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Das Bild der Kirche

Von Peter Stephan

Im Berliner Kunstgewerbemuseum befindet sich ein Reliquiar aus dem 12. Jahrhundert, das auf eine ebenso kompakte wie tiefgründige Weise das Wesen der Kirche veranschaulicht. Auf einer von vier Greifen getragenen Sockelplatte steht ein Gebäude in Gestalt einer byzantinischen Kreuzkuppelkirche. Während der untere Teil mit dem von Kreuzarmen durchdrungenen Kubus für die irdische Kirche steht, die aus der Seitenwunde des Gekreuzigten hervorgegangen ist, stellt die Kuppel in der vollkommenen Form des Kreises die himmlische Kirche dar.

Dieser Zweiteilung entspricht die aus Elfenbein gefertigte figürliche Ausstattung. An den Längsseiten der Kreuzarme sagen die Propheten Israels auf ihren Schriftbändern das Kommen des Menschensohnes voraus. Die Reliefs an den Stirnseiten bezeugen die Erfüllung der Verheißungen: mit Darstellungen der Heiligen Familie, des Zugs der drei Weisen nach Bethlehem, der Kreuzigung und der Frauen am leeren Grab mit dem Engel.

Am Kuppeltambour erscheint Christus ein weiteres Mal; nun nicht mehr als Mensch, sondern als Weltenherrscher im Kreis der Apostel. Auf den irdischen Adventus folgt die himmlische Parusie. Die Kuppelschale stellt schließlich den Kosmos dar: Die goldenen Rippen verkörpern das sich von oben ergießende göttliche Licht, die dazwischenliegenden, wie Stoffbahnen geblähten Segmente lassen das Himmelszelt assoziieren, die Ornamentik aus Ranken und Blattwerk vergegenwärtigt das Paradies. Die irdische Kirche, so die Botschaft, baut auf dem Alten Bund auf und transzendiert in die himmlische Kirche. Für diese Transzendenz stehen auch die Greife. Sie sind in der romanischen Kunst beliebte Sinnbilder für den auferstandenen und in den Himmel aufgefahrenen Christus, der über Tod und Sünde gesiegt hat. In ihrer Gestalt führt Christus die Kirche aus der Erdenschwere des Diesseits in die Sphären der Ewigkeit empor.

Ihre Begründung findet diese ‚vertikale Ekklesiologie’ in den Inschriften an der Kuppel. Das Relief am Tamboursockel zitiert das Matthäusevangelium (16,13): VENIT (AVTEM) IHC IN PARTES C(A)ESARE(A)E PHILIPPI ET INTERROGAVIT DISCIPVLOS SVOS DICENS + (Als Jesus in das Gebiet von Cäsarea Philippi kam, fragte Er seine Jünger). In den Schriftbändern Christi und der Apostel setzt sich die Erzählung fort: Jesu Frage zielt darauf ab, für wen die Menschen und seine Jünger Ihn halten, woraufhin Petrus Ihn als den Messias und den Sohn des lebendigen Gottes bekennt.

Hier geht es weiterFasst man die inhaltliche Aussage der Bilder und Inschriften zusammen, so besteht das Wesen der Kirche darin, Christus als denjenigen zu verkünden, der durch die Propheten verhüllt gesprochen hat, der sich dann als Mensch zeigte und der sich am Ende der Zeiten in seiner Herrlichkeit ganz offenbaren wird.

An dieser Stelle eröffnet sich ein Gedankenspiel: Wie sähe ein Reliquiar einer Kirche des synodalen Weges aus? Dürfte es noch aus Gold sein oder wäre dies schon ein Ausdruck verantwortungsloser Prunksucht? Spielen die Propheten Israels noch eine Rolle oder haben wir mittlerweile neue Propheten mit aktuelleren Botschaften? Bildet das Alte Testament das Fundament der Kirche oder ist es ein längst widerlegter Mythos? Ist es sinnvoll, die Kirche so ‚abgehoben’ darzustellen oder bedarf sie nicht vielmehr der Bodenhaftung? Muss das Lehramt an die apostolische Tradition gefesselt bleiben oder ist es freier und zeitgemäßer auszulegen? Braucht der Mensch das Licht einer göttlichen Offenbarung oder ist er aus sich selbst heraus erkenntnisfähig? Hoffen wir noch immer auf ein himmlisches Paradies oder werden wir uns ein solches auf Erden selber schaffen? Ist das Messiasbekenntnis des Petrus für die Päpste noch bindend oder kommen wir Christus näher, wenn wir ihn als einen von uns begreifen? Soll von Gott überhaupt noch die Rede sein, wo er doch in so vielen Synodendokumenten kein einziges Mal mehr Erwähnung findet?

Vielleicht wäre das Reliquiar der synodalen Kirche nur eine schlichte Holzkiste. Natürlich nicht aus Mahagoni, um den Regenwald zu schonen. Nicht zusammengehalten durch tierischen Knochenleim wegen des CO2-Abdrucks. Nicht mit Elfenbeinstatuetten wegen des Tierschutzes. Und schon gar nicht in einem Verhältnis von 40 männlichen, fünf weiblichen und nur einer geschlechtsneutralen Figur, dem Engel. Vielleicht befände sich im Inneren einer solchen Kiste auch statt des Knochens eines/einer Heiligen ein Pachamama-Idol. Eine Kirche, die völlig neue Wege geht, vermag vieles: vielleicht auch, die Büchse der Pandora als ein heiliges Reliquiar auszugeben.

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Die Website des Kunstgewerbemuseums bietet für das aus dem sog. Welfenschatz stammende Reliquiar eine Aufnahme mit hoher Auflösung, auf der die angesprochenen Details in großer Deutlichkeit hervortreten.

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