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Melchisedech der Hohepriester

Wikimedia - Username RugeDas Martyrologium Romanum von 2004 verzeichnet für den 26. August den „Gedenktag des heiligen Melchisedech, gerechter König von Salem und Priester des allerhöchsten Gottes“. Das ist insoweit besonders bemerkenswert, als Melchisedech in früheren Ausgaben des Martyrologiums, die zahlreiche Propheten und Patriarchen des alten Testaments enthalten, noch nicht aufgeführt war.

Das alte Testament ist mit Auskünften zu Melchisedech – der Name wird traditionell mit „König der Gerechtigkeit“ übersetzt - zurückhaltend. Er kommt dort nur an zwei Stellen vor. Nach Gensesis 14, 18-20 kam es nach einem der siegreichen Feldzüge Abrahams im Tal der Schawe zu eine Begegnung von Abraham und Melchisedech, die keine Vor- und keine Nachgeschichte hat:

Aber Melchisedech, König von Salem, brachte Brot und Wein, denn er war ein Priester Gottes des Allerhöchsten. Und er segnete ihn, und sprach: Gesegnet sei Abraham vom höchsten Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat. Und gepriesen sei der Höchste Gott, durch dessen Schutz die Feinde in deine Hand gegeben sind. Daraufhin gab (Abraham) ihm den Zehnten von allem.

Das zweite Vorkommen ist der Vers 4 von Psalm 109 (Zählung der Septuaginta), der hier ganz wiedergegeben werden soll:

Es sprach der Herr zu meinem Herrn:
Setze Dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde dir zum Schemel deiner Füße lege.
Den Zepter Deiner Macht wird der Herr ausgehen lassen von Sion: Herrsche inmitten deiner Feinde.
Mit Dir ist die Herrschaft am Tage deiner Kraft im Glanz des Heiligtums.
Aus meinem Schoß habe ich Dich gezeugt vor dem Morgenstern.
Der Herr hat es geschworen und nie wird es ihn gereuen:
Du bist Priester auf ewig nach der Ordnung des Melchisedech.
Der Herr zu deiner Rechten wird Könige zerschmettern am Tag seines Zornes.
Er wird die Völker richten und in die Niederlage stürzen, die Häupter zerschmettern überall auf der Erde.
Er trinkt aus dem Bach am Wegesrand, darum kann er das Haupt erheben.

Dieser Psalm spielte eine große Rolle dabei, Melchisedech als einen Typus, als eine Vorgestalt Christi wahrzunehmen und das Verständnis dieser rätselhaften Figur in enger Anlehnung an das Verständnis Christi zu entwickeln. Die Juden der vorchristlichen Zeit und die frühen Christen waren für dieses Verständnis nicht nur auf die wenigen Zeilen des kanonischen Alten Testaments angewiesen. Es gab eine reiche Melchisedech-Literatur, die aus apokryphen Schriften und den Textfunden aus Qumran und anderen Orten in einigem Umfang bekannt und erforscht ist. Wer diesen Vers des Psalms hörte und betete, verband also durchaus eine Vorstellung mit der „Ordnung des Melchisedech“.

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Allerdings zeigen diese Dokumente des späten Judentums und des frühen Christentums, aber auch nichtchristlicher Schulen im gnostischen Umfeld, eine beträchtliche Bandbreite von Deutungen der Figur des Melchisedech – bis hin zu den „Melchisedekianern“, die Melchisedech geradewegs mit Christus identifizierten oder ihn diesem sogar als eine Art höherrangige Gottheit überordnen wollten. Diese Figur war also durchaus der Deutung bedürftig – und diese Deutung erfolgt im neuen Testament im Brief an die Hebräer, der traditionell dem Apostel Paulus zugeschrieben wird.

Der Brief an die Hebräer ist der einzige Text des NT, in dem Melchisedech vorkommt – allerdings in einer zentralen Rolle. Melchisedech wird dort in den Kapiteln 5 – 8 mehrfach namentlich genannt oder dem Sinn nach angeführt, um den Juden und Judenchristen, an die der Brief gerichtet ist, anhand einer ihnen offenbar wohlbekannten Figur die Rolle Christi, des eigentlichen ewigen Hohenpriesters, zu verdeutlichen. Die Bedeutung dieses Briefes kann kaum überschätzt werden, weil in ihm Rolle und Funktion Christi in der Heilsgeschichte ausführlich in Bezug auf den Glauben des alten Bundes beschrieben werden – und zwar sowohl hinsichtlich der Elemente, die aus dem alten Bund überkommen oder dort zumindest in ihrer Vorgestalt angedeutet sind, als auch hinsichtlich derer, in denen der neue Bund über den alten hinausgeht und ihn letztlich ablöst.

Zentrale Stellung hat dabei das 7. Kapitel, in dem die neuerdings gerne bestrittene Ablösung und Ersetzung des alten Bundes durch den neuen Bund in Christus in aller Deutlichkeit ausgesprochen wird. Ausgangspunkt ist dabei die unerhörte Aussage des Buches Genesis, nach der Stammvater Abraham dem wie aus dem Nichts erscheinenden Melchisedech den Zehnten zahlt. Damit erkennt er ihn nicht nur als den Höherrangigen an. Damit wird auch die Stellung Levis, relativiert des Stammherrn und Begründers des levitischen Priestertums im Tempel des alten Bundes, das nach diesem Bund allein das Recht zur Erhebung des Zehnten hatte. Und so schreibt Paulus:

Und in Abraham hat sozusagen auch Levi, der den Zehnten nimmt, den Zehnten entrichtet; denn er war noch im Leib seines Stammvaters, als Melchisedek ihm entgegenging. Wäre nun die Vollendung durch das levitische Priestertum gekommen - das Volk hat unter diesem das Gesetz erhalten - warum musste dann noch ein anderer Priester nach der Ordnung Melchisedeks eingesetzt werden und warum wurde er nicht nach der Ordnung Aarons benannt? Denn sobald das Priestertum geändert wird, ändert sich notwendig auch das Gesetz. (9-12)

Von diesen Aussagen leitet sich die hervorgehobene Stellung ab, die Melchisedech im „supra quae“ des römischen Kanons einnimmt und die im oben gezeigten Mosaik von San Vitale in Ravenna aus dem 6. Jahrhundert so eindrucksvoll illustriert ist:

Schaue huldvoll (auf dieses Opfer) nieder mit gnädigem und mildem Angesicht, wie Du einst mit Wohlgefallen angenommen hast die Gaben Abels, Deines gerechten Dieners, das Opfer unseres Patriarchen Abraham, das heilige Opfer und die makellose Gabe, die Dein Hoherprister Melchisedech Dir dargebracht hat.

So steht Melchisedech in einer Reihe mit den Patriarchen der vorhergehenden Bünde Gottes mit der Menschheit und seinem Volk. Tatsächlich beschließt er diese Reihe und verweist so als dessen Vorläufer und Vorgestalt auf Christus, der diese unvollkommenen Bündnisse im neuen ewigen Bund ablöst.

Die im Hebräerbrief gegebene Deutung der Stellung Melchisedechs war schon in frühchristlicher Zeit Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen jüdischen und christlichen Gelehrten. Sie bildet heute eines der wesentlichen Motive modernistischer Theologen für ihre Ablehnung des römischen Kanons.

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