgeheimnis wir bereits zu Beginn der Woche angesprochen hatten. Der Tag der Verkündigung seinerseits läßt alljährlich einen anderen Gedenktag in den Hintergrund treten, zu dem es im Martyrologium Romanum heißt: „Gedächtnis des heiligen Räubers zu Jerusalem, der sich am Kreuze zu Christus bekannte und vom Herrn der Worte gewürdigt wurde: Noch heute wirst Du mit mir im Paradiese sein.“ Von ihm heißt es in der kürzesten aller möglichen Heiligenbiographien: „Er war ein Räuber und ein Dieb – und am Ende schnappte er sich noch das Himmelreich“.

Wir wollen demgegenüber heute die Langfassung dieses bemerkenswerten Heiligenlebens vorstellen. Ein Teil davon taucht zum ersten Mal im überaus apokryphen „Evangelium nach Nikodemus“ auf, das in der Zeit Kaiser Konstantins entstanden ist und in Literatur und bildender Kunst bis in die Neuzeit hinein großen Widerhall gefunden hat. Dort erhielt der bis dahin anonyme Schächer seinen Namen Dismas, während sein unbußfertiger und gottloser Widerpart als Gestas angesprochen wird.

Ein anderer Teil entstammt einer späteren Schrift, dem im 6. Jahrhundert entstandene „Arabischen Kindheitsevangelium“. Es weiß zu berichten, daß die beiden Bösewichte schon zur Zeit der Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten als Hauptmänner einer Räuberbande in der arabischen Wüste ihrem Diebeshandwerk nachgingen. Ihnen fielen auch Maria, Josef und das Kind Jesus in die Hände, doch der eine Räuber dort mit Namen Titus bestach die anderen mit seinem gehorteten Gold, die (magere?) Beute wieder ziehen zu lassen. Warum der Räuber so handelte, hat die Legende nicht überliefert, wohl aber ein bemerkenswertes Gespräch zwischen den Hauptpersonen:

Als die Gottesmutter Maria gesehen hatte, daß der Räuber ihnen Gnade erwies, sprach sie zu ihm: Der Herr wird dich in seiner Rechten halten und dir Vergebung deiner Sünden schenken. Und der Herr Jesus antwortete ihr darauf: In dreißig Jahren, meine Liebe Mutter, werden mich die Juden in Jerusalem kreuzigen, und diese beiden Räuber werden mit mir gekreuzigt werden. Der eine zu meiner Rechten, und der andere zu meiner Linken – und nach diesem Tag wird Titus mir ins Paradies vorausgehen. Doch Maria sagte: Davor bewahre Dich der Herr, mein Kind.

Über die nächsten dreißig Jahre wissen dann selbst die fabulierfreudigsten Apokryphen nichts zu berichten, bis die Schächer, freilich namenlos, in den Passionsberichten wieder auftauchen, der „gute“ sogar nur bei Lukas. Wie es dann weiterging erfahren wir dann im früheren „Nikodemus-Evangelium“, das dem „Guten Räuber“ den Namen Dismas gegeben hat. Es berichtet von dem glanzvollen Zug der Gerechten des alten Bundes, den der Auferstandene nach seinem Sieg über die Unterwelt zum Paradiese führt – und bei dessen vom Engel mit dem Flammenschwert bewachten Tore sie eine bemerkenswerte Begegnung hatten:

Da kam ein unscheinbarer Mensch, der auf seiner Schulter auch ein Kreuz trug. Ihn fragten die heiligen Väter: Wer bist du, der du das Aussehen eines Räubers hast, und was ist das für ein Kreuz, das du auf der Schulter trägst?

Er antwortete: Ich war, wie ihr sagt, ein Räuber und Dieb in der Welt, und deshalb ergriffen mich die Juden und überlieferten mich dem Kreuzestode zugleich mit unserem Herrn Jesus Christus. Als er nun am Kreuz hing, schaute ich die Zeichen, die geschahen, und glaubte so an ihn. Und ich rief ihn an und sprach:

Herr, wenn du herrschen wirst, dann vergiß mich nicht!

Und sogleich sprach er zu mir: Wahrlich, wahrlich, heute, sage ich dir, wirst du mit mir im Paradiese sein.

Mein Kreuz tragend, kam ich also zum Paradiese, fand den Erzengel Michael und sagte zu ihm: Unser Herr Jesus, der Gekreuzigte, hat mich hergeschickt. Führe mich also zum Tor des Gartens Eden! Und da das flammende Schwert das Zeichen des Kreuzes sah, öffnete er mir, und ich ging hinein. Dann sprach der Erzengel zu mir: Warte ein Weilchen! Denn da kommt auch der Urvater des Menschengeschlechts Adam mit den Gerechten, damit auch sie hier eintreten. Und da ich euch jetzt sah, ging ich euch entgegen.

Als die Heiligen das hörten, riefen sie alle mit lauter Stimme: Groß ist unser Herr, und groß ist seine Kraft!“

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Die Abbildung stammt aus dem in syriakischer Sprache und Schrift verfassten Rabbula-Evangeliar, das im 6. Jahrhundert entstanden ist und heute in der Biblioteca Medicea in Florenz aufbewahrt wird. Es entstand also zur etwa gleichen Zeit wie das „arabische Kindheitsevangeliium“, enthält aber im Unterschied zu diesem den authentischen und vollständigen Text der vier Evangelien.

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