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Passionssonntag und „Arma Christi“

Bild: Puste-Missale von 1900, eigene aufnahmeDer Passionssonntag gibt wieder Anlaß, sich den Pustet-Missales der Wende vom 19. zum 20. Jh. und ihren Illustrationen zuzuwenden. Der Holzschnitt zum Passionssonntag – im Missale von 1900 mit einem relativ neu geschaffenen Zentralbild von Max Schmalzl aus dem Jahr 1893 – greift ganz im Sinne des traditionelllen Verständnisses dieses 5. Sonntags der Fastenzeit voraus auf die Leidensgeschichte des Herrn, die sich dann in der Karwoche voll entfalten wird. Im Proprium des Missales kann sich dieses Verständnis vor allem auf Graduale und Tractus stützen, die mit Versen aus den Psalmen 128 und 142 durchaus bildhaft auf das bevorstehende Leiden des Erlösers hindeuten, während die Lesungen eine eher abstrakte theologische Deutung der kommenden Erignisse bieten. Die Verspottung des Herrn vor dem Prozess bei Pilatus bietet für die künstlerische Umsetzung der Passio Christi ein überaus geeignetes Motiv. Schmalzl gelingt es dabei sehr überzeugend, in der Figur des als Hochstapler verspotteten vermeintlich selbsternannten Königs der Juden das wahre Königtum Chtristi durchscheinen zu lassen, dem sich „jedes Knie beugen wird im Himmel und auf Erden“ (Phil. 10,2)

Die beiden typologischen Szenen rufen links eine Stelle aus dem Hohen Lied und rechts aus dem 4. Buch der Könige in Erinnerung. Das Hohe Lied 3,11 fordert die Töchter Jerusalems auf: „Kommt heraus und seht den (salomonischen) König“, den Friedensfürsten und Typos Christi als Vorausgestalt des von Gott eingesetzten Königs der ganzen Welt und aller Zeiten. Die Krone auf dem Haupt des Königs hat doppelte Bedeutung: Die Königskrone des irdischen Königtums, wie es von den idealisierten Figuren Davids und Salomons verkörpert wird, und die des liebevollen Bräutigams, der nach alter jüdischer Sitte eine Bräutigamskrone trägt und sich der Braut zuneigt, die so in einem das auserwählte Volk Israel wie auch die Kirche als die Braut Christ darstellt. Verbindendes Element zum Mittelbild ist die Krone des königlichen Bräutigams, die ihre Widerspiegelung in der Dornenkrone des Schmerzensmannes findet. Die beiden Frauengestalten im Hintergrund beziehen sich wohl darauf, daß der hochpoetische (und dementsprechend nicht leicht deutbare) Text von Hld 3 davon spricht, daß die suchende Seele Israels ihre Liebe „im Gemach ihrer Mutter“ wiedergefunden habe.

So feinsinnig und anspielungsreich sich die linke Seite darstellt, so grobschlächtig geht es auf der rechten zu. Hier geht es weiter Das alte Testament nimmt schon einmal per se wenig Rücksicht auf moderne Sensibilitäten, und die Allegorese als Methode ist auch nicht vor Mißverständnissen oder Mißgriffen gefeit. Denn als solcher erscheint uns die hier heraufbeschworene Szene aus dem 4. Buch der Könige, 2, Vers 23+24, überdies auch wieder mit nicht korrekt angegebener Fundstelle. Dort ist die Rede davon, daß der Prophet Elisäus, nachdem er von der „Himmelfahrt“ des Elias vom Jordan wieder nach Bethel hinaufstieg, vor der Stadt von einer Horde Straßenjungen verspottet wurde: (23) „Kahlkopf, komm doch, Kahlkopf, komm doch. (24). Da drehte er sich um, sah sie an und verfluchte sie im Namen des Herrn. Sogleich kamen zwei Bären aus dem Gehölz und zerrissen 42 der Burschen.“ Rechts unten sieht man die ziemlich grimmig dargestellten Bären, wie sie gerade zu dem Gemetzel an den Spottbuben aufbrechen.

Das Motiv der Verspottung ist das Einzige, was diese Szene mit der Demütigung des Königs der Juden gemeinsam hat – doch dessen Reaktion ist nicht der Fluch, sondern nach Erfüllung des väterlichen Willens unermeßlicher Segen. Vielleicht tut man den „Erfindern“ der Allegorie – die von Schmalzl nicht geschaffen wurde, sondern ältere Vorbilder hat – aber auch unrecht, wenn man ihnen hier einen Mißgriff oder einen bloß mechanischen Umgang mit Begriffen unterstellt. Es ist auch denkbar, daß sie dem Betrachter genau den Unterschied zwischen der Reaktion des alttestamentlichen Propheten und dem Stifter des neuen Bundes vor Augen stellen wollten. Die blitzschnelle Einordnung von Bildern, die vermeintlich nur eine einzige Deutung zulassen und keine Vielschichtigkeit erlauben, ist eine durchaus zweifelhafte Errungenschaft des „ikonischen Zeitalters“.

Genaueres Hinschauen erfordern auch die vier Eckvignetten, deren Bildidee selbst in der hier maximal möglichen Auflösung kaum erkennbar ist. Der Engel links oben hält das Schilfrohr, das uns im Mittelbild als Szepter des verspotten Christus wieder begegnet (Matth. 27, 29). Sein Gegenstück oben links hat einen Handschuh, vielleicht aus Leder oder sogar aus Harnisch – und er hält sich die Backe; wie geschrieben steht: „Ein Dienstmann des Hohen Priestes gab ihm einen Backenstreich“ (Joh 18, 23). Links unten der Engel hat ein Tablett mit drei Würfeln, denn die Henkersknechte würfelten um den aus einem Stück gewebten Leibrock des Gekreuzigten (Matth. 27, 35 und Ps. 21, 19). Dessen Gegenstück links bringt den Stecken mit dem in Essig getränkten Schwamm aus Marcus 15, 36.

Zusammen mit den am unteren Rand des Mittelbildes liegenden Rutenbündel und der Geißel kommt so die Gesamtheit der „arma christi“, der Waffenrüstung des gekreuzigten Erlösers, zusammen, die bis in die Neuzeit hinein eine prominente Rolle im Gebet der Gläubigen und in der bildenden Kunst gespielt haben.

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