Zur Lage der Kirche in Japan
- Details
- 23. November 2019
Der Japanbesuch von Franziskus an diesesm Wochenende führt den Papst in ein Land, in dem das Christentum nie Fuß fassen konnte und in dem die Kirche heute praktisch vor dem zahlenmäßigen Verschwinden steht. Etwa 440 000 Japaner größtenteils höheren Alters sind derzeit noch Angehörige der katholischen Kirche – von 120 Millionen. Damit liegt ihre Zahl sogar noch unter der der in Japan lebenden ausländischen Katholiken, die mit 520 000 angegeben wird.
Seitdem Japan mehr ausländische Arbeitskräfte – Rekordzahl dieses Jahres waren 2,8 Millionen – ins Land holt, hat es hier einen beträchtlichen Aufschwung gegeben, da vor allem die Philippinos, aber auch Koreaner und Vietnamesen zu einem beträchtlichen Teil Katholiken sind. Soweit sie ihren Glauben praktizieren, tun sie das in eigenen Gemeinden, die praktisch keinen Bezug zur japanischen Gesellschaft haben.
Die Gründe für das Versagen der Mission in Japan sind vielfältig und hier nur anzudeuten. Das Verhältnis der Japaner zur Religion unterscheidet sich von dem vieler anderer Völker durch eine gewisse Bindungsfremdheit – und „religio“ heißt nun einmal „Bindung“. Ein Japaner mit religiösen Bedürfnissen (das mag knapp die Hälfte sein) heiratet schintoistisch, lebt weitgehend animistisch-abergläubisch und läßt sich buddhistisch beisetzen. Für ein „Konkurrenzangebot“ bleibt da wenig Raum, und gravierende Fehler der stets auf Inkulturation versessenen Jesuitenmission haben es zusätzlich erschwert, diesen Raum zu nutzen. Der ostasiatische Buddhismus hat – in völligem Gegensatz zu seinen indischen Ursprüngen – eine reiche Götterwelt mit höchst populären Heilbringern hervorgebracht, die der tiefverwurzelten Erlösungssehnsucht der Menschen entgegenkommen. Da war es keine gute Idee, den wahren Erlöser Jesus Christus zunächst zumindest dem Namen nach mit einer der bedeutendsten buddhistischen Erlösergestalten, Dainichi-Nyorai (Das von oben auf uns zukommende große Licht), zu identifizieren. Die stets praktisch denkenden Japaner meinten, das kennten sie schon und wandten sich wieder ihren Alltagsgeschäften zu.
Die moderne Liturgiereform hat - nebenbei bemerkt - den Gottesdienst der Kirche ein gutes Stück von dem entfernt, was die japanische Kultur unter Gottes/Götterdienst versteht, in dem sich „Gemeinde“ und „Priester“ in der Regel gemeinsam den Gottheiten bzw. ihren Abbildern zuwenden. Hier wurde eine potentielle Kontaktstelle inkulturierender Anknüpfung ohne Not aufgegeben.
Eine gewisse „säkulare“ Attraktivität entfaltete das Christentum – das war damals überwiegend die katholische Kirche – in der Modernisierungsphas vom 19. bis ins 20. Jahrhundert. Die Jesuitenuniversität Jōchi-daigaku, Sophia-Universität, leistete den Söhnen der Elite wertvolle Hilfe beim Erwerb westlichen Denkens und Wissens, verstand sich allerdings nie wirklich als missionarisches Unternehmen, sondern betrieb durchaus erfolgreich Entwicklungspolitik. Das tut sie im Grunde auch heute noch, ihre größte Anziehungskraft übt sie auf Studenten aus, die die von Tokyo aus gesehen exotischen Sprachen und Kulturen Europas studieren wollen. Die philosophischen und theologischen Abteilungen der Sophia haben zwar einige interessante Denker hervorgebracht, blieben jedoch ohne Breitenwirkung.
Der Erzbischof von Tokyo, Msgr Tarcisius Isao Kikuchi S.V.D., hat im Vorfeld des Papstbesuche ein Interview gegeben, in dem er ein weitgehend illusionsloses Bild vom Zustand der Kirche in Japan gezeichnet hat. Leider enthält es kaum Hinweise darauf, ob er auch einen Plan hat, die Situation zu verbessern.
Zu recht beklagt der Erzbischof, daß die Hauptinstrumente, mit denen die Kirche bisher in der japanischen Gesellschaft aktiv war, nicht mehr wirken: Allgemeine Schulen und Sprachschulen, die vor 100 Jahren eine Seltenheit waren, werden heute vom Staat und privaten Trägern flächendeckend und in teilweise hervorragender Qualität angeboten. Zwar haben katholische Bildungseinrichtungen immer noch ein beträchtliches Prestige, verstehen es aber kaum im Sinne der Kirche zu nutzen: „Katholische Schulen mögen immer noch ein Ort sein, an dem man viele junge Leute antrifft, aber unglücklicherweise sind sie mit wenigen Ausnahmen nicht zu Orten missionarischer Aktivität geworden“ befindet der Erzbischof. Außerdem wirkt auch in Japan der soziale Konformitätsdruck über die Finanzierung: „Während die Schulen unabhängig von der Politik sein sollten, sind sie doch von finanzieller Unterstützung des Staates abhängig und verloren dadurch schrittweise ihre Sonderstellung und blieben nur noch dem Namen nach „katholisch“.
Eine Möglichkeit zur Abhilfe sieht der Erzbischof in verstärkter Aktivität der Kirche im sozialen Bereich insbesondere bei den in Japan häufigen Erdbeben- und Überschwemmungskatastrophen. „Die Kirche weist dem Zeugnis des Evangeliums durch unermüdliche Werke der Barmherzigkeit hohe Priorität zu. Diese Aktivitäten mögen nicht direkt zum Empfang der Taufe führen, aber wir haben die Hoffnung, daß viele Menschen, die so vom Geist des Evangeliums berührt worden sind, tatsächlich zur Kirche geführt werden.“
Wie realistisch diese Hoffnung ist, kann von hier aus schwer beurteilt werden. Die Kirche ist jedenfalls bei weitem nicht der einzige Träger karitativer Aktivitäten in Notfällen; insbesondere die Buddhisten unterhalten große landesweit operierende Hilfswerke und staatliche Unterstützung wirkt ebenfalls immer effektiver.
Hoch problematisch erscheint es, wenn Erzbischof Kikuchi an zweiter Stelle seiner Zukunftshoffnungen die (relativ) hohe Zahl der ausländischen Katholiken im Lande anführt. Die japanische Ausländerpolitik setzt nicht auf Einwanderung, sondern auf Rotation, die meisten Ausländer müssen das Land nach spätestens 5 Jahren wieder verlassen und haben wenig Motivation, engeren Kontakt zur Gastgebergesellschaft aufzunehmen. Dem entspricht eine immer noch sehr starke Abgrenzungshaltung der Bevölkerung gegenüber „Fremden“. Es dürfte der Aufnahme christlicher Ideen kaum förderlich sein, wenn das Christentum noch stärker als bisher als eine Religion von und für Fremde wahrgenommen wird.
Allerdings weist der Erzbischof in diesem Zusammenhang auf einen Mechanismus hin, der in der japanischen Öffentlichkeit kaum thematisiert wird: Es gibt auch eine zumeist mit Einheirat verbundene Einwanderung in die am stärksten vom Bevölkerungsrückgang betroffenen ländlichen Regionen, die der Kirche möglicherweise neue Zugänge auf Graswurzelebene erschließen.
Der Schlußsatz des Interviews im Catholic World Report stellt der nun 500 Jahre andauernden und größtenteils von Jesuiten betriebenen bisherigen Japanmission kein gutes Zeugnis aus: „Seelsorge für die ausländischen Arbeitskräfte ist in der japanischen Kirche nicht nur Willkommensdienst, sondern noch mehr eine Pflicht, ihnen ihre Berufung als Missionare bewußt zu machen“.
*
Ein weiteres Interview mit Erzbischof Kikuchi, das speziell auf den Papstbesuch eingeht, ist dieser Tage bei Zenit erschienen.