Der längste Tag der Weltgeschichte
- Details
- 17. April 2023
Der Römische Canon weist für die Osterwoche eine liturgisch-kalendarische Besonderheit auf: Vom Ostersonntag bis zum Samstag nach Ostern besingt die Präfation „diesen hochheiligen Tag“ der Auferstehung – sieben Tage lang. Das ist mehr als nur eine gewöhnliche Oktav. Jeder Tag der Osterwoche ist ein Hochfest, ist DAS Hochfest der kosmischen Wende der Heilsgeschichte – als ob die Kirche für diese Tage den Kalender anhalten, die Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge übergehen wollte, um diesen Angelpunkt der Heilsgeschichte allen in seiner vollen Bedeutung vor Augen zu stellen.
Vor Augen zu stellen – das heißt: Die Kirche ordnet nicht an, das Osterfest sieben Tage lang zu feiern, und sie bestimmt nicht aus eigener Machtvollkommenheit über den Kalender, sondern sie findet in der Realität des Heilsgeschehens diesen Knoten- und Wendepunkt vor, dem sie in ihrer spirituellen Zeit dadurch Ausdruck verleiht, daß sie die gewöhnliche Zeit für sieben Auf- und Untergänge der Sonne quasi anhält. Sie ist dazu bevollmächtigt, denn Gott ist der Herr der Zeit. Indem der Allmächtige das Universum mit Sonne und Erde geschaffen hat, schuf er die Zeit. Das ist die eigentliche Aussage des mosaischen Schöpfungsberichtes, der eben nicht – wie z.B. die moderne Einheitsübersetzung – vom „ersten Tag“ spricht, sondern von „EIN Tag“ – denn bis zu diesem Schöpfungsakt gab es nichts, das man hätte zählen können. Das Zählen beginnt erst mit dem zweiten Tag.
Das Übernatürliche steht jedoch für die Kirche keinesfalls getrennt vom Natürlichen – es ist durch die Schöpfung und dann erneuert in der Inkarnation unauflöslich mit dem Kreatürlichen verbunden. Auch das findet in der liturgischen Ordnung des Osterfestes seinen Ausdruck, und zwar in der dem Vorbild des Alten Testamentes folgenden Bindung des Osterfestes an den ersten Frühlingsvollmond. Auch das ist letztlich ein Verweis auf die kosmische Bedeutung der Auferstehung, nur daß hier nicht die natürliche Ordnung des Tagesablaufes der übernatürlichen Ordnung angepasst wird, sondern der Termin des Festes – also eines der spirituellen Sphäre zugeordneten Ereignisses – einer natürlichen, besser gesagt: einer im sinnlich wahrnehmbaren Kosmos vorgegebenen Ordnung folgt. Dieses Paradox steht also nicht im Gegensatz zu der Ausweitung des spirituellen Ostertages auf sieben Auf- und Untergänge des Sonne. Die Dinge sind miteinander verschränkt, der Zusammenhang ist gegenseitig.
Soviel Ineinandergreifen von natürlicher und übernatürlicher Ordnung war schon für die Verfasser des Paulinischen Messbuchs von 1969 unverständlich oder unerträglich: Ihre drei mehr oder weniger phantasievoll aus alten Versatzstücken zusammengebastelten neuen Präfationen kennen den sieben Tage währenden Ostertag bereits nicht mehr. Und im Zusammenhang mit dem 2025 bevorstehenden 1700-jährigen Jubiläum des Konzils von Nicaea ist auch wieder die Rede von einem „einheitlichen Ostertermin“ der den astronomischen Zusammenhang aufgeben könnte. Das wäre dann ganz nach dem Geschmack, mit dem der Geist der Moderne die Gedenktage der Vergangenheit begeht: Indem er es aus purem Trotz und Übermut gerade anders macht, als die Vorväter es seinerzeit gesehen und geordnet haben.