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Alcuin Reid: „Liturgische Integrität“

Catholic World Report hat am 14. Juli einen langen Vortrag von Alcuin Reid auf dem Anfang des Monats durchgeführten Kolloquium der Church Music Association of America veröffentlicht. Darin geht der Prior der Mönchsgemeinde des Monastère Saint-Benoit und Liturgiewissenschaftler Reid der Frage nach, die die gegenwärtig an Anarchie grenzende Situation des Kirchenregiments immer dringender erscheinen läßt: Wie ist zu verhindern, daß der im progressiven Teil der Kirche grassierende Geist (nicht nur) liturgischen Ungehorsams und der Selbstherrlichkeit auch auf die traditionsorientierten Kreise übergreift, die immer öfter auf klare Weisungen von der Zentrale verzichten müssen oder von dort her mit widersprüchlichen oder sogar der Tradition widersprechenden Signalen konfrontiert werden. Inwieweit berechtigt – oder verpflichtet das zum Widerstand, zur Mißachtung aktuell geltender Vorgaben – und wo und ab wann entsteht aus legitimer Verteidigung unaufgebbaren Glaubensgutes ein „protestantischer“ Geist der Auflehnung, der dem Wesen der katholischen Tradition zutiefst fremd ist?

Zunächst gibt Reid einen ausführlichen Überblick über die Maßnahmen der liturgischen Lehre und Gesetzgebung des vergangenen Jahrhunderts, die ernste Zweifel an der Traditionstreue des römischen Regiments in Sachen Liturgie begründen – Beispiele der Schwenk in Sachen Ablehnung/Zulassung von Frauen/Mädchen zum Altardiens in den 90ern und der Einladung von Nichtchristen zur Fußwaschung am Gründonnerstag. Ist ein Papst wirklich unbeschränkt in der Regelung solcher Dinge?

Bei der Suche nach den Prinzipien, von denen sich derartige Traditionsbrüche leiten lassen, endet Reid schließlich bei einer bemerkenswerten Aussage von Papst Pius XII in Mediator Dei (#48) von 1947, wo dieser bekräftigt: „durch das Gesetz des Glaubens soll das Gesetz des Betens bestimmt werden“. Damit erhält der Satz, der ursprünglich eine gegenseitige Abhängigkeit beider Seiten ausdrückt, eine gefährlich einseitige Interpretation, wie sich spätestens bei der Liturgiereform im Gefolge von Sacrosanctum Concilium herausgestellt hat: Die Tendenz zur Anpassung der Liturgie an Schwankungen und Verdünnungen des Glaubensbewußtseins.

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Dem stellt Reid das Bestehen auf dem objektiven Charakter der Liturgie der Kirche gegenüber – und dieses „objektiv“ wird ganz wesentlich bestimmt durch die Tradition, von der nicht nur nach Privatansicht von Joseph Ratzinger/Papst Benedikt, sondern auch nach dem Katechismus (#1125) selbst „die höchste Autorität“ nur in engen Grenzen abweichen kann. Das ist ein Punkt, dessen ausführliche Diskussion unter dem Aspekt des Gehorsams Reid besonders wichtig ist. Der Gehorsam bindet die Gläubigen, insbesondere die Priester, an den Papst – und diesen an die Tradition. Im mangelnden Verständnis für diese Gebundenheit des Papstes (unsereins würde schlichtweg von „modernem Ultramontanismus“ sprechen) sieht Reid den Grund dafür, daß der größte Teil des Klerus und der Laien den Vorgaben der Liturgiereform auch da folgte, wo diese „nicht akzeptable Veränderungen und Entwicklungen“ der Liturgie brachten. Und umgekehrt wohl auch in dessen richtigem Verständnis eine Rechtfertigung der Hartnäckigkeit, mit der viele Priester nach der weithin als „Verbot“ verstandenen Abschaffung des Trienter Missales dennoch bei dessen Liturgie blieben.

Um diese Zusammenhänge besser zu begreifen, führt Reid dann den für seinen Vortrag titelgebenden Begriff der „Liturgischen Integrität“ ein. Er beruht auf der Objektivität der Liturgie und lehnt jedes subjektive Herangehen und jede Verzweckung der Liturgie zu außerhalb ihrer selbst und ihrer Sakramentalität liegenden Zwecken ab. Und er besteht auf der Wahrung der Tradition im Sinne einer „organischen Entwicklung“ einerseits und der Achtung der in diesem Rahmen erfolgenden Entscheidungen der legitimen Autorität andererseits.

Der hochinteressante Inhalt dieses Begriffes kann hier nicht im einzelnen ausgebreitet werden. Ein Knackpunkt, der näherer Ansicht bedarf, ist zweifellos das oben angeführte „in diesem Rahmen“. Innerhalb dieses Rahmens sieht Reid z.B. die 2016 getroffene Entscheidung des Papstes, den Gedenktag Maria Magdalenas zu einem Festtag zu erheben – tatsächlich waren solche Entscheidungen Alltagsgeschäft vieler Päpste während mehr als eines Jahrtausends. Zweifel äußert er hinsichtlich der Einhaltung des Rahmens „hinsichtlich der päpstlichen Entscheidungen, jahrzehntelangen Ungehorsam zu sanktionieren und Meßdienerinnen zuzulassen oder die Einladung von Frauen zur Fußwaschung am Gründonnerstag“. Ebenfalls nachvollziehbar.

Darüber hinaus scheint Reid eine Art „Kriterium der Praxis“ einzuführen, wenn er schreibt:

Nach einigen Jahrzehnten ist überdeutlich geworden, daß die Erwartungen, mit denen die Liturgiereform seitens des Konzils eingeleitet wurden, sich nicht erfüllt haben. Die Belastungen und das Opfer, die der hl. Paul VI.zur Begründung derartiger Maßnahmen für erforderlich hielt, haben den erhofften Ertrag nicht gebracht.“

Der päpstliche Gesetzespositivismus habe zu nichts geführt außer zu Verwirrung.

Im zweiten Teil seines Vortrags unternimmt der Autor den Versuch, die Anforderungen des Prinzips der „Liturgischen Integrität“ für die Zelebration im usus recentior und im usus antiquior zu beschreiben – getrennt voneinander. Auf die erstere wollen wir hier nur kurz eingehen. Als Grund, auch erstem eine „Liturgische Integrität“ zuzuschreiben oder besser gesagt abzuverlangen, benennt Reid den geforderten Realismus – der Novus Ordo sei nun einmal Gesetz, unabhängig davon, wie und unter welchen Brüchen er zustande gekommen sei, und er werde auch nicht so schnell verschwinden. Das hat was, und jeder der davon ausgeht, daß auch in diesem Usus das Messopfer gültig gefeiert werden kann, wird die Forderung unterstützen, daß dies auf möglichst würdige und fruchtbringende Weise geschehen solle – auf jeden Fall aber in der Hermeneutik der Kontinuität und unter demütiger Achtung der geltenden Vorgaben.

Durchaus in Übereinstimmung mit Summorum Pontificum spricht sich Reid gegen eine darüberhinausgehende Vermischung durch Übernahme von Stilelementen des alten in den Neuen Ritus überall da aus, wo das vom geltenden Recht nicht abgedeckt ist: „Das liturgische Gesetz ist das liturgische Gesetz, und zur liturgischen Integrität gehört auch, es zu befolgen. Ungehorsam, selbst mit guten Absichten, macht uns zum Teil des Problems“.

Und das ist letztlich das Hauptthema der ganzen Rede. Entsprechende Treue zum liturgischen Gesetz mahnt Reid auch für die Zelebration im überlieferten Ritus an. Auch hier sieht er Integrität und Demut gefordert und warnt vor der Versuchung, den gleichen Subjektivismus auszuleben, wie das oft im Novus Ordo der Fall sei. In diesem Zusammenhang geht er auch auf die Situation der Priester und Laien unmittelbar nach der Liturgiereform ein, in der viele Ungehorsam gegen die geltende Ordnung für erforderlich gehalten hätten. Leider bringt er nicht klar zum Ausdruck, inwieweit er das bei allen Bedenken für berechtigt hält oder nicht. Er zieht sich auf die Position zurück, das sei damals eine außerordentliche Situation gewesen, und daß diese Situation heute nach den rechtlichen Maßnahmen von Papst Johannes Paul II. und Benedikt XVI. zur Rehabilitation der überlieferten Liturgie nicht mehr gegeben sei. Dabei geht er davon aus, daß diese Rehabilitation auf Dauer Bestand haben werde:

„Der usus antiquior ist ein stabiler Teil des liturgischen Lebens der Kirche und bleibt das auch unter dem gegenwärtigen Heiligen Vater. Betrachtet man die hohe Zahl von jungen Leuten, die der überlieferten Liturgie anhängen oder tatsächlich ganz und gar in seine reiche Kultur eingetaucht sind und daraus leben, so wäre es wohl für keinen Papst möglich, das wieder rückgängig zu machen“.

Von daher gehört also die gewissenhafte Einhaltung der geltenden Vorschriften heute auch im usus antiquor zur „liturgischen Integrität“, die Reid durch verschiedene Mibräuche bedroht sieht. Teils in Richtung auf Modernisierung durch Übernahme nationalsprachlicher Elemente oder Musikgewohnheiten, teils aber auch durch eigenmächtigen Rückgriff auf ältere Elemente. Er führt das näher aus unter anderem an dem oft beklagten Umstand, daß es ja bereits vor der „großen“ Liturgiereform des Jahres 1969 bereits unter Papst Pius XII. diverse Einschnitte – am schwerwiegendsten die der Karwoche und der Osternacht – in die überlieferte Liturgie gegeben hat, die von den Büchern des Jahres 1962 auch nicht zurückgenommen werden. Allerdings können einige Gemeinschaften, die das erbeten haben, mit römischer Genehmigung auch die noch älteren Formen verwenden. In diesem Zusammenhang mahnt er:

Ich sehe mich durchaus kompetent, die vor- und nachkonziliaren Reformen zu bewerten und könnte, wie ich hoffe, den zuständigen Autoritäten auch Vorschläge für erforderliche Änderungen an den liturgischen Büchern unterbreiten. Aber ich kann nicht aus eigener Autorität das praktizieren, was ich für angebracht halte... Nein, die liturgische Integrität verlangt, daß wir den usus antiquior so zelebrieren, wie ihn die Kirche uns heute gibt. Wenn der Gehorsam gegenüber dieser Vorschrift verlangt, daß wir unsere persönlichen Vorlieben zurückstellen, dann sei dieses Opfer in Liebe erbracht. (…) Der Subjektivismus, der unser liturgisches Leben schon viel zu lange verdirbt und den wir noch allerorts, auch bei uns, antreffen, muß ausgetilgt werden.“

Es fällt schwer, dem zu widersprechen. Die Lektüre des ganzen Artikels ist sehr empfohlen.

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