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Der Bischof als Hoherpriester

Die Bischöfe von vier mitteleuropäischen Bistümern besitzen seit über tausend Jahren das päpstliche Privîleg, zu ihren liturgischen Paramenten ein sogenanntes „Rationale“ zu tragen – einen reich geschmückten Überwurf für Brust und Rücken, der über der Kasel getragen wird. Das sind die Bistümer Krakau, Toul, Paderborn und Eichstädt, deren Oberhirten ihr Rationale auch heute noch zu besonders feierlichen Anlässen zu tragen pflegen. (Hier eine Abbildung) Die Ursprünge dieses Ornaments liegen im Dunkeln der Geschichte des hohen Mittelalters. Seine Träger waren jedenfalls überzeugt, daß es in der Tradition des mit Edelsteinen besetzten Brustschildes (Choschen) des jüdischen Hohenpriesters stehe. Dementsprechend werden mehrfach auch Päpste als Träger des Rationale abgebildet – ob sie es jemals tatsächlich getragen haben, ist unsicher. Mit einer Ausnahme: Von Papst Paul VI. gibt es mehrere Photos, die ihn als Träger einer verkleinerten Version des alttestamentarischen Choschen zeigen.

Außerdem gibt es im Verzeichnis der päpstlichen Schatzkammer von Avignon einige Pektoralien, bei denen es sich möglicherweise aber um im späten Hochmittelalter  oft als "Pektorale" bezeichnete Rationales handelt. Hier wird ein weiterer Zusammenhang sichtbar: Das heute wie selbstverständlich von Bischöfen als Brustkreuz getragene Pektorale scheint ein unmittelbarer Nachfolger des seinerseits auf das Choschen des alten Testaments zurückgeführten hochmittelalterlichen Rationale zu sein, und seinen üblicherweise reichen Besatz mit Edelsteinen verdankt es damit nicht oder jedenfalls nicht nur der Prunksucht spätmittelalterlicher Prälaten, sondern eben der bis auf das Buch Levitikus zurückgehenden Vorgabe, das hochpriesterliche Brustschild mit (Halb-)Edelsteinen zu schmücken – für jeden der 12 Stämme einen.

Unser konkreter Grund, gerade jetzt auf dieses selbst Spezialisten der Paramentenkunde wenig bekannte Stück einzugehen, ist folgender: Im Jahr 1975 veröffentlichte der Paderborner Kirchenhistoriker Klemens Honselmann ein umfangreiches Werk zum Thema, in dem er nicht nur sämtliche (damals) bekannten Informationen zum Thema zusamentrug, sondern auch alle erreichbaren Stücke sowie Bildwerke, auf denen Rationale abgebildet sind, dokumentierte – auf 250 Bildseiten des insgesamt über 400 Seiten umfassenden Werkes. Anscheinend ist kürzlich eine Kiste mit mehreren druckfrischen Exemplaren dieses Werkes aufgetaucht – jedenfalls wird es derzeit im Antiquariatshandel mehrfach über Amazon und ZVAB angeboten, größtenteils zu Preisen zwischen 4 und 10 Euro. Von Interesse nicht nur wegen der genannten Spezialinformationen und Abbildungen, sondern auch wegen zusätzlicher Schlaglichter auf die gelegentlich sehr turbulente Geschichte der Kirche im hohen Mittelalter.

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