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Ein unwandelbares Hochgebet

Bild: John Sonnen nach der zitierten QuelleBei den Texten der hl. Messe werden gemeinhin die „unveränderlichen“ Bestandteile des Ordinariums und die nach Anlaß und Festtag wechselnden Gebete des Propriums unterschieden. Das hat für den römischen Ritus der Neuzeit insbesondere nach Trient eine gewisse Berechtigung, lässt aber übersehen, daß es historisch innerhalb des heute als „unveränderlich“ betrachteten Ordinariums sehr wohl veränderliche Teile gibt, bei denen nach Zeit, Ort und Gemeinschaftszugehörigkeit von Zelebrant und Gemeinde erhebliche Varianten geben konnte.

Insbesondere bei den Opferungsgebeten gab es da – heute noch teilweise erkennbar bei den Ordensriten – vielfältige Abweichungen in Wortlaut, Umfang und Zahl; in etwas geringerem Ausmaß auch bei den Gebeten zum Kommunionempfang des Priesters. Noch gößer waren die Unterschiede in der Vormesse, die in einigen Ordensgemeinschaften sogar Teile der Gabenbereitung enthielt, während sie in anderen z.B. bei der Konventsmesse im Anschluß an das Stundengebet stark abgekürzt wurde. Starke Varianten gab es auch bei den Prozessionen zum Einzug, Auszug und zum Vortrag der Lesungen. Lokalriten wie der von Sarum/Salisbury oder Lyon entfalteten hier im feierlichen Hochamt ein ganz eigenes Gepränge.

Der einzige wirklich (wenn auch nicht ganz ohne Ausnahmen) unveränderliche Teil ist das Hochgebet des Kanons – und der noch nicht einmal vollständig: Die veränderliche Präfation gehört der Sache nach natürlich immer zum Hochgebet, wurde aber eben aufgrund ihrer Veränderlichkeit allmählich im allgemeinen Bewußtsein aus dem mit dem Kanon gleichgesetzten Hochgebet herausdefiniert und dem Proprium zugeschlagen. Daß die Liturgiereform diese allein auf praktischen Gesichtspunkten beruhende Zuordnung wieder rückgängig gemacht hat, ist nicht zu beanstanden – daß sie die Zahl der Hochgebete vermehrt und damit die Einheit des römischen Ritus aufgelöst hat, umso mehr.

Schon das Wort „Kanon“ steht ja für einen autoritativen und unwandelbaren Grundbestand an Texten. Dementsprechend war dieser zentrale Teil des Hochgebets bis in die frühe Neuzeit hinein vielfach nicht Bestandteil des Missales, sondern wurde am Altar selbst auf den Kanontafeln bereitgestellt. Reisende Priester – und davon gab es im Zeitalter der Wanderprediger und Bettelmönche beträchtliche Zahlen – konnten so in einiger Freiheit ihre mitgeführten Messbücher verwenden, und wenn es dabei zu Abweichungen der oben skizzierten Art vom konkreten Ortsgebrauch kam, war das kein Problem: Die vom Ortsbischof oder seinen beauftragten kontrollierten Kanontafeln bürgten dafür, daß das Hochgebet nach der „kanonischen Ordnung“ vorgetragen wurde.

Beim oben gezeigten Altar aus der Wallfahrerkirche der Visitatio bei Jerusalem sind die Kanontafeln auf keramische Kacheln gebrannt und unverrückbar eingemauert. Ein schönes Bild für das traditionelle Verständnis von der Unverfügbarkeit und Unveränderlichkeit dieser zentralen Teile des heiligen Messopfers. Gefunden und photographiert von John Sonnen für Litugical Arts Journal.

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