Liturgiefähigkeit - ein Geschenk
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- 24. Oktober 2020
In seinem Buch „Der Geist der Liturgie“ stellt sich der damalige Kardinal Ratzinger 1999 schon vom Titel her ausdrücklich in die Tradition des Denkens von Romano Guardini. In dem ausführlichen Kapitel über die „tätige Teilnahme“ an der Liturgie geht Ratzinger auch auf die vielfältigen Deutungen und Mißdeutungen dieses Leitmotivs der Reformer des 20. Jahrhunderts ein. Dabei bezieht er sich zwar nicht explizit auf Guardinis Frage nach der Fähigkeit des modernen Menschen zum „liturgischen Akt“. Doch da er Guardinis Gedanken von der „Leiblichkeit“ der Liturgie bereits in der Kapitelüberschrift „Der Leib und die Liturgie“ aufgreift, muß seine Erklärung der eigentlichen Actio der Liturgie im Hochgebet der hl. Messe durchaus als eine indirekte Antwort auf Guardinis Frage verstanden werden. Und diese Antwort macht klar, daß es ohne die von Gott zu erbittende und mit Gottes Hilfe mögliche Fähigkeit jedes Menschen zur Eingliederung in den „liturgischen Akt“ keine Teilnahme am hl. Messopfer geben kann. Die Folgerung liegt auf der Hand: Wäre der moderne Mensch zu dieser Teilnahme prinzipiell unfähig, wäre die Feier der hl. Liturgie überhaupt nicht mehr möglich.
Einige von Ratzingers Gedanken im Einzelnen (Zitiert nach der deutschen Ausgabe von 2002, Einschübe M.C. in eckiger Klammer und sind mit * markiert):
Das eucharistische Hochgebet, der „Kanon“, ist wirklich mehr als Rede, ist actio im höchsten Sinne. Denn darin geschieht es, daß die menschliche actio zurücktritt und Raum gibt für die actio divina, das Handeln Gottes.In dieser oratio spricht der Priester mit dem ich des Herrn „Das ist mein Leib“, „das ist mein Blut“ - in dem Wissen, daß er nun nicht mehr aus Eigenem redet, sondern kraft des Sakraments, das er empfangen hat, Stimme des anderen wird, der nun redet, handelt. Dieses Handeln Gottes, das sich durch menschliches Reden hindurch vollzieht, ist die eigentliche „Aktion“, auf die alle Schöpfung wartet: Die Elemente der Erde werden um-substantiiert, sozusagen aus ihrer kreatürlichen Verankerung herausgerissen, im tiefsten Grund ihres Seins erfaßt und umgewandelt in Leib und Blut des Herrn. Der neue Himel und die neue Erde werden antizipiert. (…) (148)
Aber wie können wir denn an dieser Aktion teil-haben? Sind nicht Gott und Mensch völlig inkommensurabel? Kann der Mensch, der endliche und sündige, mit Gott, dem Unendlichen und Heiligen, kooperieren? Nun, er kann es eben dadurch, daß Gott selbst Mensch wurde, daß er Leib wurde und hier immer wieder neu durch seinen Leib auf uns zugeht, die wir im Leibe leben. Das ganze Ereignis von Inkarnation, Kreuz, Auferstehung, Wiederkunft ist gegenwärtig als die Form, wie Gott den Menschen in die Kooperation mit sich selbst hineinzieht. In der Liturgie drückt sich das, wie wir schon gesehen haben, darin aus, daß zur oratio die Annahmebitte gehört.
Gewiß, das Opfer des Logos ist schon immer angenommen. Aber wir müssen darum bitten, daß es unser Opfer werde, daß wir selbst, wie wir sagten „logisiert“, logos-gemäß und so wahrer Leib Christi werden. Darum geht es, und das muß erbetet werden.“ (149)
Hier erledigt Ratzinger ganz nebenbei den verbreiteten Irrtum der Neokatholiken, der sich auch in der Reformliturgie tief verwurzelt hat, daß die Gemeinde per se, durch ihre Versammlung, schon zu einer Art inkarnierter Christus werde. Das ist sie nicht und wird sie auch nicht. Es muß jeder einzelne – wenn auch nicht alleine – durch sein durch den Lebenswandel authentisch gemachtes Gebet darum bitten, in dieses Leib und dieses Opfer hineingenommen zu werden.
In dieser durchaus menschlichen „Aktion“, so fährt Ratzinger dann fort,
„in diesem betenden Zugehen auf Teilhabe, gibt es keinen Unterschied zwischen Priestern und Laien. Gewiß, die oratio namens der Kirche an den Herrn zu richten und in ihrem Kern mit dem Ich Jesu Christi zu sprechen – das kann nur durch die Ermächtigung des Sakraments geschehen. Aber die Teilhabe an dem, was kein Mensch tut, sondern der Herr selbser, und was nuir er selber tun kann, die ist für alle gleich. (149)
Dem folgt eine ganz wichtige Anmerkung zu einem Sachverhalt, dessen nicht-ausreichende Würdigung möglicherweise die Wurzeln zu all diesen Mißverständnissen von der vermeintlichen Nicht-Zeitgemäßheit von Liturgie bzw. der der zeitbedingten Hindernisse zur liturgischen Aktion bloßlegt:
Die Einzigartigkeit der eucharistischen Liturgie besteht eben darin, daß Gott selbst handelt und daß wir in dieses Handeln Gottes hineingezogen werden. Alles andere ist demgegenüber sekundär. (150)
Als Beispiele für dieses „alles andere“ benennt Ratzinger im folgenden dann die „äußeren Aktionen“, namentlich Vorlesen, Singen, Herbeitragen der Gaben. - alles Handlungen, die dem Wesentlichen der sakramentalen Feier äußerlich sind. Und er kommt – vielleicht etwas unvermittelt und nicht klar genug ausgesprochen – zu einer überaus folgenschweren Feststellung mit einer höchst bemerkenswerten Gegenüberstellung von zwei oft vermischten Begriffen:
Das Agieren muß überhaupt aufhören, wenn das eigentliche Kommt: die *[actio in der] oratio. Und es muß sichtbar sein, daß nur die oratio das Eigentliche ist und daß sie wiederum deshalb wichtig ist, weil sie Raum gibt für die actio Gottes. Wer dies begriffen hat, sieht auch leicht ein, daß es nun nicht mehr darum geht, den Priester anzuschauen oder ihm zuzuschauen, sondern daß es darum geht, gemeinsam auf den Herrn hinzuschauen und ihm entgegen zu gehen. Der fast theatralische Auftritt unterschiedlicher Akteure, den man heute besonders bei der Gabenbereitung erlebt *[Ratzinger schrieb unter dem Eindruck der Inszenierungen Piero Marinis bei den Papstmessen, die in vielen Gemeinden nachgeahmt wurden], geht ganz einfach am Wesentlichen vorbei. Wenn die einzelnen äußeren Aktionen (deren es ja gar nicht viele sind und die man künstlich vermehrt) zum Wesentlichen der Liturgie werden und diese selber in ein allgemeines Agieren ausartet, dann wird das eigentliche Theo-Drama der Liturgie verfehlt und geradezu in eine Parodie verkehrt. Die wahre liturgische Erziehung kann nicht im Erlernen und Erproben von äußeren Aktivitäten bestehen, sondern in der Hinführung auf die wesentliche actio, die Liturgie ausmacht, auf die verwandelnde Macht Gottes, die durch das liturgische Geschehen hindurch uns selbst und die Welt verwandeln möchte.
Aus diesen Sätzen alleine könnte man oberflächlich gelesen ableiten, daß die äußeren Formen und die zeichenhaften Elemente der Liturgie selbst keiner besonderen Beachtung wert wären. Damit würde man nicht nur Ratzinger, sondern auch Guardini schwer Unrecht tun. Beide – Ratzinger besonders in den Folgenden Seiten von Geist der Liturgie, Guardini in seinem „Von heiligen Zeichen“, haben in ihren Schriften immer wieder darauf hingewiesen, welche große Bedeutung Zeichen und Symbole als Sinnvermittler haben, und es ist für beide selbstverständlich, daß auch „der moderne Mensch“ für diese Vermittlung empfänglich ist. Worauf es ankommt, ist, was diese Zeichen jeweils vermitteln. Die überlieferte Liturgie mit ihrer strengen, von außen und von oben vorgegebenen Ordnung, läßt keinen Zweifel daran, daß die actio jedenfalls nicht „von unten“ kommt und Ausdruck der Selbsttätigkeit einer Gemeinde ist. Die reformierte Liturgie – Ratzinger hat es am Beispiel der Gabenprozession kurz angedeutet – ist offen für eine Fülle von Zeichen, die geradezu das Gegenteil vermitteln: Wir tun, der Priester tut, die Gemeinde tut. Wir bilden einen Kreis und schauen uns in die Augen.
Das ist – insoweit hat Guardini sicher nicht Unrecht – Ausdruck einer sehr modernen Geisteshaltung, die tatsächlich den Zugang zum Wesen von Liturgie erschweren kann. Unmöglich wird dieser Zugang – das hat Ratzinger nicht nur in den hier ausgewerteten Abschnitten gezeigt – dadurch noch lange nicht. Um den Zugang zu gewinnen, und das war wohl zu allen Zeiten so, braucht es allerdings ein ständiges Bemühen und die Bereitschaft, sich dem zu öffnen, was außerhalb und oberhalb des eigenen Horizonts liegt.