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War Paulus Antisemit?

Bild Eigene Aufnahme Der gestrige Sonntag „Laetare“ gehört zu den Tagen, deren Lesung aus den Briefen der Apostel für viele Menschen in der Gegenwart mehr Fragen aufwirft, als sie beantwortet. Konsequenterweise hat die Reform des Novus Ordo diesen Text denn auch weitgehend gestrichen: Zum 4. Fastensonntag wurde die Perikope aus dem Brief von Paulus an die Galater (Abschnitte 22-31) komplett durch eine Passag aus dem zweiten Brief an die Korinther (5, 17-21) ersetzt. Der ursprüngliche Text taucht nur noch in zensierter Form am Montag der 28. Woche im 2. Lesejahr auf - an einem Tag also, an dem man schon in den 60er Jahren davon ausgehen konnte, daß kaum ein Hörer in der Kirche anwesend sein würde. Anstoß eregt die Passage aus dem Brief an die Galater gleich in zweifacher Weise. Zum einen ist sie geradezu ein Musterbeispiel für die Methode, das Alte Testament aus der Sicht des Neuen Bundes zu lesen. Tatsächlich spricht Paulus in der Passage sogar ausdrücklich davon, den Text für seinen Brief „per allegoriam“ zu lesen – und die Allegorie, das lernen heute viele Theologiestudenten schon im ersten Semester, geht nun mal gar nicht.

Nun wollen wir die Problematik der Allegorese und ihres unbestreitbaren Nutzens, aber auch ihrer Grenzen, hier nicht weiter behandeln. Auch auf können wir uns hier nicht auf eine umfängliche Exegese der in der Tat für uns Heutige viele Fragen aufwerfenden Hagar-Erzählung aus dem Buch Genesis (Kap. 16 und folgende) einlassen. Zunächst nur eine sehr geraffte Inhaltsangabe: Sarah, die nach vielen Ehejahren immer noch kinderlos gebliebene Ehefrau Abrahmans, führt diesem die Sklavin Hagar zu, um durch den so gezeugten rechtlichen Sohn Ismael den Bestand der Familie zu sichern. Erst viele Jahre später bekommen Abraham und Sarah durch göttliche Intervention noch einen eigenen Sohn: Isaak. Dann kommt es wie so ift im Alten Testament in einem Streit um den Rang von Erst- und Zweitgeborenen zu Auseinandersetzungen zwischen Abraham und Sarah, die schließlich nach einem erneuten Eingreifen Gottes damit enden, daß Abraham den Ismael samt seiner Mutter Hagar verstößt, im wörtlichen Sinne: in die Wüste schickt. Dort gehen sie jedoch nicht elend zugrunde, sondern werden – wiederum durch göttliches Eingreifen – gerette, damit Ismael ebenfalls zum Stammvater eines großen Geschlechtes werden kann: Der 12 Stämme der Ismaeliten, zu denen das Alte Testament unter anderem die Araber zählt. Und worauf es hier entscheidend ankommt: Am Bundesschluß des Herrn mit Abraham haben die Ismaeliten keinen Anteil.

Auf diese Verstoßung und diese Spaltung bezieht sich nun Paulus in seinem Brief an die Galater, wenn er schreibt, „wir“, d.h. die Christgläubigen, seien wie Isaak „Kinder der Verheißung“, während dagegen diejenigen, die nicht an Christus glauben, „Kinder der Knechtschaft“ geblieben seien. Und er fügt noch das Zitat aus Genesis 21, 10 hinzu: „Verstoße die Magd mit ihrem Sohne, denn der Sohn der Magd soll nicht Erbe sein neben dem Sohn der Freien“. 

Womit wir beim zweiten Stein des Anstoßes wären.

Hier geht es weiterDaß und wieweit diese Passage in der Geschichte auch Anlaß zu antisemitischen Deutung gegeben habe, soll hier weder untersucht noch pauschal bestritten werden. Allerdings besteht keine Grund, den Apostel Paulus daher gleichsam zum Kronzeugen des Antisemitismus in Kirche und Neuem Testament zu erklären und die Perikope aus Angst vor diesem Vorwurf aus dem Proprium des 4. Fastensonntags zu verbannenl. Nicht nur, daß Saul/Paulus selbst Jude war und der Vorwurf des modernen rassistisch fundierten Antisemitismus ihn schwerlich treffen kann – auch „Antijudaismus“ lag dem studierten Pharisaer durchaus fern. Sein ganzes Denken bewegt sich noch in einer von vielen Juden der damaligen Zeit geteilten Geisteswelt. Von der schließlich dominierenden Mehrheit der Paharisäer-Schule unterschied ihn vor allem die Gewißheit, daß der erhoffte Messias – anders als der von vielen erwartete gottkönigliche Retter aus aller irdischen Bedrängnis – in Gestalt des am Kreuz gestorbenen Jesus von Nazareth bereits erschienen und das wahre Werk der Erlösung gewirkt hatte.

Um diese Unterscheidung geht es Paulus, und hier markiert er die Grenze zwischen denen, die in der Unterwerfung unter das Gesetz des Mose verharren, und denen, die durch die Anerkennung des Kreuzes zur Freiheit der Erlösten gelangt waren. Diese Grenze konnte durch den Vollzug der Anerkennung jederzeit überschritten werden. Wer diese Anerkennung explizit verweigert oder die von seinen Eltern und Vorvätern ausgesprochene Anerkennung im Zuge der umfassenden Säkularisierung der westlichen Gesellschaften in der Gegenwart gleichsam zurücknimmt, kann nicht „Erbe (des Reiches Gottes) sein neben dem Sohn der Freien“.

Diese Einsicht war Jahrtausende lang ein Grundstein im Fundament des christlichen Glaubens. Sie heute für „schwer erträglich“ oder „nicht mehr vermittelbar“ zu halten, ist eine aus Glaubensverlust und Opportunismus hervorgehende Kapitulationserklärung gegenüber dem Zeitgeist. Genau die hier für schwierig bis unmöglich erklärte Vermittlung ist die Aufgabe jeder „Neuevangelisierung“, die diesen Namen verdient.

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