Ganz versenkt in die Bibel
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- 27. Januar 2020
Fr. Hunwicke beschäftigt sich dieser Tage mit den vielerlei engen Verbindungen, die altes und neues Testament, den Glauben der Juden (zumindest der Zeit Christi) und den Glauben der Kirche miteinander verknüpfen. Wir haben seinen heutigen Beitrag übersetzt und mit wenigen Anmerkungen versehen.
Gestern habe ich davon gesprochen, daß wir alle bessere Juden werden sollten, und als ich das schrieb, fiel mir eine Sache ein, zu der man öfter um Rat gefragt wird, von Laien ebenso wie von Klerikern. Tenor: Beim Beten des Breviers schlafe ich immer wieder ein und wenn ich mit einem Psalm durch bin, kann ich mich an kein Wort davon erinnern.
Vielleicht sollte ich jetzt einen mahnenden Finger erheben und betonen, wie wichtig jedes Wort in jedem Psalm ist. Andererseits vielleicht aber auch nicht.
Worauf es wirklich ankommt: Diese ständig wiederholten Worte einsinken und zu einem Teil unseres Seins werden zu lassen, so daß sie in unserem Bewußtsein, aber auch in unserem Unterbewußtsein, zum Leben erwachen.
Der hl. Augustinus hat darauf hingewiesen, daß wir uns in den Psalmen an den Herrn wenden können, daß er in uns und mit uns und für uns beten möge. Das ist sehr wichtig, aber daneben gibt es auch noch die ganz grundlegende jüdische Geisteshaltung. Dabei handelt es sich um das Aufeinandertreffen eines manchmal sich selbst gegenüber etwas skrupulöse Bestehens auf der Einhaltung des Gesetzes mit der beunruhigenden Einsicht, sich eben oft genug nicht an das Gesetz gehalten zu haben. Darin besteht das Wesen der Bundesbeziehung: daß Gott treu ist, selbst wenn wir nicht treu geblieben sind, und daß wir uns diese Einsicht sowohl auf individueller Ebene als auch in der Gemeinschaft aneignen.
Anm.: Erich Zengers über weite Strecken überaus problematischem Psalmenkommentar ist die zutreffende Einsicht entnehmen, daß das Judentum kein „Glaubensbekenntnis“ hat, wie das Christentum, sondern ein „Vertrauensbekenntnis“. Genau das ist hier angesprochen. Zwischen beiden gibt es keinen Gegensatz in der Sache, sondern im Aspekt.
„Misericordias domini in Aeternum cantabo“ (Ps. 88/89) (Die Erbarmungstaten des Herr will ich auf ewig besingen), das im Psalmvers zum Introitus der Messe von den Fünf Wunden vorkommt, war im späten Mittelalter unter den Klerikern äußerst populär. Und wenn ich damit auch vielleicht eine Ausnahme bin: Ich liebe all diese „langen“ Psalmen, in denen wir die Geschichte Israels durchwandern und die „Erbarmungen“ des HERRN aufzählen.
Ich halte es allerdings für unglücklich, daß die englischen Übersetzungen beginnend mit Coverdale den Satz mit dem Ich der ersten Person beginnen und so das menschliche Tun voranstellen, während das Hebräische, Griechische und Latein mit den Erbarmungstaten anfangen – wäre "The Mercies of the LORD for ever shall be my song" den wirklich so unverständlich? Wie es der Zufall will, geben die Bea-Psalmen, dieses große Symbol für alles, was in den Reformvorhaben seit den Zeiten von Pius XII. schief gegangen ist, das „chesedim“ mit gratias (Gnaden) wieder – mehr will ich dazu nicht sagen.
Anm.: Die deutsche Einheitsübersetzung setzt noch eines drauf, wenn sie die „Erbarmungen/Erbarmungstaten“ Gottes durchgängig mit dem Wort „Huld“ wiedergibt - mit dem der moderne Leser nun gar keine konkrete Vorstellung von aktivem Handeln verbindet.
Misericordias Domini – man denke daran, daß DOMINUS in den Psalmen fast immer für das unaussprechliche Tetragrammaton (JHWH) steht, den Namen Gottes, der Moses offenbart wurde, der Name, an den sich der Gottesdienst des Tempels richtete. „Unsere Hilfe ist im Namen des HERRN“ - das ist keine bedeutungslose Floskel. Diese Wendung hebt uns hinein in jenes Volk, das sich auf den Weg machte und das dann bereute, durch das Meer entfloh und und schließlich im Land von Milch und Honig ankam. Sie versetzt uns zurück zu Moses, als er vor dem brennenden Dornbusch stand – der doch ein Typos unserer lieben Frau ist, und zum Volk, wenn es im festlichen Zug zum Tempel zog – eines Typos unseres Erlösers selbst.
Anm.: Diese Typologien und ihre Aussagekraft kann man gar nicht genug betonen. Gott, Schöpfer des Himmels und der Erde (elohim, Gen 1,1) wohnt auch für Israel im auf ewig unzugänglichen Licht und hat als solcher keinen persönlichen Namen. Wenn er sich zeigt und handelt geschieht das in der Person Christi unter dem Namen JHWH.
Manchmal denke ich, wir sollten es uns zur Gewohnheit machen, jedesmal beim Namen des HERRN den Kopf zu neigen, und ich bin froh, daß die Rubriken mich zumindest beim hl. Messopfer anweisen, beim „Gratias agamus Domino Deo nostro“ eine Verneigung zu machen: Lasset uns berakoth (Danksagungen, eucharistia) machen zu YHWH unserem Gott“.