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Liturgische Transkulturation

Bild: Wikimedia CommonsIn älteren Editionen des Martyrologium Romanum (die hier zitierte ist von 1928) steht unter den Heiligen des 9. Oktober an erster Stelle der Hl. Dionysius. Dort heißt es:

In Lutetia Parisiorum (=Paris) feiern ihren himmlischen Geburtstag die hl. Märtyrer Bischof Dionysius vom Areopag, der Priester Rusticus und der Diakon Eleutherius. Von diesen War Dionysius, der vom Apostel Paulus getauf worden war, als erster Bischof von Athen geweiht worden. Später ging er nach Rom und wurde von dort aus vom Seligen Papst Clemens zur Predigt nach Gallien entsandt. In der vorgenannten Stadt angekommen hat er den ihm übertragenen Auftrag mehrere Jahre lang getreulich ausgeführt und wurde schließlich, nachdem er vom Präfekten Fescenninus den schlimmsten Martern unterzogen wurde, gemeinsam mit seinen Gefährten mit dem Schwerte getötet und vollendete so sein Martyrium. An zweiter Stelle folgt dem die Nennung des „Gedächtnisses an den heiligen Abrahman, Patriarchen und Vater aller Gläubigen.

Die aktuelle Fassung hat beide Einträge im Prinzip erhalten – den des Dionysius (ohne „vom Areopag“) jedoch redaktionell gekürzt, den für Abraham etwas erweitert und auf den dritten Platz verschoben, um als Nr. 2 den „neuzeitlichen“ Giovanni Leonardi (1541 – 1609) einzuschieben.

Aus der Perspektive des ernsten Geschichtsforschers ist die Kürzung des Dionysius Areopagita zu Dionysius mehr als verständlich: Vom Mann mit dem Beinamen Areopagit ist nicht mehr bekannt, als die kurze Erwähnung eines der von Paulus getauften Athener in der Apostelgeschichte (17,34). Dessen Name benutzte ein christlicher Autor des 5. oder 6. Jahrhunderts als Pseudonym – was seinen Schriften zu außerordentlich hohem Prestige und Einfluss verhalf, glaubte man in ihm doch die Stimme des Paulusschülers zu vernehmen. Thomas von Aquin zitiert ihn öfter als Aristoteles! Dieser Kirchenvater der Spätantike wird heute zumeist als der Pseudo-Dionysius bezeichnet. Nichts deutet darauf hin, daß er jemals Gallien betreten hätte. Und dann gibt es tatsächlich noch einen dritten „gallischen“ Dionysius, der vor dem 4. Jahrhundert als Priester oder Bischof im fränkischen Kernland um Paris das Martyrium erlitt. Die Legende weiß zu berichten, man habe dem Missionar, nachdem er den Befehl zur Beendigung seiner Predigten mißachtet habe, den Kopf abgeschlagen. Daraufhin habe er den Kopf mit den Händen gefaßt und weitergepredigt. Er wird heute unter die 14 Nothelfer gezählt.

Im Umfeld der Grabkapelle des hl. Dionysius von Paris verschmolzen die drei Dionysien zu einer einzigen machtvollen Figur, die einen solchen Rang gewann, daß die schlichte Grabkapelle des Martyrerbischofs schließlich zur Grablege der französischen Könige wurde: Saint-Denis von Paris - was dem Prestige dieser Heiligengestalt weiteren Auftrieb verlieh. Der Byzantinische Kaiser Michael II. hatte bereits im 9. Jahrhundert dem dort eingerichteten Kloster eine Sammlung griechischer Manuskripte mit den Schriften des (Pseudo-)Areopagita zukommen lassen, die von Abt Hilduin ins Lateinische übertragen und so für den Westen und somit auch Thomas v. Aquin zugänglich gemacht wurden. So entwickelten die Mönche der Abtei ein für mittelalterliche Verhältnisse ungewohntes Interesse an den griechischen Kirchenlehrern und ihrer so fremdartigen Sprache.

Dieses Interesse führte im 12. Jahrhundert zu einer bemerkenswerten Sonderentwicklung im lateinischen Ritus: Für die Feier des Oktavtages ihres großen Heiligen übersetzten die Mönche von St. Denis zumindest das Proprium, nach anderen Quellen auch den gesamten Kanon, der heiligen Messe ins Griechische, um die Liturgie in der Sprache ihres Heiligen feiern zu können. Dabei sangen sie anscheinend die griechischen Texte nach den zu ihrer Zeit üblichen Meldodien des lateinischen Chorals – ein bemerkenswerter Fall von frommem Kultursynkretismus. Diese Praxis wurde während des ganzen Hochmittelalters und der frühen Neuzeit beibehalten und endete erst mit der Französischen Revolution im ausgehenden 18. Jahrhundert. Weitere Informationen dazu auf New Liturgical Movement und Persée Lyon.

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