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Am Tag nach dem Rücktritt

Der unerhörte Vorgang, daß Papst Benedikt sein Amt in die Hände des Kardinalskollegiums zurücklegt, als ob er es von diesem empfangen hätte, unterstreicht auf dramatische Weise, wie tief der Wandel ist, der seit dem vergangenen Jahrhundert die Formen der Kirche verändert und ihr Wesen bedroht. Papst Benedikt vollendet, so kann es erscheinen, einen Prozess, den Papst Paul mit der Niederlegung der päpstlichen Tiara auf den Confessio-Altar der Peterskirche am 13. November 1964 begonnen hat. Dieser letzte Akt eines Pontifikats demonstriert ein weiteres Mal, wie schwer es ist, die mit dem Wandel aller irdischen Verhältnisse notwendigerweise einhergehenden Veränderungen so zu gestalten, daß die Kontinuität gewahrt wird, daß die von Christus gestiftete sichtbare Kirche mit sich selbst identisch bleibt.

Diese Identität zu wahren, war das große Anliegen des nun auf so ganz und gar nicht traditionsgemäße Weise zu Ende gehenden Pontifikats. Zwar hatten alle Päpste der von tiefen Wirren gekennzeichneten Nachkonzilszeit – auch schon Paul VI. und dieser z.B. in „Mysterium Fidei" bereits während des Konzils – nachdrücklich betont, daß dieses Konzil keinen Bruch mit der Vergangenheit und Tradition der Kirche bedeuten könne. Aber erst Benedikt XVI. hat mit der uneingeschränkten Anerkennung von Wert und Stellung der überlieferten Liturgie diesem Beharren auf Kontinuität einen Ausdruck gegeben, den man ebenso hören und sehen, fühlen und erleben kann wie die tausenderlei Symbole, mit der die Hermeneutiker des Bruchs ihre Behauptung sinnfällig machen, die Kirche sei „nach dem Konzil" eine ganz andere.

Dafür können ihm alle Katholiken, die an Glauben und Tradition festhalten, auf Dauer dankbar sein. Und nicht nur die Katholiken: Mit „Anglicanorum Coetibus" hat Papst Benedikt dem abgehobenen interkonfessionellen Dialog bürokratischer Gremien ebenso eine Absage erteilt wie der prinzipienvergessenen Ökumene des kleinsten gemeinsamen Nenners auf Pfargemeinderatsebene: Ohne Rückkehr zur lebendigen Einheit mit Petrus ist Ökumene nur ein Schlagwort.

Da Papst Benedikt – auch wenn er mit „Summorum Pontificum" und „Anglicanorum Coetibus" entsprechende Gesetze zur Ordnung des Rahmens erlassen hat – im Grunde theologisch argumentiert und nicht administrativ vorgegangen ist, wird man diese Akte der Vergegenwärtigung der Tradition auf administrativem Wege nicht ungeschehen machen können, selbst wenn ein Nachfolger das wollen sollte.

Dieser Nachfolger selbst – das ist wenigstens sehr zu vermuten – wird ein Mann der Kirche nach dem 2. Vatikanum sein, dessen geistige Prägung in den Jahren nach 1960 erfolgt ist. Sehr wahrscheinlich wird er die Priesterweihe nach dem reformierten Pontificale Pauls VI. von 1968 empfangen haben. Das gibt allen, die die Reformen dieser Jahre kritisch betrachten, Anlass dazu, ihre Position hinsichtlich der Anerkennung der Gültigkeit der nach diesen Riten gespendeten Sakramente neu zu bedenken und zu präzisieren.

Mit Benedikt XVI. tritt der letzte Papst ab, der noch – wenn auch „nur" als Berater – in der Konzilsaula dabei war. Dieser Umstand kann seinen Nachfolgern durchaus ein höheres Maß an Freiheit gewähren, wo es darum geht, zwischen Erkenntnissen und Illusionen zu unterscheiden, wie sie die 60er Jahre das allmählich in die Geschichte zurücksinkenden letzten Jahrhunderts beide so reichlich produziert haben. Jener „Geist des Konzils", den Josef Ratzinger in „Zur Lage des Glaubens" auch als dessen „Ungeist" identifiziert hat, verliert mit der Generation seiner Väter zusehends an Lebenskraft. Nun ist dem Heiligen Geist zu vertrauen, daß er seiner Kirche helfe, ihren Kurs in der anbrechenden Epoche universitätstheologisch relativierter Glaubensinhalte und staatlich verordneter Gottlosigkeit neu zu vermessen.

Michael Charlier

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