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Das Tabu um den Namen von Gott Jahwe

Bild: Montage von Bildern aus dem zitierten Artikel der Times of IsraelEin internationales Archäologenteam hat bei Ausgrabungsarbeiten am Mount Ebal (unmittelbar nördlich von Nablus) ein 2x2 cm messendes bleiernes „Fluchtäfelchen“ gefunden, das die Ausgräber dem 12. Jahrhundert vor Christus zuordneten. (Quelle) Solche Fluchtäfelchen sind für sich keine Sensation, auch wenn das jetzt gefunde wohl das bisher älteste ist, falls sich die vorläufige Datierung bestätigt. Sie sind in der Regel aus Blei und enthalten eine Inschrift aus wenigen Worten, in denen jemand Unheil auf sich oder auf andere herabruft, sollte er oder der „Geschäftspartner“ ein gegebenes Versprechen brechen.

„(Selbst)verfluchungen“ dieser Art haben es sogar bis in die Psalmen geschafft; ein prominentes Beispiel findet sich in Psalm 136 (137; An den Flüssen von Babel) findet, wo es in Vers 5 und 6 heißt: „Wenn ich Dich vergesse, Jerusalem, soll meine rechte Hand verdorren; meine Zunge solll mir am Gaumen kleben bleiben (eher: festwachsen), wenn ich an dich nicht mehr denke“.

Über die „Funktion“ solcher Fluchtäfelchen gibt es verschiedene Vorstellungen. Nach der einen wurde ihnen magische Kräfte in Art eines Amuletts zugeschrieben. Entweder, um den Träger an sein Versprechen zu erinnern, oder um den Fluch gegebenenfalls auszulösen. Nach einer anderen Theorie, die sich auf eine Passage in Deuteronomium, (11, 26 ff) stützen kann, wurden die Flüche an einem heiligen Ort gesprochen oder als Täfelchen niedergelegt – um die Verbindlichkeit von Verträgen zu betonen und die Wirkung des Fluches oder Segens zu verstärken. Zum Abschluß der zweiten Mitteilung seines Gesetzes gibt  der Herr dem Moses folgende Weisung:

Siehe, ich lege heute einen Segen und einen Fluch vor euch. Den Segen, wenn Ihr die Gebote eures Gottes Jahweh haltet, die ich euch heute gebe. Den Fluch, wenn ihr die Gebote eures Gottes Jahweh nicht haltet sondern abweicht vom Wege… Und wenn Du in das Land kommst, in das dein Gott Jahweh dich geführt hat, sollst Du den Segen sprechen auf dem Berg Gerizim und den Fluch auf dem Berg Ebal...

Daß nun ausgerechnet auf diesem Berg Ebal ein Fluchtäfelchen ans Tageslicht kommt – übrigens aus dem Abraum einer bereits vor Jahrzehnten durchgeführten weniger sorgfältigen Ausgrabung – ist in der Tat höchst bemerkenswert.

Hier geht es weiterUnd das führt zu der zweiten Sensation, die sich mit dem jetzt aus dem Schutt hervorgeholten Fundstück verbindet. Denn weniger das hohe Alter, sondern die (hoffentlich zutreffend) mit den modernsten Methoden sichtbar gemachte und entzifferte 40 Zeichen umfassende Inschrift des in „protoalphabetischer Schrift“ beschrifteten Täfelchens ist die eigentliche Sensation. Sie lautet demnach:

Verflucht, verflucht, verflucht – verflucht durch den Gott JHW. Verflucht wirst Du sterben; ganz sicher wirst Du verflucht sterben, verflucht von JHW – verflucht, verflucht, verflucht.

Zehn mal „verflucht“ und zweimal der Name des angerufenen Gottes – das ist starke Medizin und verdient eingehendes Hinschauen.

Der Leiter des Archäologenteams Scott Stripling von einem texanischen evangelikalen Seminar will aus dem Fund vor allem herauslesen, daß der Alphabetisierungsgrad der Juden im 12. vorchristlichen Jahrhundert höher gewesen sei, als bisher vermutet, und daß zweitens die Texte des alten Testaments schon in dieser frühen Zeit nicht nur mündlich, sondern auch bereits schriftlich festgehalten und überliefert worden seien. Das erste mag zutreffen oder auch nicht, das zweite erscheint uns extrem unwahrscheinlich und ist aus dem Fund jedenfalls in gar keiner Weise abzuleiten. 40 Zeichen auf einem Bleitäfelchen (dessen Gewicht uns die Presseberichte leider nicht verraten) sind eine Sache – die Fünf Bücher Mose und die Propheten eine ganz andere.

Viel interessanter als solche Spekulationen erscheint uns zum einen, daß der Fund den ältesten Beleg für den später zum Tetragramm erweiterten Namen des Gottes JHWH um gleich ein halbes Jahrtausend weiter in die Vergangenheit  verlegt, als bisher nachweisbar – das ist keine Kleinigkeit. Und vielleicht noch auffälliger ist die Art, in der dieser Name hier gebraucht wird: Unverkennbar als Eigenname, der zweifellos auch als Eigenname gesprochen wurde. Und dann im Zusammenhang mit einem Fluch, der ofensichtlich auf einen starken magischen Hintergrund im Denken des Verfluchers hindeutet – ein magisches Denken, das er vermutlich mit seinerm gesellschaftlichen Umfeld gemeinsam hatte. Das heißt: Gleich bei dem ältesten historischen Dokument, in dem der Name des Gottes Israels überliefert ist, erscheint dieser Name nicht in einem Gebet des Lobes oder der Bitte, sondern in einer magischen Fluchformel!

Hier werden wie unter einer Lupe die Motive sichtbar, die den Gesetzgeber vom Sinai dazu bewogen haben, bereits im zweiten der Zehn Gebote zu fordern: Du sollst den Namen Gottes nicht mißbrauchen. Die gleichen Gründe haben dann viel später die Schriftgelehrten zu der Forderung veranlaßten, den Eigennamen Gottes überhaupt nicht zu verwenden, sondern selbst da, wo er in der Schrift geschrieben stand, beim Vorlesen zu umschreiben. Am gebräuchlichsten im Hebräischen mit Adonai, im Griechischen mit Kyrios, lateinisch mit Dominus, deutsch mit Herr...

Woher das um den Gottesnamen errichtete Tabu rührt, das dann spätestens im 3. vorchristlichen Jahrhundert praktisch ohne Duldung von Ausnahmen durchgesetzt war, ist an dem Fluchtäfelchen deutlich zu erkennen. Mißbrauch des Gottesnamens war seit der Frühzeit des Judentums eine weit verbreitete Praxis, der die Priester und Schriftgelehrten unbedingt entgegen treten wollten.

Wohin ein solches Tabu bei mechanischer Anwendung unter anderen historischen und gesellschaftlichen Verhältnissen führen kann, sieht man an Stilblüten wie dieser deutschen Übersetzung von Vers 19 des Psalms 82/83:

„Sie sollen erkennen, dass du allein - HERR ist dein Name – der Höchste bist über der ganzen Erde.“

So steht es in der neuesten Version der „Einheitsübersetzung“ von 2016, und sie folgt damit einer langen Liste von Vorgängern, die sich in deutscher Sprache bis zum Breslauer Psalter des Jahres 1378 zurückführen läßt.

Dieses Übersetzungsproblem und seine theologischen Implikationen sollen in einem weiteren Beitrag behandelt werden.

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