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Küsst den Sohn!

Bild: Aus dem Psalter des Fra An gelico im Museum di San Marco zu FlorenzDa schaut man mal einen Augenblick nicht hin – und schon haben sie das Wort Gottes verändert, daß man es nicht mehr wiedererkennt. Seit dem ersten Adventssonntag ist für die katholische Kirche in Deutschland die Einheitsübersetzung von 2016 verbindlich, die an die Stelle der Einheitsübersetzung 1980 getreten ist. In dieser aktuellen Version finden sich fast auf jeder Seite neue Wendungen und Begriffe, die den Leser oder Beter ganz schön ins Stocken bringen können. Zumindest in der offiziellen Internetversion geschieht das ohne jeden Hinweis, ohne jede Erklärung. Übrigens: „Einheitsübersetzung“ hat trotz anfänglicher Bestrebungen in dieser Richtung nichts mit „ökumenisch“ zu tun, sondern es bedeutet, daß diese Übersetzung auch und gerade für die Liturgie verbindlich ist – zumindest in der Theorie sind alle Bibelstellen nicht nur in den Lesungen, sondern z.B. auch in den Gesängen, vor allem den Psalmen, auf Deutsch nur noch nach dieser Version zulässig.

Wir haben daher damit begonnen, uns zunächst die Psalmen etwas genauer anzuschauen – und gleich bei den ersten fanden wir Grund zu beträchtlicher Verwunderung. Ein Grund soll hier nur ganz kurz und einmal für alle angesprochen werden: Die knochentrockene und kaum bet- oder singbare Sprache. Die Übersetzung der Psalmen von 1980 – gegen die man ebenfalls zahlreiche Einwände erhoben hat und weiterhin erheben muß – ist in einer leicht gebundenen Sprache abgefasst. Kein konsequentes Versmaß, aber fließend mit leichtem Rhythmus. Dem stellt die neue Fassung eine Sprache gegenüber wie aus dem Übersetzungskurs für angehende Verwaltungsbeamte beim europäischen Patentamt: (Scheinbar) präzise, aber ohne jedes Sprachgefühl, als ob die Übersetzer nie einen Psalm gebetet oder gar gesungen hätten. Eine einheitliche Sprachebene ist nicht feststellbar – leicht altertümelnde Wendungen wie „sein Gefallen haben“ stehen unmittelbar neben sachlich modern anmutenden wie „Bäche voll Wasser – die vorherige Version hatte hier „seine Freude haben“ und „Wasserbäche“.

Vermutlich kann man für die Wahl solcher Wendungen irgendwelche Argumente einer angeblich größeren Übereinstimmung mit dem „hebräischen Urtext“ bemühen – aber jeder, der auch nur die entfernteste Ahnung davon hat, mit wievielen Unwägbarkeiten und theoretischen Voraussetzungen die Interpretation dieses (vermeintlichen) Urtextes verbunden ist, weiß, daß das meistens nichts als Willkür ist. Selbst klassische jüdische Kommentatoren legen hier immer wieder unterschiedliche Nuancen nahe, und nimmt man die unterschiedlichen Varianten dazu, wie sie aus den Schriftfunden von Qumran und anderswo bekannt geworden sind, verflüchtigen sich alle Gewissheiten, die z.B. die Wahl von „Bäche voll Wasser“ gegenüber „Wasserbächen“ begründen könnten. Völlig unmöglich wird jeder Versuch in dieser Richtung, wenn man auch die Septuaginta, die Vulgata und deren traditionelle Kommentatoren dazu nimmt. Jede Psalmenübersetzung enthält in jedem Wort das Ergebnis von vielschichtigen Entscheidungsprozessen – aber keiner davon bietet eine Entschuldigung für schlechtes und holpriges Deutsch. Hier geht es weiter

Geradezu lächerlich könnte der Versuch anmuten, das in seiner Funktion und Bedeutung unbekannte Lesezeichen „Sela“ erstmals mit in eine (katholische) Übersetzung hereinzunehmen. Es wird in der Septuaginta durch das ebenso rätselhafte „diapsalma“ wiedergegeben und in der Vulgata und den daran orientierten Übersetzungen konsequent ausgelassen. Könnte – denn natürlich hat auch solch ein Unfug seine Bedeutung, oder gleich mehrere: Er täuscht wissenschaftliche Präzision vor und folgt dem ökumenischen und interreligiösen Mainstream.

Eine generelle Tendenz der neuen Psalemenübersetzung ist darin zu erkennen, daß bei unterschiedlichen Lesarten der griechischen (Septuaginta) und der hebräischen (Masoreten) Tradition anscheinend generell der letzteren der Vorzug gegeben wird. Das auch da, wo noch die Version von 1980 der traditionell katholischen Lesart von Septuaginta (und Vulgata!) folgte und wo das kommentarlose Umschwenken auf die masoretische Lesart sowohl Leser als auch Beter vor beträchtliche Probleme stellen kann. Gleich Psalm 2 (Was toben die Heiden...) bietet dafür ein instruktives Beispiel. Der Schluß dieses Liedes  enthält in den Versen 10-12 in der Fassung von 1980 die Aufforderung:

Wohlan ihr Könige, kommt zur Einsicht! / Lasst euch warnen, ihr Beherrscher der Erde!
Dient dem Herrn in Furcht und huldigt ihm / Unter Beben erweist ihm Gehorsam.
Daß er nicht ergrimme und ihr auf dem Weg nicht verderbt, / wenn bald entbrennt sein Zorn! Selig dann alle, die zu ihm flüchten!

Das sieht 2016  so aus:

Nun denn, ihr Könige, kommt zur Einsicht, lasst euch warnen, ihr Richter der Erde!
Mit Furcht dient dem HERRN, jubelt ihm zu mit Beben,
küsst den Sohn, damit er nicht zürnt und euer Weg sich nicht verliert, denn wenig nur und sein Zorn ist entbrannt. Selig alle, die bei ihm sich bergen!

Die Hauptfrage hier ist natürlich: Wo kommt denn plötzlich der Sohn her und was hat er zu bedeuten?. Das woher ist leicht zu beantworten: Man muß nur zwei hebräische Buchstaben zwischen dem Ende von Vers 11 und dem Anfang von 12 austauschen – und schon kann man so, oder so übersetzen: „Mit Zittern folgt seinen Geboten“ oder „küsst den Sohn“. Beide Lesarten sind in  hebräischen Versionen – aber was ist die richtige, was ist die falsche Variante? Vermutlich sind darüber mehr Doktorarbeiten geschrieben worden, als ein Mensch bei klarem Verstand lesen möchte, aber im Grund ist die Sache gar nicht so schwierig. Psalm 2 stammt zumindest in Teilen höchst wahrscheinlich aus dem Krönungsritual jüdischer Könige oder aus dem Einsetzungsritual des hohen Priesters und enthält Sprache und Bilder des Herrscherkultes im alten Orient. Wenn die Großen des Landes antraten, um dem neuen Herrscher zu huldigen, mochte es überaus angemessen sein, auch seinem Sohn, sei er drei oder dreißig Jahre alt, durch einen Kuß Anerkennung und Freundschaft zu versichern. Aus dieser Sicht also kann man die Lesart mit dem „Sohn“ als die ältere und damit maßgeblichere betrachten. Maßgeblich aber auch für das Beten Israels?

Denn man kann es auch gerade anders herum ansehen: Schließlich unterschied sich Israel über viele Jahrhunderte dadurch von seinen Nachbarn, daß es eben keine Könige hatte, sondern von „Richtern“ gelenkt wurde, die sich als Diener der Gebote des Bundesgottes verstanden. Stärker als bei den Nachbarn war der HERR selbst als Herrscher seines Volkes stets gegenwärtig, ihm sollten alle dienen und seinen Geboten zitternd Gehorsam erweisen. Soviel Unterschied nur bei der Umstellung von zwei Buchstaben!

Tatsächlich bietet Psalm 2 schon von der ersten Zeile an die Möglichkeit zu einer Lesung mehr in säkularer oder mehr in transzendentaler Tendenz. In der Tradition der Septuaginta und noch mehr der Vulgata herrscht die metaphysische vor, in der masoretisch-hebräischen vielfach die säkulare. Und so fragt die Einheitsübersetzung von 1980, die sich noch stärker an der Vulgata orientierte, in der ersten Zeile: Warum toben die Heiden, was schmieden die Völker nichtige Pläne? Damit entspricht sie getreu der Denkweise der Juden in der Zeit um Christus und davor, denen jeder Säkularismus fremd war und die alle Fremden primär als Ungläubige und Heiden betrachteten. Später mag sich das – nicht zuletzt im Zeichen der betonten Abgrenzung vom Christentum und der Betonung völkischer Aspekte in der Diaspora – stärker zum Säkularen verschoben haben. Vielleicht wurden die bereits mehrfach angeführten „zwei Buchstaben“ in diesem Zusammenhang sogar irgendwann bewußt ausgetauscht – tatsächlich sind aus der Überlieferungsgeschichte des Alten Testaments zahlreiche derartige Fälle von Textveränderungen bekannt. Die Struktur der hebräischen Sprache und die Eigenheit der Schreibung, die nur die Konsonanten (und damit oft genug nur die Wortstämme) halbwegs eindeutig festhielt, bietet da erstaunliche Möglichkeiten.

Das alles wissen die Alttestamentler seit mindestens zweihundert Jahren. Wenn die Übersetzer von 1980 also von den „Heiden“ sprechen und die von 2017 „Völker und Nationen“ am Werk sehen, wenn sie vor 37 Jahren ehrfürchtigen Gehorsam vor dem Gott in der Höhe eingefordert sehen und heute auf unverständliche Weise Unterwerfungsritual zur Sicherung der Thronfolge assoziieren, ist das nicht neuer Erkenntnis geschuldet, sondern einer bewußten Entscheidung für die mehr ins Säkulare tendierende Lesart.

Besonders ärgerlich dabei ist, daß das ohne jeden Kommentar oder sonstigen Hinweis erfolgt – zumindest in der Version der „Einheitsübersetzung“ für das gemeine Volk. Damit fallen die aktuellen Übersetzer weit hinter einen Allioli von der Mitte des 19. Jahrhunderts zurück, der in seiner Übersetzung „aus der Vulgata“ den Vers 11/12 so wiedergibt:

Dienet dem Herrn in Furcht und frohlocket ihm mit Zittern. Ergreifet die Zucht, daß nicht etwa zürne der Herr...

Und zu „Ergreifet die Zucht“ schreibt er in der Anmerkung: „Im Hebr.: Küsset den Sohn (den göttlichen), d.i. huldigt ihm.“ Der biedermeierliche Allioli mutet seinen Lesern – gebildete Laien und fachtheologisch nicht besonders engagierten Geistlichen – zu, den Unterschied zu bemerken und ihn sich gegebenenfalls durch weitere Lektüre oder Katechese zu erklären. Die autoritären „Modernen“ von 2016 kennen nur ihre Weisheit, nur ihre Parole des Tages. Und wenn die sich von 1980 auf 2016 ändert, ändert sich das Wort Gottes eben mit.

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