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Zur Pfingstvigil vor 1955

Bild: Marco Plassio, Wikimedia CommonsIn der überlieferten Liturgie, die in dieser Form bis 1955 praktiziert wurde, hat die Vigil von Pfingsten einen zweifachen Charakter: Sie ist – wie ursprünglich alle Vigilien – ein Tag der Buße und der betenden Vorbereitung auf den kommenden Festtag. Die nächtliche Feier bildete den Abschluß dieser Vorbereitung und bot einen harmonischen Übergang zur Feier des eigentlichen Festes. Die Pfingstvigil war aber außerdem eine Art Replik, ein Wiederholungstermin der Ostervigil. In der Nacht vor Pfingsten erhielten Katechumenen, die an der österlichen Taufe nicht teilnehmen konnten, eine zweite Gelegenheit zum Empfang des Sakraments. Sie erhielten in den Lesungen eine letzte Unterweisung; es fand eine eigene Weihe des Taufwassers statt, und schließlich wurden die Katechumenen in feierlicher Prozession zur Taufe geführt. Praktischer Grund für diesen Wiederholungstermin war wohl die Tatsache, daß es immer wieder Taufbewerber gab, die aus äußeren Gründen (Krankheit, Reisehindernisse) an der Taufe in der Osternacht nicht teilnehmen konnten. Es konnten aber auch innere Gründe vorliegen, etwa, daß Katechumenen bei den Scrutinien nach der Vorbereitungszeit noch beträchtliche Wissenslücken offenbarten, die eine Verschiebung der Taufe und eine mehrwöchige „Nachschulung“ angeraten erscheinen ließen.

Auch lagen die beiden Festgedanken traditionell nahe beieinander. Der Opfertod am Kreuz, die Auferstehung und die Ausgießung des heiligen Geistes bildeten deutlicher als das heute vielfach empfunden wird drei Facetten des einheitlichen Erlösungsgeschens. Pfingsten war keine neues Fest nach Ostern, sondern Pfingsten bildete den Abschluß und war einer der drei Höhepunktes des großen Festes der Erlösung.

Von daher konnte sich die liturgische Feier der Pfingstvigil eng an die Formen der Osternacht anschließen. Wie diese hatte sie eine Reihe von alttestamentlichen Lesungen, die den Katechumenen noch einmal Hauptstationen der Heilsgeschichte vorstellten. Es waren hier allerdings nur sechs Lesungen, eine Auswahl aus der umfangreicheren Liste der Osternacht in zudem veränderter Reihenfolge. Wo es Tractus zu den Lesungen gibt, sind es die gleichen wie am Karsamstag – aber die Texte der nach den Lesungen gebeten Orationen unterscheiden sich von denen am Karsamstag. Nicht wirklich verschieden dem Sinne nach – schließlich beziehen sie sich auf die gleichen Schriftstellen und greifen die gleichen Motive auf, die auch am Karsamstag betont wurden. Aber verschiedene im Wortlaut. Tatsächlich lesen sie sich wie zwei Redaktionen ein- und desselben Grundtextes, die vielleicht verschiedenen lokalen Traditionen oder zeitlichen Ebenen entstammen.

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Als Beispiel seien hier zunächst die beiden Orationen zur Perikope vom Durchzug durch das Rote Meer zitiert, die am Karsamstag an der 4. und in der Pfingstvigil an 2. Stelle steht. Beide im Wortlaut des Schott vor den Reformen der 50er Jahre.

Am Karsamstag heißt es:

O Gott, die Wunder, die Du vor alters gewirkt hast, sehen wir auch in unseren Zeiten wieder aufstrahlen: Was Dein mächtiger Arm an dem einen Volke getan, als du es vor den ägyptischen Verfolgern gerettet, das wirkst Du zum Heil der Heidenvölker durch das Wasser der Wiedergeburt; darum gewähre, daß die ganze Welt zu Kindern Abrahams und zur Würde Israels erhoben werde. Durch unsern Herrn...

In der Version der Pfingstvigil:

O Gott, Du hast die in der Vorzeit gewirkten Wunder durch das Licht des neuen Testamentes aufgehellt; so erscheint das Rote Meer als das Bild des hl. Taufquells und das aus ägyptischer Knechtschaft befreite Volk ist ein Sinnbild für die Sakramente des christlichen Volkes, gib daher, daß alle Völker durch das Verdienst des Glaubens das Vorrecht Israels erlangen und durch den Empfang Deines Geistes wiedergeboren werden. Durch unsern Herrn...

Das könnte den Gedanken nahelegen, die pfingstliche Version sei später entstanden, schon ein wenig weiter weg vom Geist des alten Testaments und – nicht zuletzt wegen der ausdrücklichen Erwähnung des Geistes – „theologischer“ und näher am dogmatisierten Glauben der Kirche.

Die Oration zur Perikope aus dem Buch Ezechiel, die am Karsamstag an 7. und in der Pfingstvigil an 6. Stelle steht – es geht dabei um die Vision des Propheten von der Wiederbelebung toter Gebeine durch den Geist Gottes – erweckt allerdings eher den gegenteiligen Eindruck. Hier lautet die Oration in der Karsamstagsfassung:

O Gott, Du belehrst uns für die Feier des Ostergeheimnisses durch die Bücher beider Testamente; so gib uns die Erkenntnis Deiner Barmherzigkeit, auf daß aus dem Erfassen Deiner gegenwärtigen Gaben die zuversichtliche Hoffnung auf die künftigen erwachse. Durch unsern Herrn...

In der Pfingstvigil heißt es demgegenüber:

Herr, Gott der Heerscharen, Du erneuerst Zerfallenes und bewahrst das Erneute; mehre die Volksscharen, die durch Deinen heiligmachenden Namen erneuert werden sollen, und leite immerdar durch den Hauch Deiner Gnade alle, die in der heiligen Taufe reingewaschen werden. Durch unsern Herrn...

So läßt sich also aus diesem Vergleich kein eindeutiger Schluß ziehen, höchstens die Vermutung ableiten, daß es den Verfassern der Orationen in der Entstehungszeit, aber auch den Revisoren nach Trient nicht darum ging, das von Ihnen Vorgefundene auf Biegen und Brechen zu Vereinheitlichen. Sie konnten gut mit unterschiedlichen Versionen und Ausdrucksweisen leben, solange die Texte nur insgesamt in die richtige Richtung wiesen. Und sie hatten auch keine Bedenken bei vermeintlich „unnötigen Wiederholungen“, so daß ihnen die Anrufung des Ostergeheimnisses in der Pfingstvigil als die natürlichste Sache der Welt erscheinen mochte. Die sie ja schließlich auch ist.

Die Reformer der Bugnini-Epoche waren da aus anderem Holz geschnitzt. Sie betrachteten de Pfingstvigil mit ihrem betonten Tauf-Charakter anscheinend als eine Art „unnötige Wiederholung“, zumal Taufen in der Praxis wohl nur noch selten in dieser Nacht gespendet wurden – wenn überhaupt. Soweit sie sie nicht ganz abschafften, entkleideten sie die Vigilien des Charakters der bußfertigen Festvorbereitung und machten sie, zu einer Art Vorfeier des Festgeheimnisses. In der Vorabendmesse von Pfingsten wird der Zusammenhang mit Ostern – immerhin – im Tagesgebet noch kurz angesprochen, aber jede Erinnerung an die früher stattfindenden Taufen ist getilgt. Von den früheren der Lesungen ist nur noch ein Alternativangebot mehrere Perikopen aus dem alten Testament übrig geblieben, die sich jedoch auf das Thema des hl. Geistes bzw. seiner Vorahnung in den Schriften des alten Bundes beschränken. Eine ausführlichere Darstellung der Reformgeschichte bietet Gregory Dipippo auf New Liturgical Movement.

In den inzwischen mehr als 60 Jahren seit der weitgehenden Abschaffung bzw. Einebnung der Vigilien unter Papst Pius XII. wurde das Meßformular dieses Tages römischerseits mehrfach erneut „reformiert“, wobei schwer zu erkennen ist, wieweit diese Veränderungen in den nationalsprachlichen Versionen der Messbücher nachvollzogen worden sind. Im „Großen Sonntagsschott“ von 1975, also aus den Jahren nach der Reform Pauls VI., Ist die oben skizzierte Vorabendmesse zu Pfingsten noch enthalten. Die gegenwärtige Online-Version des Schott, die repräsentativ für die liturgische Situation in vielen Gemeinden ist, kennt für den 19. Mai 2018 nur noch eine „Messe am Vormittag“ für den Samstag der 7. Osterwoche.

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