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Advent und das Heil Israels II

Bild: Wikimedia CommonsIn ersten Beitrag zum Thema war die Rede vom „Doppelcharakter“ des Advents mit seiner Hinwendung zur zweiten Wiederkunft Christi am Ende der Zeit und zur erinnernden Rückwendung an die Erwartung der Geburt des Erlösers in Bethlehem. Wenn man betrachtet, wie stark Rupert von Deutz diese Erinnerung parallel setzt zur messianischen Hoffnung des jüdischen Volkes auf seinen Messias, möchte man von einem dreifachen Charakter dieser Wochen sprechen: Bethlehem setzt keinen Schlusspunkt, sondern für die „ungläubigen“ (denn das ist die korrekte Übersetzung des inkriminierten „perfidis“ aus der traditionellen Karfreitagsfürbitte) Juden dauert der Advent an, wenn auch seit zweitausend Jahren an seinem Ausgang kein Zweifel an seinem Ausgang mehr möglich ist.

Daher zurück zu Ruperts Auslegung der Tagesliturgie vom 1. Adventssonntag:

Die Gnade dieses Mahls bezeichnet das Evangelium (Joh. 6, 1-15) im Offizium dieses Sonntages, das berichtet, der Herr habe mit fünf Broten fünftausend Männer gesättigt. Dann nämlich wird er die 5 Bücher des Mose den Juden erschließen, die jetzt der Knabe, nämlich dieses Volk mit seinem noch kindlichen Verstand, gleichsam wie fünf ganze Brote bringt, „und sie werden essen und sie werden gesättigt werden“ und auch „sie werden den Herrn loben, den sie suchen“ (Ps 22, 27; Vg. Ps 21, 27).

Dann wird sich jene Weissagungdes Propheten Jeremia erfüllen, die diesem Evangelium (in der Lesung Jer 23, 3-8) zu Recht vorausgeht: „Siehe, es werden Tage kommen, spricht der Herr, da man nicht mehr sagen wird: So wahr der Herr lebt, der die Kinder Israels aus dem Lande Ägypten herausgeführt hat, sondern: So wahr der Herr lebt, der die Nachkommenschaft des Hauses Israel aus dem Nordland und aus allen Ländern, in die ich sie verstoßen hatte, herausgeführt und heimgeführt hat, so daß sie wieder in ihrem Lande wohnen werden“ (Jer 23, 7f).

Hier geht es weiterBefreit von jener Knechtschaft, in der ihre Seelen jetzt noch festgehalten werden, werden sie mit tiefer Ehrfurch ihre Dankbarkeit laut verkünden, zu der das folgende Graduale auffordert: „Du hast uns befreit, Herr, von unseren Bedrängern...“(Ps. 44,8; Vg. Ps 43, 8).

Auch die demütige Bitte, die wir im Offertorium vortragen: „Aus der Tiefe rufe ich zu Dir, Herr“ (Ps. 130,1; Vg. Ps. 129,1) stimmt offenkundig mit dieser Befreiung (sc. Der Rettung Israels) und mit dieser Zeit (sc. Dem Ende der Welt) überein. Es werden nämlich zu diesem großen Josef (sc. Christus) seine Brüfer an jenem Tag sprechen: „Wir bitten Dich, vergib die Missetat Deiner Brüder“ (Gen 50. 17).

Ebenso ist die Communio: „Wahrlich ich sage euch: Alles um das ihr betet und bittet... (Mk 11, 24), die Antwort dieses Josef, der spricht: „Fürchtet euch nicht. Ihr dachtet, mir Böses zu tun, doch Gott hat es zum Guten gewendet, um mich zu erhöhen, wie ihr jetzt seht, und viele Völker zu erhalten. Fürchtet Euch nicht, ich werde für euch und eure Kinder sorgen“ (Gen 50, 19-21).

Soviel also aus dem „Liber der Divinis Officiis“ des Rupert von Deutz (~1070 - 1129) aus dem finsteren Mittelalter, in dem die Kirche mit ihrem angeblichen Anti-Judaismus geradewegs die Schienen für die Transporte in die Vernichtungslager der Nazis vorbereitete. Nicht das geringste „Anti“ ist in solchen Ausführungen zu entdecken, dagegen viel von dem angeblich erst viel später entdeckten Wohlwollen, ja der Liebe gegenüber den „älteren Brüdern“. (Wobei es mit dem Verhältnis zwischen älteren und jüngeren Brüdern im alten Testament ohnehin seine eigene Bewandnis hat). Nur wer den Wahrheitsanspruch von Religion per se für unerträglich hält oder bereit ist, sich unter politischem Druck von jedem Wahrheitsanspruch zu distanzieren, kann in Passagen wie den hier angeführten etwas Anstößiges entdecken.

Dann noch ein kurzer Gedanke zu der von Rupert hier (und an vielen anderen Stellen) angewandten allegorischen Methode. Die Geschichte von Josef in Ägypten wird von den Katholiken der Gegenwart wohl gerne auf die doch recht oberflächliche – weil vor allem in der Namensgleichheit begründete – Ineinssetzung mit Joseph dem Nährvater Jesu hin gelesen – so suggerieren es das Messformular zum Fest des hl. Joseph und die ihm gewidmete Litanei. Da geht Rupert hier doch wesentlich tiefer, wenn er die Schrift in ihrem ganzen Zusammenhang wahrnimmt und nicht nur das Alte Testament aus dem Neuen, sondern auch die Lehre des Neuen Testaments aus den Berichten und Erzählungen des Alten Bundes versteht und erklärt. Dabei vermeidet er zumindest an dieser Stelle – ein Gesamtüberblick der Verwendung von Allegorien und Analogien in der Liturgik Ruperts von Deutz scheint nicht zu existieren – die in der älteren Allegorese häufig vorkommende Engführung, die Vorkommnisse und Figuren des alten Testaments auf schattenhafte Vorgestalten der Kirche ohne eigenes Leben reduziert.

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Peter Joseph von Cornelius (1783-1873) gehört zu den einflußreichsten Entwerfern von Fresken für Kirchen und Staatsgebäude im 19. Jahrhundert. Der in Düsseldorf geborene Katholik und spätere Kanzler des Ordens Pour le Mérite in Preussen und Ritter der französischen Ehrenlegion wirkte u.a. in Rom, Berlin, Paris und London. Hier mehr zur Biographie.

Eine Interpretation der Bedeutung der Aussöhnung Josephs mit seinen Brüdern aus der Sicht des orthodoxen Judentums der Gegenwart findet sich hier.

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