Bereichsnavigation Themen:

Emperor Emeritus

Bild: Poolphoto des kaiserlichen HofamtesDer Begriff der „Häresie der Formlosigkeit“, den Martin Mosebach in seinem gleichnamigen Essayband von 2002 herausgearbeitet hat, enthält erkenntnisleitendes Potential weit über die Katastrophe der Zerstörung der römischen Liturgie und deren Auswirkungen auf die römische Kirche hinaus. Forcierte Form-, Grenzen- und Kulturlosigkeit nimmt seit Jahren eine Schlüsselrolle ein im Versuch zur Durchsetzung einer neuen Weltordnung, in der für Religion im Sinne einer Bindung an Vorgegebenes kein Platz mehr sein kann. Von daher verdienen Erscheinungen, die sich diesem Angriff widersetzen, größtes Interesse – auch dann, wenn sie in entfernten Weltgegenden stattfinden und selbst beim besten Willen nicht mehr in Zusammenhang mit dem „christlichen Abendland“ zu setzen sind.

Das Photo von heute Nacht (in Tokyo war es vormittag) zeigt eine der seltenen Gelegenheiten, zu denen der japanische Kaiser die große Zeremonialgewandung anlegt – „Cappa Magna“ und „Pontifikalpantoffeln“ inklusive. Ein Aufzug, für den jeder Bischof in Deutschland unter Rechtfertigungsdruck geriete – nicht nur von Seiten der äußeren, sondern auch der inneren Feinde der Kirche. Was treibt dieser Mann, der doch als Staatsoberhaupt einer modernen Industrienation gilt, denn da im fernen Tōkyō?

Die Aufnahme zeigt Kaiser Akihito beim Verlassen des Schreines im Palast der Hauptstadt, wo er seine Ahnengottheiten (Geister, Seelen der Vorfahren) von der unmittelbar bevorstehenden Abdankung in Kenntnis gesetzt hat. (Hier ausführlicher auf Englisch; das offizielle Video derzeit nur hier.) Ein Hofbeamter trägt die Schleppe des Gewandes, ein weiterer ein Zeremonialschwert, das den Kaiser quasi zur Legitimation in den Schrein begleitet. Vermutlich ist es jedoch nicht das eigentliche Reichsschwert, sondern ein Schwert minderen Ranges - so wie der Schrein in Tokyo ja auch nur eine „Palastkapelle“, einen Ableger des Hauptschreines der Sonnengottheit in Ise darstellt.

Die eigentlichen Regalien des Kaiserhauses, die zum 1. Mai von Akihito auf seinen Sohn und Nachfolger übergehen, das Schwert Kusanagi no tsurugi und das „Krummjuwel“ Yasakani no magatama – werden bei ihren seltenen öffentlichen Auftritten nur in ihrer sakralen Umhüllung gezeigt. Tatsächlich sind die Reichskleinodien weder der Öffentlichkeit noch der Wissenschaft zugänglich, es gibt auch keine authentischen Photos oder Zeichnungen. Vom dritten Kleinod, dem im Hauptschrein der Sonnengöttin in Ise aufbewahrten Sonnenspiegel Yata no kagami, scheint es noch nicht einmal Photos in der Umhüllung zu geben. Strikte Arkandisziplin in einem Industriestaat des 21. Jahrhunderts.

Der heutige 30. April ist der letzte Tag der nun seit 30 Jahren andauernden Amtszeit Akihitos, deren Jahre nach der Devise Heisei („Frieden wirken“) gezählt werden, und als Heisei-Tennō wird er nach seinem Tod auch in die offizielle Geschichtsschreibung eingehen. Am 1. Mai beginnt mit der Amtsübernahme (nicht Thronbesteigung – die kommt erst im Herbst) seines Sohnes Naruhito die neue Ära Reiwa („geordnete Harmonie“). In das Jahr 2019 fallen also für das offizielle Japan zwei Jahre: das 31. Jahr Heisei mit 4 und das 1. Jahr Reiwa mit 8 Monaten. Diese kurzen Jahre machen sogar manchen Japanern gelegentlich Schwierigkeiten, und nicht nur den Statistikspezialisten.

Demgegenüber ist die Titulatur für den zurückgetretenen Kaiser unproblematisch; die japanische Geschichte kennt zahlreiche freiwillige und weniger freiwillige Rücktritte, und Akihito wird den seit über tausend Jahren gebräuchlichen Titel Jōkō-heika (S.M. der vorherige Kaiser) tragen. Problematischer war die Findung eines angemessenen Äquivalents in englischer Sprache. Die Regierung, die auch schon im Zusammenhang mit der erforderlichen Zustimmung zum Rücktritt (ein Kaiser kann nicht machen, was er will!) einen Blick auf Rom und den Präzedenzfall Benedikt XVI. geworfen hatte, hat sich in expliziter Analogie zum römischen Vorbild für „His Majesty the Emperor Emeritus“ entschieden.

Hier geht es weiter

Die oben angesprochene Zeremonie gilt, wie andere Begängnisse des Kaiserhauses auch, als reine Familienangelegenheit zwischen dem Kaiser und seinen Vorfahren und findet völlig abgeschirmt von der Öffentlichkeit statt. Die profane Welt erhält lediglich die vom kaiserlichen Hofamt angefertigten Fotos oder Videos und eine kurze Pressemitteilung. Eine Zeremonie ähnlichen Inhalts hat bereits vor 14 Tagen im großen Schrein der Sonnengöttin zu Ise stattgefunden – der Nationalgottheit, die der Kaiser ebenfalls zu seinen Ahnen zählt. Da dieser Zeremonie offenbar ein stärker gesellschaftlich-staatlicher Charakter beigelegt wird, trug der Kaiser in Ise die nach der „Modernisierung“ Japans Anfang des 20. Jh. eingeführte offizielle Hofkleidung – in diesem Fall den „Cutaway“ und nicht den für feierlichste Staatszeremonien vorbehaltenen Frack mit Schärpe und Orden. Hier gibt es Bilder. In der gleichen offiziellen - also säkularen - Hofkleidung vollzieht der Kaiser am Nachmittag in einer Zeremonie, an der auch Premierminister Abe und weitere Regierungsmitglieder teilnehmen, den „staatsrechtlichen“ Teil der Abdankung.

Die auf dem Photo oben gezeigte Zeremonialgewandung geht demgegenüber auf die Hof- und Priesterkleidung des 8. Jahrhunderts zurück, die heute noch das Vorbild für die Amtskleidung des Shintō-Klerus abgibt. Dort dominieren freilich Weiß- und Grau-Töne, die hier verwandte Farbe „Dunkelgold“ ist alleine dem Kaiser vorbehalten, und auch die Schleppe mit der klangvollen Bezeichnung On-shitagasane no kyō gibt es heute nur noch im kaiserlichen Ornat. Die Schleppe/Cappa Magna selbst ist – dazu braucht man keinen Austausch zwischen Ostasien und Europa zu bemühen, auf diese Idee kommen verschiedene Kulturen auch unabhängig voneinander – ein schönes Symbol für ein gesellschaftliches Ordnungmodell: Der Herrscher / Machthaber / Amtsträger gebietet über Bedienstete, die ihm seine Last abnehmen und ihm bei jedem Schritt behilflich sind – doch ohne diese Dienstleute könnte er auch kaum einen Schritt alleine gehen, zumindest nicht in Würde. Derartige Gewänder sind so bei aller Erhabenheit auch Zeichen der demütigen Einfügung ihres Trägers an einen ihm zugewiesenen Platz. Sie abzulehnen, ist das durchaus zweifelhafte Vorrecht des modernen autonomen Individuums der säkularisierten Gesellschaft.

Der japanische Kaiser von heute ist nun freilich weder Herrscher, noch Machthaber oder Amtsträger. Er ist auch kein Staatsoberhaupt, selbst wenn er protokollarisch diese Funktion wahrnimmt. Die Verfassung von 1947 bezeichnet ihn als „Symbol des Staates und der Einheit des Volkes“ ohne jeden politischen Status. Den Rang eines lebenden Gottes, der dem Kaiser Ende des 19. Jahrhunderts von der Modernisierungsdiktatur zur Absicherung ihrer Politik beigelegt worden war, mußte Vorgänger Hirohito (Shōwa Tennō 1926-1989) nach dem Krieg auf Geheiß der Amerikaner ablegen. Der Verzicht dürfte ihm – der Mann hatte naturwissenschaftliche Interessen, denen er wann immer möglich nachging – nicht schwer gefallen sein. Japanische Gottheiten sind überdies nicht alle so ehrfurchgebietend wie die Sonne oder zum Himmel ragende Bäume. Eine „Theologie“ des Shintō ist wenig entwickelt, einige seiner „Gottheiten“ sind auch bescheiden wie Kröten oder (nur scheinbar) unbelebte Steine, und das Leben als „Symbol“ ist schon beschwerlich genug.

Unter Kaiser Akihito, der heute seinen letzten Tag unter der Last dieses Titels verbracht hat, hat dieses „Symbol“ einen ganz eigen Charakter entwickelt. In einer absolut chaotisch anmutenden (und dennoch relativ reibungsarm funktionierenden) Gesellschaft verkörpert er die Existenz von Prinzipien, die für alle gelten sollen und deren Einhaltung auch da sozial sanktioniert ist, wo das auf Kosten der Individualität und des Individuums geht. Es herrscht eine Art Orthodoxie der rechten Form – nicht nur im Ornat oder Anzug des Tennō. Bei Naturkatastrophen oder Unglücksfällen ist Akihito immer stärker als sichtbares Zeichen für soziale Solidarität und gesellschaftliche Identität in Erscheinung getreten. Und da er keine materielle Hilfe versprechen oder gar veranlassen kann – das wäre „Politik“ und ist ihm nicht erlaubt – beschränkt er sich auf tröstende Worte und ergänzt diese in den letzten Jahren immer öfter mit der Zusage, für die Betroffenen und das allgemeine Wohl zu beten – was immer auch das für den entfernten Nachkommen einer Sonnengöttin bedeuten möge.

Die linksintellektuelle Schickeria, die in Japan eine wesentlich schwächere Rolle spielt als im „Westen“, schweigt dazu betreten oder knirscht hintenrum mit den Zähnen. Einer religiös wenig anspruchsvollen, aber auch nicht völlig farbenblinden Mehrheit scheint diese Entwicklung gerade recht zu sein: Gebetet soll schon sein, und wenn man es nicht selbst tun muß, umso praktischer.

Bei den Eminenzen hierzulande ist die Cappa Magna außer Mode gekommen. Sie gilt als unhandlich und überdies als ein Zeichne klerikaler Prunksucht. Dafür verabschieden sie Wahlaufrufe. Davon, daß sie auch für die Wähler und das Land beten wollen, ist darin freiilich nicht die Rede.

Zusätzliche Informationen