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Bücherverbrennung katholisch

Wir haben einen Gedenktag übersehen: Am 22. Februar 1962 erließ Papst Johannes XXIII. das Motu Proprio Veterum Sapientia über die „Die Förderung des Studiums der lateinischen Sprache“. Das war ziemlich genau drei Jahre nach seiner Ankündigung vom 15. Januar 1959, ein Konzil einzuberufen, um die Kirche zu „verheutigen“. Wenn wir dem heiligen Papst also nicht völlige Plan- und Ziellosigkeit unterstellen wollen, müssen wir davon ausgehen, daß er in seinem Hohen Lied auf die Weisheit der Altvorderen und den Wert des Latein als Kirchensprache keinen Gegensatz zu dem von ihm angestrebten „Aggiornamento“ sah, sondern ein Mittel, um diesem Ziel in Treue zur Tradition und Lehre der Kirche näher zu kommen, womöglich sogar dem herannahenden Konzil eine Richtschnur zu geben. Denn ein Motu Proprio ist ja nicht nur ein Loblied, sondern auch ein bindender Gesetzesakt der Kirche.

Soviel dialektische Klugheit war den Modernisten, die auf und nach dem Konzil dessen angeblichen Geist für sich reklamierten, nicht gegeben. Sie sahen und sehen immer noch in der lateinischen Sprache für die Liturgie ein Hindernis bei der Durchsetzung ihrer Gemeinschaftlichkeits-Ideologie und für die Wissenschaft eine Fessel an die von ihnen ebenso verachtete wie gefürchtete Tradition. Also weg mit dem Latein und weg mit Veterum Sapientia, der vielleicht am konsequentesten totgeschwiegenen und missachteten lehramtlichen Erklärung des 20. Jahrhunderts.

Hier geht es weiterDas relativ kurze Dokument, dessen Lektüre nur dringend empfohlen werden kann, besteht aus zwei Teilen: Einem allgemeinen ersten über Erhabenheit und Werte der lateinischen Sprache, und einem zweiten, deutlich kürzeren, mit Anordnungen zur Wiederbelebung des Studiums und des Gebrauchs der lateinischen Sprache. Der erste fasst alle guten Argumente zusammen, die gemeinhin für den Erhalt der lateinischen Kirchensprache in Liturgie, Wissenschaft und Administration angeführt werden. Die Schönheit und Erhabenheit der Worte, die Klarheit und Beständigkeit des Gemeinten, die keinem Volk oder Staat zugehörende Allgemeinheit und Universalität, der Schatz und Schlüssel der Tradition. Zu Lezterem führt der von interessierter, aber wenig wahrheitsliebender Seite zum Quasi-Revolutionär entstellte Papst folgendes aus (Quellenangaben aus den AAS gekürzt):

Da die lateinische Sprache, die wir „mit Recht als die katholische bezeichnen können“ (Pius XI.1., August 1922), durch den immerwährenden Gebrauch seitens des Heiligen Stuhles, der Mutter und Lehrmeisterin aller Kirchen, geheiligt ist, muss sie als „Schatz ... von unvergleichlichem Wert“ (Pius XII., 23. Nov. 1951) angesehen werden. Sie bildet auch gleichsam eine Pforte, durch die der Zugang zu den seit alters überlieferten Wahrheiten selbst und zum Verständnis des Lehrgutes der Kirche sich öffnet (Leo XIII., 8. Sept. 1899). Sie ist schließlich ein vortreffliches Band, durch das das gegenwärtige Zeitalter der Kirche mit der Vergangenheit und der Zukunft wunderbar verbunden wird.

Vielleicht sah Papst Johannes ja schon, daß der von ihm eingeleitete „konziliare Prozess“ vielerlei Ungeister auf den Plan gerufen hatte, die sich alle in dem Ziel einig waren: Genau dieses Band zu zerschneiden und die Zukunft nach eigener Willkür zu gestalten. Deshalb beließ er es nicht bei den allgemeinen Ausführungen, sondern traf im zweiten Teil des Dokuments verschiedene Anordnungen mit unmittelbarer Gesetzeskraft:

  1. Die Bischöfe sind verpflichtet, darauf zu achten, daß die Richtlinien des Motu Proprio in Schulen und Seminaren eingehalten werden;
  2. Die Bischöfe sollen keine gegen den Gebrauch des Lateinischen in Unterricht und Liturgie gerichtete Propaganda dulden;
  3. Alle Priesterkandidaten, auch die Spätberufenen, müssen „vollkommen in dieser Sprache bewandert“ sein und mit ihr umzugehen verstehen, damit sie zu den philosophischen und theologischen Vorlesungen zugelassen werden können;
  4. Auch hohe Belastung durch andere Fächer kann die Studenten nicht von dieser Pflicht entbinden – sonst „muss man das Studium verlängern, die betreffenden Fächer kürzer fassen oder schließlich ihren Unterricht in eine andere Zeit verlegen.“
  5. (im ungekürzten Wortlaut):

Die Hauptdisziplinen der Theologie müssen, wie schon öfter vorgeschrieben, in lateinischer Sprache erteilt werden. Diese ist, wie wir aus einer Erfahrung von mehreren Jahrhunderten wissen, „als besonders geeignet anzusehen, die schwierigsten und subtilsten Sachverhalte und Begriffe sehr gut und verständlich zu erklären“ (Epist. S. Congr, Stud. Vehementer sane, 1. Juli 1908, Ench. Cler., Nr. 821). Da sie schon seit längerer Zeit um jene bestimmten Ausdrücke bereichert worden ist, die für die Bewahrung der Integrität des katholischen Glaubens besser geeignet sind, so dient sie nicht wenig auch dazu, die nutzlose Geschwätzigkeit zu mindern. Deswegen müssen jene, die an den Universitäten oder in den Seminarien diese Fächer lehren, dazu angehalten werden, lateinisch zu sprechen und nur Schulbücher zu verwenden, die in lateinischer Sprache abgefasst sind. Wenn sie wegen Unkenntnis der lateinischen Sprache nicht in der Lage sind, diesen Vorschriften des Heiligen Stuhles zu entsprechen, so mögen sie nach und nach durch Gelehrte ersetzt werden, die dazu imstande sind. Wenn Schwierigkeiten bei Schülern oder Professoren entstehen, so müssen diese einerseits durch Festigkeit der Bischöfe und Vorgesetzten, anderseits durch den guten Willen der Lehrer überwunden werden.

Das also war kurz vor dem Konzil 1962, und zumindest die darin ausgedrückte Grundtendenz wurde in die „nachkonziliare“ Redaktion des Codex Iuris Canonici von 1983 übernommen: Dessen Canon 249 fordert, die Ordnung der Priesterausbildung sei so zu gestalten, daß die Priesterstudenten über gute lateinische Sprachkenntnisse verfügen.

Dieser Canon ist freilich, wie so viele andere alte und neue Gesetze der Kirche, nicht das Papier wert, auf dem er seinerzeit geschrieben wurde. Die lateinische Liturgiesprache wurde, nicht zuletzt unter Mittäterschaft des Nachfolgers Paul VI., im Jahrzehnt nach der feierlichen Verkündigung von Veterum Sapientia abgeschafft und diskreditiert. In den theologischen Wissenschaften trat durch die Vernachlässigung der klassischen Sprachen ein Kulturbruch ein, wie man ihn umfassender auch durch eine Bücherverbrennung nicht hätte bewerkstelligen können – alles gerade so, wie es Johannes XXIII. vielleicht in Albträumen befürchtet, aber sicher nicht als Folge „seines“ Konzils gewollt hat.

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