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Königliches Evangeliar des Rokkoko

Bild: Aus dem im Text genannten Digitalisat der BNFIn der Bibliothèque Nationale de France hat Gregory Dipippo von New Liturgical Movement einen bemerkenswerten Fund gemacht: Ein Evangeliar aus dem Jahr 1776 für den Gebrauch in der Königlichen Kapelle zu Versailles. Das Buch, das auch in digitalisierter Form zugänglich ist, entspricht in allem den Erwartungen, die unsereins mit der Gestaltung eines liturgischen Buches aus dieser Zeit und von diesem Ort verbinden mag: Erlesene Typographie und reiche Illustration - fast auf jeder Seite zumindest als Initiale eine farbige Abbildung. Lieblingsfarbe der Buchkünstler ist das in breiten Seitenrahmen verwandte Gold; die Initialen und anderen Abbildungen erscheinen in pastell-getönten Federzeichnungen (oder sind es doch Aquarelle?) im süß-lieblichen Geschmack der Zeit. Die Revolution lag noch 13 Jahre in der Zukunft.

Neben seinen ästhetischen Qualitäten vermittelt und berstätigt der Text des Evangeliars auch eine liturgiehistorische Aussage: Während viele französische Diözesen zu Beginn der Neuzeit in Texten und Riten neo-gallikanische Elemente in ihre Liturgien einführten, die stellenweise den Rand der Rechtgläubigkeit berührten oder sogar darüber hinausgingen, hatte der königliche Hof 1580 den unmodifizierten usus Romanus mit dem entsprechenden Missale eingeführt, und dem folgt auch das prachtvolle Evangelienbuch ohne jede Ausnahme.

Eine Anekdote vom königlichen Hof der „ältesten Tochter der Kirche“, die wir allerdings nicht zuverlässig in die zeitliche Nähe des Evangeliars datieren können, läßt vermuten, daß die Treue zum römischen Ritus auch ihre Grenzen hatte: Unter den Herren der Hofgesellschaft war demnach eine Diskussion entstanden, vor wem sie und ihre Damen sich beim Einzug zum feierlichen Gottesdienst zunächst verbeugen sollten: Vor dem Altar oder vor seiner königlichen Majestät. Eine falsche Antwort auf diese Frage hätte gefährlich sein können - also ging sie nach Rom und fand eine salomonische Antwort: Die Höflinge verbeugen sich vor ihrem Herrn und König - doch der verbeugt sich vor dem Altar und leitet so die Ehrerbietung seiner Untertanen als deren Haupt an den weiter, dem allein Ehre gebührt.

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