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Bittage und -prozessionen

Bild: Aus dem genannten Artikel auf der Website der ErzdiözeseSeit dem 5. Jahrhundert begeht die Kirche in der Woche von Christi Himmelfahrt den Montag, Dienstag und Mittwoch als meist mit einer Prozession verbundene Bitttage, an denen die Gläubigen um Befreiung von gegenwärtigem Unheil und die Gewährung künftiger Wohlfahrt für Seele und Leib bitten. Erstmals genannt werden sie im Gallien der Völkerwanderungszeit, wo sie in einer Anordnung des Bischofs von Vienne, Mamertus, aus dem Jahr 469/470 erwähnt sind. Dom Gueranger schreibt dazu im 9. Band seines „Kirchenjahres“:

Unglücksfälle aller Art waren über die jüngst erst von den Burgundern wieder eroberte Provinz gekommen. Erdbeben, Feuersbrünste, erschreckende Naturerscheinungen regten die Bevölkerung auf, da man dieselben als Anzeichen göttlichen Zornes erachtete. Der heilige Bischof wollte den Muth seines Volkes dadurch wieder aufrichten, daß er ihm Anlaß gab, sich an Gott zu wenden, dessen Gerechtigkeit man versöhnen müsse. Er schrieb daher drei Sühnetage aus, während welcher die Gläubigen sich Bußwerken hingeben und unter Absingen von Psalmen Bittgänge veranstalten sollten.“

Die Synode von Orléans machte diese Bittage 511 für alle Kirchen Galliens verpflichtend. Erst dreihundert Jahre später wurden die Bitttage von Papst Leo III. auch in Rom und den gesamten Bereich der römischen Liturgie eingeführt – allerdings zunächst wohl ohne das in Gallien damit verbundene Fastengebot, da man in Rom das Gebot, während der österlichen Zeit vom Fasten abzusehen, sehr ernst nahm.

Hier geht es weiter In Gallien standen Fasten und Buße dagegen lange im Zentrum des Begängnisses dieser Tage. Dom Gueranger schreibt dazu:

Bevor die Bittprozession abging, wurden die Häupter der Teilnehmer mit Asche bestreut, und diese Teilnehmer waren das ganze Volk; daran reihte sich die Ausspendung des Weihwassers, worauf sich der fromme Zug in Bewegung setzte. Die Prozession war aus dem Klerus und den Angehörigen mehrerer Kirchen sekundären Ranges gebildet, die unter Vortragung des Kreuzes in einer Hauptkirche sich sammelten. Der Klerus der letzteren hatte auch die Leitung. Jedermann, Kleriker wie Laien, ging barfuß. Man sang die Litanei, Psalmen, Antipohonen, während man sich nach einer vorher als Station bezeichneten Basilika begab, woselbst man das heilige Meßopfer feierte., Alle Kirchen, an welchen man vorüberkam, wurden besucht, und man sang dort eine Antiphon zum Preise des Geheimnisses oder des Heiligen, dem die Kirche geweiht war.“

Eine solche Prozession konnte leicht sechs oder mehr Stunden dauern und stellte Hohe Ansprüche an die Durchhaltefähigkeit der Teilnehmer. Um die Kleriker im Gesang abzulösen, hatte man Frauenchöre eingerichtet, die dann einsprangen, wenn die Kleriker vom Gesang der Psalmen zu sehr ermüdet waren. Leider ist nichts dazu überliefert, ob diese Frauenchöre ebenfalls die Psalmen sangen und wenn ja in welcher Sprache. Frauen mit Lateinkenntnissen waren in dieser Zeit zwar nicht wirklich selten, aber ob sie zahlreich genug für die Bildung ganzer Chöre waren, ist zweifelhaft. Vielleicht kam mit diesen Frauenchören damals erstmalig die Volkssprache in den Gottesdienst - eine Volkssprache, die freilich in dieser Region noch nicht sehr weit vom Latein entfernt war.

Neben dem Psalmengesang stand die Allerheiligenlitanei im Mittelpunkt der Prozessionen – und zwar nicht die verkürzten Form, die traditionell im Rahmen von Weihezeremonien verwandt wird, sondern in der Vollform, mit unter anderem allen zwölf Aposteln. Der wesentliche Unterschied zwischen der traditionellen Vollform und der Kurzfassung, die im wesentlichen auch die Grundlage der Fassung des Gotteslobes bildet, liegt allerdings weniger in der Auswahl der Heiligen. Hier gab es auch in der Tradition stets zeitliche und lokale Varianten, und selbstverständlich berücksichtigten die Orden ihre Gründer oder Ordensheilige in ganz besonderem Umfang. Auffälliger ist der Unterschied bei den Fürbitten, die in der traditionellen Form wesentlich „realistischer“ erscheinen als in den modernen.

Realistischer – das heißt, näher am konkreten Leben der Menschen und schonungslos in der Betrachtung ihrer Abhängigkeit, ihrer Fehlbarkeit und Gefährdung. Die alte Form enthält hier einen ganzen Katalog, der anscheinend dem „modernen Menschen“ in dieser Form nicht mehr zugemutet werden soll. Im ersten Abschnitt (ab omni malo, libera nos Domine) spricht sie vom „Zorn Gottes“ und warnt vor einem „plötzlichen und unvorhergesehenen Tode“, und benennt dann noch den „Geist der Unzucht“, „Blitz und Unwetter“, die „Geißel des Erdbebens“, sowie „Pest, Hunger und Krieg“. Wo die Tradition um Barmherzigkeit „Am Tage des Gerichtes“ fleht, bittet die moderne Fassung um Befreiung „durch Deine Wiederkunft in Herrlichkeit“.

Im zweiten Abschnitt (peccatores, te rogamus audi nos) werden die Unterschiede noch deutlicher. Wo es früher hieß: „Daß Du unseren Geist zu den himmlischen Dingen lenken wollest“, singen die Heutigen „Schenke allen Menschen Anteil an den Gütern der Erde“. Und wo unsere Vorfahren sangen: „Daß Du unserer und unserer Geschwister, Nächsten und Wohltäter Seelen der ewigen Verdammnis entreißest“, halten wir heute den Blick streng auf das irdische Leben gerichtet: „Bewahre die Eheleute in Treue zueinander. Hilf, dass Eltern und Kinder einander verstehen und achten.“ Hier scheint eine ganze Dimension in der Vertikalen verloren gegangen zu sein. Aber auch in der Horizontalen gibt es eine bemerkenswerte Lücke: Von den Regierenden ist nicht mehr die Rede.

Im Übrigen muß es durchaus fraglich sein, ob man im Zusammenhang mit den Bitttagen und ihren Prozessionen heute überhaupt noch in der Gegenwartsform sprechen kann. Zwar behandelt die Website des Erzbistums Köln diese Veranstaltungen als eine noch durchaus gegenwärtige Sache – ihr tatsächliches Begängnis scheint jedoch in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen zu sein. Aktuell, da die Sorge vor Covid-19 doch besonderen Anlaß zur Bitte um göttliche Vergebung und Wohlwollen geben sollte, scheinen die Prozessionen aufgrund der übergriffigen staatlichen Regulierungen und Verbote sogar so gut wie ganz eingestellt worden zu sein. Im aktuellen Angebot der repräsentativen Webseiten des Deutschkatholizimus – katholisch.de in Bonn, Domradio in Köln und Kirche+Leben in Münster – findet das Thema der Bittage überhaupt nicht statt. Dort ist man voll damit beschäftigt, die behaupteten Erfolge der Segnung homosexueller Paare zu feiern und die nächsten Schritte zur Vollendung des „Los von Rom“ vorzubereiten.

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