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Daniel in der Löwengrube

Bild: Sailko, Wikimedia CommonsSeit alters her liest die Kirche am Dienstag in der Woche nach dem Passionssonntag die Perikope von Daniel in der Löwengrube aus dem 14. Kapitel des Buches Daniel. So ist es schon beschrieben bei Rupert von Deutz in De Divins Officiis 5.5. Das 14. Kapitel Daniel gehört zu den sogenannten „deuterokanonischen“ Schriften, die von der katholischen Kirche als Bestandteil der Heiligen Schrift anerkannt sind, von den rabbinischen Juden und nach deren Vorbild auch von den Gemeinschaften der Reformation jedoch abgelehnt werden. Vielleicht ist das der Grund dafür, daß diese Perikope auch im lateinischen Lektionar des Novus Ordo nicht mehr auftaucht – und zwar in keinem der drei Lesejahre (Hazell, Index Lectionum S. 47).

Das ist eine schwer nachvollziehbare Entscheidung der Kompilatoren dieses Lektionars, die sich in gar keiner Weise mit dem Wunsch von Sacrosanctum Concilium vereinbaren läßt, „den Gläubigen der Tisch des Gotteswortes reicher (zu) bereiten“ (SC 51). Der Bericht von Daniel in der Löwengrube und seiner wunderbaren Errettung durch die Kraft Gottes und die nicht ganz freiwillig gewährte Mahlzeit des Habakuk (der war von einem Engel am Schopf gepackt und aus dem fernen Judäa nach Babylon geschleift worden) gehört ja zu den beliebtesten und bekanntesten Erzählungen des alten Testaments. Sie wird auch seit den Zeiten der Kirchenväter als eine Vorausdeutung auf Christus, auf sein Erlösungsopfer am Kreuz und auf das Sakrament der Eucharistie verstanden. Deshalb passt diese Erzählung ausgezeichnet in die Liturgie der Tage vor der Karwoche – und deshalb war sie wohl auch den masoretischen Kompilatoren „ihres“ Alten Testaments nicht ganz geheuer, so daß sie in nicht in ihren Kanon aufnahmen.

Heute mag als Grund für die Ablehnung (denn nichts anderes bedeutet die Auslassung) hinzukommen, daß Daniel ja nur deshalb in der Löwengrube landete, weil er den Babyloniern ihre angestammte Religion schlecht machen wollte, indem er in liebloser Weise ein Standbild des Baal zerstört und dessen Haustier, einen ziemlich üblen Drachen, erstickt hatte.

In einem ausführlichen Artikel über die Bedeutung des 14. Kapitels Daniel in der Liturgie der Fastenzeit stellt Gregory Dipippo anhand einer Plastik aus dem 12. Jahrhundert (Bild oben) das christliche Verständnis von der oben angesprochenen Parallele zwischen Daniel und Christus auf eindrucksvolle Weise vor Augen. Daniel im Zentrum, der ringsum von Löwen umgeben ist, hebt seine Hände in einer Geste, die der des Priesters beim Pater Noster ähnlich ist. Der Engel zu seiner Rechten scheint als Diakon zu amtieren, und Habakuk hält seinen Korb mit dem Essen unter einem Schleier verdeckt, so wie der Subdiakon die Patene. So verschmelzen die Bilder Daniels und Christus des Hohenpriesters, des Opferpriesters und der Opfergabe, vom Tode bedroht, aber ihm nicht unterworfen - das ganze Paschamysterium in extremer Verdichtung.

Dem frommen Geist eines Steinmetzen im hohen Mittelalters war das offenbar unmittelbar einsichtig, aber  für die Grobschmiede der Liturgiereform offenbar viel zu subtil.

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