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Unter Deinen Schutz und Schirm...

Bild: Montage aus gemeinfreiem MaterialUnsere Abbildung zeigt links den sogenannten „sub tuum praesidium-Papyros“ aus der ägyptischen Wüste und rechts eine aktuelle Prägung der „Wundertätigen Medaille“, die auf eine Marienerscheinung des 19. Jahrhunderts zurückgeht. Da sich diese Erscheinung in Paris ereignete und die Medaillen ursprünglichen französisch beschriftet waren, zeigen wir auch hier diese „originalspraclhliche“ Fassung – zumal Father Hunwicke im unten folgenden Text ebenfalls auf die französische Version zurückgreift. Sicherheitshalber hier die deutsche Übersetzung: „O Maria, ohne Sünden empfangen, bitte für uns, die wir zu Dir unsere Zuflucht nehmen.“

Ein gutes Stück älter ist der kleine (hier ungefähr in Originalgröße dargestellte) Papyruszettel. Er wird überwiegend ins 3. oder 4. Jahrhundert datiert, und der griechisch geschriebene Text wird nach wenigen unstrittigen Ergänzungen etwa folgendermaßen übersetzt: „Wir nehmen Zuflucht zu Deinem Mitleid, o Mutter, Gottes. Überhöre nicht unser Gebet in der Zeit der Not, sondern errette uns aus den Gefahren, Du einzigartig Reine, einzigartig Gesegnete.“

Das ist unverkennbar eine Version des auch heute noch im Gebet der Kirche lebendigen „Sub tuum praesidium“ (nach dem der Papyros benannt ist), dessen übliche deutsche Form so aussieht:

Unter deinen Schutz und Schirm
fliehen wir, o heilige Gottesgebärerin;
Verschmähe nicht unser Gebet in unseren Nöten,
sondern erlöse uns jederzeit von allen Gefahren,
o du glorwürdige und gebenedeite Jungfrau.

Und genauso unverkennbar ist der Text auf der Medaille, der nach Auskunft der Seherin Katharina Labouré auf einen direkten Auftrag der Gottesmutter zurückgeht, eine Kurzfassung dieses Gebetes.

Das Gebet „Sub tuum praesidium“ geht auf die älteste Zeit des Christentums zurück, auf eine Zeit, aus der nur wenige Gebetstexte überliefert sind, und es ist denn auch das älteste überlieferte Gebet überhaupt, das sich an die Gottesmutter richtet. Und gleich in diesem ältesten Text erscheint die Bezeichnung Mariens als „Mutter Gottes“, die in einer noch von vom Vielgötterglauben bestimmten und mit einer Reihe von „Muttergottheiten“ ausgestatteten Zeit durchaus problematisch war. Tatsächlich konnten Inhalt und Bedeutung dieser Bezeichnung auch erst nach schwierigen dogmatischen Auseinandersetzungen auf dem Konzil von Ephesus geklärt werden.

Doch nun zu Fr. Hunwickes Text der neben der inhaltlichen Nähe zwischen dem uralten Text auf dem Papyrus und dem auf der Wundertätigen Madaille noch eine weitere Parallelität bemerkt und auf seine unnachahmliche Weise beschrieben hat.

Es beginnt ein langes ZitatEines unserer Probleme beim Studium der Vergangenheit besteht darin, daß die Vertreter der verschiedenen Disziplinen oft nicht miteinander reden.

Hier geht es weiter Und so stellen sie bei der Betrachtung ein- und desselben Textes oder Gegenstandes vielfach unterschiedliche Fragen. So ist es auch bei dem christlichen Papyrus mit dem Gebet zu Unserer Lieben Frau, das gewöhnlich als „Sub tuum praesidium“ angesprochen wird. Wer sich für die Geschichte der Dogmen interessiert wird andere Fragen stellen als der Paläograph, der sich für die Schriftentwicklung interessiert. Und deshalb wird ein Redakteur, der als unterwürfiger und folgsamer Diener des liberalen Dogmas entsetzt darüber ist, wenn der Begriff ‚theotokos‘, Gottesmutter, auf einem frühen Textstück auftaucht, sein Interesse auf andere Gegenstände richten als ein Paläograph, der einfach nur auf die Schriftformen schaut. Ganzheitliche Studien ein- und desselben Textes sind seltener, als Sie oder ich hoffen würden.

Selbstverständlich ergibt die Datierung eines Papyrus nur das letztmögliche Datum für die Entstehung des Textes, der darauf enthalten ist. Der Text kann schon tausend Jahre früher entstanden sein, bevor jemand diese ganz bestimmte Abschrift gemacht hat. Aus diesem Grund bedeutet es letztlich auch sehr wenig, wenn jemand (wie das tatsächlich geschehen ist) behauptet, daß das Papyrus 600 Jahre jünger wäre als bisher allgemein angenommen.

Worum handelt es sich nun bei diesem Papyrusblatt, von dem die meisten Autoren annehmen, daß es der älteste Text von Sub tuum Praesidium ist? Es ist zunächst einmal ein einzelnes Blatt – also weder ein Teil aus einer Schriftrolle noch eine herausgerissene Seite aus einem Buch. Das Blatt enthält einen in sich geschlossenen Text vom Anfang bis zum Ende. Das sind keine Schlussworte eines verlorengegangenen vorausgehenden Abschnitts und keinerlei Anzeichen für den Beginn eines neuen nun nicht mehr existierenden Abschnitts, auch keine zufällige Unterbrechung mittendrin. Es steht auch nichts auf der Rückseite – also bestimmt keine Buchseite.

Und zum zweiten – schauen Sie sich das Dokument mal auf ihrem Computer an – es war gefaltet. Man kann die Faltkante in der Mitte erkennen. Und an den symmetrischen Schadstellen der oberen und der unteren Hälfte ist zu sehen, wo das Stück abgenutzt worden ist. Ich sage Ihnen, woran mich das Stück unwillkürlich erinnert: Ich habe in meiner Hosentasche einen gedruckten Fahrplan der Linie 35 von und nach Ortsmitte Oxford. Der ist gefaltet, und da ich ihn in der Hosentasche habe, wird er stark abgenutzt – ganz besonders an der Faltkante. Das wird dünn und löst sich auf. Alle ein, zwei Monat ersetze ich das Teil durch ein neues Stück. Und ich bin überzeugt, daß es mit diesem Papyrus genaus o gegangen ist. Aber warum?

Die Papyrologen keinen einen ganz bestimmten Typ christlicher Papyrus-Texte, den sie als Amulett bezeichnen. Das sind geschriebene Gebetstexte, die man bei sich führt.

Und zum dritten: Kennen Sie diesen Text: „O Marie, concue sans peche, priez pour nous qui avons recours a vous"?  (O Maria, ohne Sünde empfangene, bitte für uns, die wir zu Dir Zuflucht nehmen). Ich wüßte gerne, wieviele von Ihnen das in ihrer Tasche oder an einer Kette an sich tragen. Haben Sie sich jemals gefragt, wie man „nous avon recour“ wohl im Koine-Griechisch des 3. Jahrhunderts ausgedrückt hätte?

Volltreffer! Mit einem Schlag eingelocht (wie Ihr jüngerer Sohn an jenem unvergesslichen Tag auf dem dritten Grün des Golfplatzes Parknasilla in Kerry!) Ich wußte doch, daß ich mich auf Sie verlassen kann. Katapheugomen – das vierte Wort auf dem Papyros.

Also, wenn Sie Ihre Wundertätige Medaille mit sich tragen, deren Inschrift sich auf die unbefleckte Reinheit Mariens bezieht und wenn sie Zuflucht zu ihrer Hilfe nehmen, stehen Sie in der direkten Tradition des ersten Besitzers jenes Papyros, das nun in der John Rylands Bibliothek von Manchester liegt. Und all jener Christen und Christinnen schon vorher, deren Exemplare die Wechselfälle der Geschichte nicht überlebt haben und deren Namen wir wohl niemals kennen werden.

[Subversive Fußnote: Da gibt es doch in Amerika dieses Bibel-Museum, das von einer reichen evangelikalen Familie Green gestiftet worden ist (→ https://www.nationalgeographic.com/history/2020/03/museum-of-the-bible-dead-sea-scrolls-forgeries/). Was hätten die wohl gemacht, wenn man ihnen diesen interessante Papyros zum Kauf angeboten hätte...]

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