Kreuzauffindung und Heilsgeschichte
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- 03. Mai 2019
Die an der Liturgie und Lehre der Kirche festhaltenden Katholiken feiern heute das Fest der Auffindung des hl. Kreuzes zu Jerusalem durch die Kaiserin Helena (~250 - 330), die Mutter Konstantins.
Die Geschichte von der Auffindung des hl. Kreuzes ist von Autoren des Mittelalters wie Jacob von Voragine oder der frühen Neuzeit wie Martin von Cochem immer wieder erzählt und reich ausgeschmückt worden. Daß sie einen historischen Kern hat, kann als sicher gelten, jedenfalls ist erst seit Helenas Zeiten die Rede von Reliquien des Kreuzes. Einen Teil davon hatte sie in einem kostbaren Schrein in Jerusalem gelassen, einen weiteren nahm sie mit in die Hauptstadt Konstantinopel, davon wiederum nahm sie später einen Teil in ihren Palast nach Rom mit. Eine Halle dieses sog. Sessorianischen Palastes bildet heute das Hauptschiff der Kirche Santa Croce in Gerusalemme auf dem römischen Esquilin, wo noch weitere Reliquien aus dem Besitz Helenas aufbewahrt werden, darunter der sogenannte „Titulus“ - die Aufschrift vom Kreuz, die den Grund für die Verurteilung des Hingerichteten mitteilt: „Jesus von Nazareth, König der Juden“.
Die Reliquien des Kreuzes in Jerusalem und Konstantinopel gingen nach der Eroberung und Plünderung dieser Orte durch die Mohammedaner verloren, der römische Teil ist durch die zahlreichen davon genommenen Teilreliquien im Lauf der Zeit wesentlich kleiner geworden. Die Behauptung aufgeklärter Spötter, die Masse der Kreuzreliquien reiche aus, um daraus eine ganze Schiffsflotte zu bauen, ist freilich Fake-news: Schon im 19. Jahrhundert stellte der Architekt Charles Rohaust de Fleury eine Liste aller größeren Kreuzfragmente in Europa zusammen und berechnete deren Volumen auf etwa 4 Liter, spätere Forschungen haben diesen Wert auf 4,5 Liter erweitert. Nach allem, was wir über die Beschaffenheit römischer Kreuze wissen, war das etwa ¼ des Volumens, das für ein solches Kreuz anzunehmen ist. So leicht lassen sich also die Kreuzreliquien nicht weg-aufklären.
Historischen Boden verlassen müssen wir dagegen dann, wenn wir uns den Erzählungen zuwenden, mit denen der fromme Sinn frühchristlicher Schriftsteller das Holz des Kreuzes Christi seit ältester Zeit umgeben hat. Die Auffindung durch Helena war, wenn wir der Zusammenfassung dieser Legenden bei Jacob von Voragine folgen wollen, bereits die fünfte Station in der durch das Kreuzesholz verkörperten Heilsgeschichte, er schreibt: „vor dieser (Helenas) Zeit ward es gefunden von Seth, dem Sohne Adams im irdischen Paradies, danach ward es gefunden von Salomon auf dem Libananon, danach von der Königin von Saba im Tempel Salomonis, danach fanden es die Juden in dem Fischteich.“
Diese Stationen verdienen eine kurze Betrachtung im Einzelnen.
Als Adam zum Sterben lag, so weiß es das apokryphe Nikodemus-Evangelium, pilgerte sein Sohn Seth zum Paradies, um heilsames Öl vom Baum des Lebens zu erbitten. Doch das wurde ihm vom Erzengel Michael, der das Tor bewachte, verweigert. Statt dessen gab dieser ihm ein Zweiglein vom Baum, an dem die Stammeltern gesündigt hatten, mit den Worten: Wann dieser Zweig Frucht bringt, wird dein Vater gesund werden. Als Seth zurückkam, war Vater Adam gestorben, und der Sohn pflanzte den Zweig auf sein Grab.
Dieser Zweig war bis zur Zeit Salomonis zu einem prächtigen Baum herangewachsen, so daß der König ihn für den Bau seines Palastes, der auch den Tempel enthielt – oder des Tempels, der auch den Palast enthielt – aussuchte und fällen ließ. Doch der Stamm entzog sich jeder Verwendung – wie man ihn auch zurichtete, stets war er zu kurz oder zu lang für die vorgesehene Stelle. Schließlich verwarfen ihn die Bauleute und legten ihn als Steg über einen Teich.
Als die Königin von Saba Salomon besuchte und diese Steg überschritt, wurde ihr die zukünftige Stellung dieses Holzes offenbart und sie ließ den König wissen, daß daran eines Tages derjenige hängen werde, der dem Reich der Juden sein Ende bereiten würde. Daraufhin ließ Salomon, der und dessen Vater David das Reich doch gerade erst begründet hatten, den Stamm so tief er konnte in der Erde vergraben; er wurde vergessen.
Spätere Generation legten an dieser Stelle ein Wasserbecken an, in dem die Leviten des ersten Tempels die Schafe zum Opfer im täglichen Gottesdienst wuschen: Das heilkräftige Becken von Siloah. „Und also“ - schreibt Jacopo - „geschah die Bewegung des Wassers und die Heilung der Kranken nicht allein durch die Berührung des Engels, sondern auch durch die Kraft des Holzes“. (vergl. dazu Joh. 9,7) Und weiter: „Da nun das Leiden Christi herannahte, schwamm das Holz empor, die Juden sahen es und bereiteten daraus das Kreuz des Herrn“.
Und so brachte der Zweig vom Baum des Lebens endlich die versprochene Frucht.
Aber das ist natürlich alles nur unaufgeklärte Mythologie, von der sich die Kirche nach dem überaus glorreichen Zweiten Vatikanischen Konzil glücklich emanzipiert hat. Wer denkt denn heute noch in Bildern!