Haltet die Gebote, sonst...
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- 16. März 2023
Die Lesung des Donnerstags schließt mit einer Perikope aus dem 7. Kapitel des Buches Jeremia unmittelbar an die Verkündung der Gebote auf dem Sinai an, von der am Vortag die Rede war und deren Einhaltung es fordert. Dieses Kapitel ist eine einzige große Rede der Klage und der Anklage an die gottvergessene Gesellschaft Israels. Es steht – wie die ganze Predigttätigkeit von Jeremia – in engem Zusammenhang mit den Reformbestrebungen von König Josiah im ausgehenden 7. Jahrhundert.
Im überlieferten Ritus zitiert die Perikope die Anfangsverse 1 – 7, in denen Jeremiah den Auftrag des Herrn erhält, sich an das Tempeltor zu stellen un allen, die dort eintreten, seine unbequeme Mahnung zu verkünden: Es reicht nicht, der Form halber den Tempel des Herrn zu besuchen und dort mit dem Munde zu beten – das eigentliche Gebet muß darin bestehen, „einen guten Wandel zu führen und recht zu handeln“ (Vers 5). Die Communio des Tages greift das auf und zitiert aus dem langen Gesetzes-Psalm (118, 4-5) die Verse „Du hast befohlen, treu Deine Gesetze zu halten. Auf die Einhaltung deiner Gesetze sei mein Wandel stets gerichtet“.
Neben dieser Mahnung enthält der erste Teil von Kapitel 7 auch eine Aufzählung der Sünden, die Jeremia seinen Zeitgenossen vorzuwerfen hat: Sie handeln ungerecht untereinander, gegenüber den Fremden, und den Schwachen, sie vergießen sogar „an diesem Ort“ unschuldiges Blut und laufen fremden Göttern nach. Das alles sind Gegenstände, die auf den Vorwurf des Bundesbruches hinauslaufen und damit die Drohung vor Augen stellen, daß der Herr auch seinerseits von diesem Bunde abrücken, seine Wohnung auf dem Zion verlassen und Israel schutzlos den Folgen seiner eigenen Sünden und der Willkür seiner Gegner überlassen werde.
Die hier und an vielen anderen Stellen des Alten Testamentes erhobene Forderung zur Wahrung der „Gerechtigkeit gegenüber den Fremden, den Witwen und Waisen“ bedarf einer zweifachen Erläuterung. Zum einen gab es im alten Israel nur sehr schwach ausgeprägte gesellschaftliche Institutionen, die den Schutz des Einzelnen, des „Individuums“ nach heutigem Verständnis, gewährleisteten. In weiten Bereichen herrschte ein nur durch Gottesfurcht gemildertes „Recht des Stärkeren“, und wer ohne den Schutz der Großfamilie mehr oder weniger alleine stand – wie eben die Fremden, die Witwen und Waisen – war sehr darauf angewiesen, daß die Gottesfurcht die Habgier und Willkür der Stärkeren in Zaum hielt. Psalm 126 spricht diese Zusammenhänge ganz klar aus, ohne im Geringsten daran Anstoß zu nehmen. In der hier durchaus zutreffenden Fassung der Einheitsübersetzung: „Wie Pfeile in der Hand eines Kriegers, so sind Söhne aus den Jahren der Jugend. Selig der Mann, der mit ihnen den Köcher gefüllt hat! / Sie werden nicht zuschanden, wenn sie mit ihren Feinden rechten im Tor.“
Wie manche Szenen aus deutschen Gerichtssälen in Zeiten der Masseneinwanderung aus dem Orient vor Augen führen, hat dieses Rechtsverständnis in einigen Weltgegenden bis auf den heutigen Tag Bestand. Und genau das führt zu der zweiten hier anzubringenden Erläuterung. Die im alten Testament wiederholt ausgesprochene Verpflichtung zum Schutz der Fremden (etwa in Exodus 22,20) wird von Zeitgeistpredigern gerne dahingehend interpretiert, daß sie eine Rechtfertigung, wenn nicht gar Verpflichtung, zur derzeit praktizierten Politik der offenen Grenzen darstelle. Das ist jedoch nur das halbe Alte Testament: An ebensovielen Stellen wird gefordert oder vorausgesetzt (etwa Exodus 23, 12), daß die „Fremdlinge“ im Lande das Gesetz Israels einhalten und etwa bei Schmähung des Namens Gottes ebenso der Todesstrafe verfallen wie die Einheimischen (Leviticus 24, 16). Die Frage der Weitergeltung von Vorschriften des Alten Bundes in der Gegenwart ist eine schwierige Angelegenheit und keinesfalls durch Dummformeln wie „Frohbotschaft gegen Drohbotschaft“ zu erledigen.
Der Novus Ordo ersetzt die Perikope aus Jeremia 7, 1 – 7 durch die Verse 23 – 28 aus dem gleichen Kapitel. Ein inhaltlicher Grund für diese Änderung ist nicht erkennbar. Beide Passagen gleichen sich in der Einschärfung der Verbindlichkeit von Gottes Gebot für Israel und der Warnung vor den schlimmen Folgen, die eine Abkehr vom Gesetz für das Volk haben werde. So folgt die Änderung an dieser Stelle wohl nur der unausgesprochenen, aber desto strenger eingehaltenen Regel so vieler nachkonziliarer Veränderungen: Hauptsächlich anders!