Zurück ins Mittelalter
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- 02. Oktober 2019
Mit sichtlicher Genugtuung verbreitete gestern katholisch.de eine Meldung, nach der – so die Überschrift – „Äbtissinen im Mittelalter sogar Priester ernannt“ haben. Wir zitieren:
Geistliche Frauen hatten nach Angaben der Fribourger Historikerin Annalena Müller im Mittelalter deutlich mehr Macht als heute. "Äbtissinnen haben sogar Priester ernannt – für die Pfarreien, die ihrem Kloster unterstanden", sagte Müller am Montag in einem Interview dem schweizerischen Online-Portal kath.ch. "Wenn man mit Macht Einfluss, Gestaltungs- und Entscheidungsvollmachten meint, dann gab es sehr viele mächtige Klosterfrauen im Mittelalter, vor allem Äbtissinnen." Sie seien als Politikerinnen aufgetreten, hätten die Klöster nach innen und außen geleitet und hätten teilweise ein Stimmrecht im Reichstag gehabt.
Und das stimmt sogar, oder ist zumindest nicht ganz falsch. Denn daß ein Haken bei der Sache war, wird im nächsten Absatz zumindest angedeutet:
Müller betonte weiter, dass nur adlige Frauen solche hohen Positionen erreichen konnten. "Eine Bauerntochter hingegen wurde weder Nonne noch Äbtissin eines mächtigen Klosters." … Abgenommen habe die Macht der geistlichen Frauen erst durch die großen Konzilien der Moderne. "Das Zweite Vatikanische Konzil hat die juristische Leitungsvollmacht an die Weihevollmacht gebunden. Seit den 1960er-Jahren kann also nur noch ein Bischof Priester ernennen, eine Äbtissin könnte das heute nicht mehr", so Müller.
Nehmen wir uns das der Reihe nach vor. Gleich das erste Wort „geistliche Frauen“ ist problematisch, für viele Fälle sogar eine eindeutige Unwahrheit. Ohne das komplizierte System der Frauenklöster im Mittelalter auch nur in den Grundzügen skizzieren zu können, kann man doch sagen, daß einige von ihnen wenig „geistliches“ an sich hatten, sondern allein dem Zweck dienten, „überschüssigen“ Edelfräuleins ein standesgemäßes bis erträgliches Leben auch ohne adligen Ehemann zu sichern. Viel „geistliches“ war daran meistens nicht. Es gab aber auch „echte“ Klöster, die aus frommen Stiftungen mächtiger Adelsfamilien hervorgegangen waren und deren Leitungsposten quasi im Erbbesitz dieser Familien waren. Auch auf sie trifft es teilweise zu, daß sie als Politikerinnen aufgetreten und Stimmrecht im Reichstag gehabt hätten: Sie waren Fürstinnen mit vielen Titeln und Ämtern, unter denen das der Äbtissin von Sowienoch nicht unbedingt der höchste gewesen sein muß.
Diese Fürstinnen besaßen wie selbstverständlich in vielen ihrer Territorien auch das Recht zur Vergabe von Priesterstellen – so wie andere Fürsten auch. Und handelte es sich bei einem ihrer Besitztümer um eine Abtei mit landesherrlicher Stellung – vergleichbar mit der eines Fürstbistums – dann übten sie dort die entsprechenden Rechte in ihrer Position als Äbtissin aus.
Die moderne Struktur der Kirchenverwaltung mit Bistümern und Pfarreien (theoretisch) ohne Bindung an die staatliche Terriitorialverwaltung ist historisch relativ jung. Im Personenverbandsstaat des Mittelalters waren die Dinge komplizierter. Vor allem gab es vielfach keine klare Unterscheidung von weltlichem und geistlichem Regiment – Stichwort Fürstbischof . Da gab es ein weites Spektrum. Kleriker konnten – wie etwa die geistlichen Kurfürsten – als mächtige Landesherren die volle weltliche Souveränität in ihrem Bereich ausüben – und die geistliche quasi als Dreingabe dazu.
Zentren der (im übrigen wenig entwickelten) Volksseelsorge im frühen und hohen Mittelalter waren die Bischofssitze und die geistlichen Stifte und Kollegien in den Städten sowie die teilweise weit im Land gestreuten Klöster, die oft ebenfalls auf adlige Stiftungen zurückgingen. Wenn ein Landesherr das Bedürfnis empfand, etwas zur geistigen Betreuung seiner Untertanen zu tun, konnte er einen Mönchsorden zur Niederlassung einladen, wobei es hilfreich sein konnte, diesen mit starken Privilegien eher weltlicher Art auszustatten. Oder er konnte, was vor allem im Frühmittelalter das Verfahren der Wahl war, eine „Eigenkirche“ errichten - gerade so, wie er an geeigneter Stelle eine Mautstation oder eine Mühle einrichten konnte. Oft war die passende Stelle auch der bevorzugte Wohnort der Adelsfamilie, wo dann die Burgkirche gleichzeitig den Bauern und Handwerkern der Umgebung offen stand.
Selbstverständlich beanspruchte der Fürst dann auch das Recht, Geistliche für seine Eigenkirche zu bestellen. Vor allem in der früheren Zeit schickte er dazu meist einen aufgeweckten Bauernjungen an die nächstgelegene Domschule, wo er eine mehr oder weniger gediegene Ausbildung erhielt und schließlich – vermutlich im Zusammenhang mit einer weiteren frommen Gabe an den Bischof – zum Priester geweiht wurde. Dann trat er seine Stellung in der Eigenkirche an und blieb dort sein Leben lang das, als was er geboren war: Leibeigener des gräflichen Landesherrn.
Ob dieser Landesherr im konkreten Fall eine Dame war, spielte dabei keine Rolle: Die Dame bzw. ihre Verwaltung vergab die zu besetzenden Positionen in freier Regie nach eigenem Gutdünken. Und wenn der Landesherr ein Kloster bzw. dessen Abt oder dessen Äbtissin war, dann ganz genauso: Wo staatliches und kirchliches Recht nicht streng getrennt war, gab allein die Standesstellung und nicht das Geschlecht eines Würdenträgers den Ausschlag.
Die von der Historikerin als Beispiele für die frühere Machtstellung geistlicher Frauen angeführten Verhältnisse haben also wenig bis nichts mit der Stellung der Frau in der Kirche und sehr viel bis alles mit der mittelalterlichen Gesellschaftsordnung und den Machtverhältnissen der Feudalordnung zu tun.
In einem Satz: Äbtissinnen und andere Edeldamen, die über die Einsetzung von Priestern entscheiden, sind bzw. waren, solange sie es gab, nicht wegweisend für einen Weg in die Zukunft, sondern Relikte eines bis ins frühe Mittelalter zurückreichenden Feudalsystems.
Seit der beginnenden Neuzeit wurde das auch von allen Beteiligten als Formalie durchschaut und entsprechend gehandhabt. Wo ein Landesherr oder eine Landesherrin das verbriefte Recht zur Bestallung von geistlichen Positionen hatte, beschränkten sie sich normalerweise darauf, die Vorschläge des zuständigen Bischofs zu bestätigen, gelegentlich nach einem kleinen Kuhhandel. Und wo ein Fürst oder eine Fürstin durch die verwickelten Bestimmungen der (spät)feudalen Ordnung Abt oder Äbtissin eines Klosters geworden war, von dessen Existenz er/sie bis dahin vielleicht kaum etwas wußte, betrachteten sie das als wenig mehr als einen der vielen Titel und Ränge, mit denen sie ihre weltlichen Anordnungen auszufertigen pflegten. Mit „Geistlichen Frauen“ und „Kirchlicher Leitungsvollmacht“ hatte das nichts zu tun.
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Unser Wikimedia Commons entnommenes Bild zeigt Maria Theresia Isabella von Osterreich (1816-1867) als Äbtissin des Theresianischen Damenstiftes in Prag. Diese Position hatte sie 1834 im Alter von 18 Jahren übernommen und nach zwei Jahren wieder abgelegt, um danach durch Heirat mit Ferdinand II. von Bourbon Königin beider Sizilien zu werden. Mag sein, daß diese Laufbahn einigen der machtbewußten Damen von Maria 2.0 als leuchtendes Vorbild vor Augen steht – doch im Vertrauen gesagt: so läuft das heute nicht mehr.